Tschechien erneuert Corona-Notstand / Bislang über 20.000 Menschen gestorben
Angesichts steigender Infektionsraten und einer hohen Sterberate zeigte sich die tschechische Regierung genötigt, erneut den Notstand über das Land zu verhängen. Strenge Verhaltensmaßnahmen mit Bewegungseinschränkungen gelten nun vorerst bis zum 28. März. In Tschechien sind bislang mehr als 20.000 Menschen an oder mit der Covid-19-Erkrankung gestorben.
In einem dramatischen Appell wandte sich Tschechiens Regierungschef Andrej Babiš (ANO) an die Bevölkerung. Die Lage im Lande sei derzeit so angespannt, dass man alles unternehmen müsse, um Leben zu retten, um ein „tschechisches Bergamo“ zu verhindern, so der Premier. Babiš blickt auf das vergangene Jahr zurück: Am 20. März, als der erste Notstand ausgerufen wurde, gab es 22 Corona-Infizierte, drei Menschen lagen mit der Erkrankung im Krankenhaus, niemand war bis dahin gestorben. Diese Situation hat sich im Verlaufe des Jahres dramatisch verändert: Heute liegen über 7.200 Patienten in den Kliniken, die Gesamtzahl der Fälle ist auf rund 1.227.600 gestiegen, mehr als 20.000 Menschen sind an oder mit der Corona-Infektion verstorben. Allein am vergangenen Freitag stieg die Zahl der Neuinfektionen um 14.676, am Samstag nochmals um 7.798 – das sind die höchsten Zahlen an Neuinfektionen seit Anfang Januar.
Die Regierung zeigte sich über die neue Entwicklung äußerst besorgt. Tschechien mit seinen etwa 10,7 Millionen Einwohnern verzeichnet derzeit eine Sieben-Tage-Inzidenzzahl von 759 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner. Im Landkreis Tachov an der bayerischen Grenze lag die Zahl gar bei 1.801, im Kreis Plzen-Nord bei 1.441 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner. Noch im vergangenen Frühjahr, als man fast erwartete, die Pandemie kontrollieren zu können, lag die Zahl bei lediglich 20 Neuinfektionen.
Drastische Maßnahmen erzeugen Unmut
Ab dem 1. März gelten im Land wieder verschärfte Hygienemaßnahmen. Hierzu gehören sowohl nächtliche Ausgangssperren als auch Bewegungseinschränkungen am Tag. Außer zu dringlichen Wegen – zur Arbeit, zum Arzt oder zur Apotheke – dürfen die Wohnungen nur noch im Umkreis von 500 Metern verlassen werden. Bis auf die Wirtschaft gilt ein völliger Lockdown für den Einzelhandel und die Gastronomie. Überall im Land herrscht Maskenpflicht, Schulen und Universitäten bleiben geschlossen. Die neuerlichen Maßnahmen soll bis zum 28. März gelten.
Premier Andrej Babiš warnte die Bevölkerung, die Maßnahmen dringend einzuhalten. Es gehe jetzt darum, viele Menschenleben zu erhalten. Viele Krankenhäuser sind an ihren Kapazitätsgrenzen angelangt. Babiš sprach von „Höllentagen“, die einige Intensivstationen jetzt durchzumachen hätten. Trotz eigentlich sinkender Krankenhausfallzahlen häufen sich die schweren Verläufe, sodass einige Intensivmediziner vor der Entscheidung stehen, wem sie Behandlung angedeihen lassen können.
Trotz dieser dramatischen Lage wächst der Unmut in der Bevölkerung. Viele Menschen sind nicht mehr bereit, Verständnis für die schwankende Politik der Regierung aufzubringen. Prag hatte zwar die erste Coronawelle bravourös gemeistert, dann jedoch zu früh und zu weit geöffnet. In der Folge musste im vergangenen Oktober ein zweiter Lockdown angeordnet werden, der dann zu Weihnachten wieder gelockert wurde. Als zu Jahresbeginn die Infektionszahlen wieder deutlich anstiegen, rief die Regierung erneut den Notstand aus. Der wurde indes am 11. Februar vom Parlament ausgesetzt – bei der erforderlichen Abstimmung erhielt die Koalition wegen der Zustimmungsverweigerung der kommunistischen Abgeordneten nicht die erforderliche Mehrheit.
Nun jedoch setzte sich das Kabinett Babiš über den Parlamentsbeschluss hinweg und erließ erneut den Notstand. Umfragen zufolge sind allerdings ein Drittel der Tschechen nicht bereit, den Anordnungen zu folgen. Prag kündigte an, die Maßnahmen streng von der Polizei kontrollieren zu lassen und zusätzlich 5.000 Soldaten zur Überwachung einzusetzen.
Sputnik V soll es richten
Wie in den meisten EU-Staaten, sind auch in Tschechien die von der europäischen Arzneimittelbehörde EMA zertifizierten Impfstoffe von Pfizer/BioNTech, Moderna und AstraZeneca rar. Die Statistiken verzeichnen zwar, dass die bereits geimpfte ältere Generation weniger an Covid-19 erkrankt, jedoch immer mehr Jüngere unter 65 zum Teil mit schweren Krankheitsverläufen zu kämpfen haben.
Die Gegenstrategie – mehr testen, mehr impfen – lässt sich nur zum Teil durchsetzen. Staatspräsident Milos Zeman hatte sich bereits mit seinem Moskauer Amtskollegen Wladimir Putin über die Lieferung des russischen Impfstoffs Sputnik V verständigt. Von der Burg hieß es, die Prüfung der staatlichen Arzneimittelbehörde SUKL reiche aus, um das Vakzin in Tschechien zuzulassen. Experten erklärten dazu, dass Sputnik V auch gegen die britischen, südamerikanischen und südafrikanischen Mutanten wirksam sei. Derzeit sind 70 Prozent der in Tschechien positiv auf Corona Getesteten mit dem hoch ansteckenden Virus B.1.1.7. infiziert, das erstmals auf der britischen Insel nachgewiesen wurde. Diese besonders aggressive Form des Coronavirus ist für die rasante Ausbreitung hierzulande verantwortlich. Virologen gehen davon aus, dass binnen kurzer Zeit B.1.1.7. die anderen Varianten verdrängen wird.
Um der Corona-Lage Herr zu werden, haben die politisch Verantwortlichen nun bei den europäischen Nachbarn um Hilfe ersucht. Wichtig scheint auch, dass die Regierung um Babiš sich auf die Vernunft parlamentarischer Mehrheiten stützen kann, um erfolgreiche Kampagnen gegen die Pandemie zu führen. Angesichts der bevorstehenden Wahlkämpfe zu den Parlamentswahlen im Herbst scheint dies jedoch ein schwieriges Unterfangen zu werden.
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