CoronaAustralien: Harsche Regeln, doch die Bevölkerung applaudiert

Corona / Australien: Harsche Regeln, doch die Bevölkerung applaudiert
Rezession und Repression in Australien: Polizist im Business-Distrikt von Melbourne Foto: AFP/William West

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In Berlin gehen Tausende auf die Straße, um gegen Corona-Restriktionen zu demonstrieren, in Australien nimmt die Polizei eine schwangere Frau fest, nachdem sie auf Facebook nur zu einem Protest aufgerufen hat. Trotzdem steht die Bevölkerung hinter der Regierung.

Seit Ende der Woche steht fest: Australiens Grenzen sollen aufgrund der Pandemie noch bis Mitte Dezember geschlossen bleiben. Auch im Land selbst dürfen die Menschen nicht ohne Ausnahmegenehmigung zwischen den Bundesstaaten reisen.

Melbourne – Australiens zweitgrößte Stadt – ist seit Juli wieder im Lockdown. Dieser soll Mitte September enden, doch die Infektionszahlen sind nicht so niedrig wie der Premier von Victoria, Daniel Andrews, sich das wünschen würde. Am Freitag verzeichnete das Bundesland 81 Covid-19-Neuinfektionen und 59 Tote, wobei diese Zahl sich aus Verstorbenen der vergangenen Wochen zusammensetzt, die bis dato noch nicht gezählt wurden. Insgesamt zählt Australien über 26.000 Infektionen und knapp 678 Tote. „Ich kann nicht ausschließen, dass wir mit einigen Regeln weitermachen müssen“, sagte Andrews diese Woche vor Reportern. Zwischen den Zeilen lässt sich herauslesen: Die Ausgangssperre könnte nochmals verlängert werden.

Nachdem Australien zunächst internationales Lob für die Bekämpfung der Pandemie erhielt, stiegen die Fallzahlen trotz strenger Maßnahmen in den Wintermonaten plötzlich wieder rasant an. Anscheinend war das Virus aus den Quarantänehotels für Rückkehrer aus dem Ausland wieder in die Gesellschaft getragen worden. Sydney konnte die Fallzahlen dank aggressiver Kontaktverfolgung niedrig halten, doch in Melbourne gingen sie zeitweise in die Hunderte – die Stadt musste abgeschottet werden.

Tragische Geschichten häufen sich

Je länger die Grenzschließungen nach außen wie auch im Landesinneren zwischen den Bundesstaaten jedoch andauern, desto mehr häufen sich tragische Geschichten: Menschen, die nicht mehr rechtzeitig zu Angehörigen kommen, die im Sterben liegen, Menschen, die von ihren Familienmitgliedern getrennt wurden, Frauen, die unter häuslicher Gewalt leiden und Menschen, die eine wichtige Operation oder medizinische Behandlung brauchen.

Eine Frau musste sich von einer Gehirnoperation in einem Quarantänehotel in Queensland erholen, nachdem eine Ausnahmegenehmigung für eine Quarantäne zu Hause verweigert wurde. Ein ungeborenes Baby starb, nachdem die Mutter aufgrund der geschlossenen Grenze zwischen New South Wales und Queensland gezwungen war, für die Geburt ihrer Zwillinge nach Sydney zu fliegen, obwohl Brisbane deutlich näher gewesen wäre.

Debattiert wird auch das Verhalten der Polizei, die die Restriktionen mit aller Härte durchsetzt. So wurde am Mittwoch eine 28-jährige schwangere Frau in ihrem Haus in Ballarat wegen eines Facebook-Posts festgenommen. Sie hatte zu einem Protest gegen die Restriktionen im Bundesstaat Victoria aufgerufen. Demonstrationen sind dort wegen des Ausnahmezustands derzeit aber nicht erlaubt.

Zustimmung in der Bevölkerung

Trotzdem ist die Zustimmung der Bevölkerung zu den Maßnahmen nach wie vor hoch. So kam eine Umfrage des Guardian Mitte August zu dem Ergebnis, dass drei Viertel der Bürger im Bundesstaat Victoria die Maßnahmen des dortigen Premiers befürworten. Auch eine spezielle SMS-Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Roy Morgan ergab Ende August, dass die Bürger in dem am schlimmsten betroffenen Staat die meisten der Einschränkungen gutheißen.

Ein Bericht des australischen Grattan Instituts wirbt derzeit sogar dafür, den derzeitigen Lockdown in Melbourne nochmals deutlich zu verlängern. „Eine zu frühe Öffnung, während sich das Coronavirus noch in der Gesellschaft befindet, birgt das Risiko zukünftiger Ausbrüche, erneuter Sperren, erneuter wirtschaftlicher Störungen und weiterer Todesfälle“, schrieben die Autoren des Berichts. „Nachdem wir so weit gekommen sind, sollten wir den Job beenden.“

Doch aufgrund der vielen Restriktionen blutet das Land, das bisher als Wirtschaftswunderland galt, finanziell. Nachdem die Wirtschaft bereits im ersten Quartal um 0,3 Prozent geschrumpft war, verzeichnete das Land von April bis Juni einen noch mal deutlich größeren Fall: So brach das Bruttoinlandsprodukt um sieben Prozent ein.

Dies ist der größte Rückgang seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1959 und die größte Wirtschaftskrise des Landes seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Zahlen bedeuten auch, dass Australien, dessen Wachstumskurve seit fast 30 Jahren stetig nach oben zeigte, nun zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder eine Rezession, also zwei aufeinander folgende Quartale mit negativem Wachstum, verzeichnet. Zuletzt hatte der Pazifikstaat 1991 eine Rezession erlebt.