BalkanrouteAus Angst vor Corona werden Flüchtlingslager zu geschlossenen Quarantäne-Zentren

Balkanroute / Aus Angst vor Corona werden Flüchtlingslager zu geschlossenen Quarantäne-Zentren
Die Corona-Krise hat inklusive Ausgangssperren wie hier in Belgrad auch den Balkan im Griff – das führt ebenso zu einem Stillstand auf der Balkanroute Foto: AFP/Andrej Isakovic

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Vor Monatsfrist fürchteten die Anrainer der Balkanroute noch eine neue Flüchtlingswelle. Nun hat die Viruskrise die Fluktuation auf der Route erstmals fast völlig zum Erliegen gebracht. Doch trotz der Kasernierung der Transitmigranten bleiben Sorgen – und die Angst vor Infektionen.

Schon seit über zwei Wochen patrouillieren vor den serbischen Flüchtlingslagern Soldaten. Ohne Genehmigung und Begleitung könnten deren Bewohner die Aufnahmelager nicht mehr verlassen, berichtet eine Sprecherin von Serbiens staatlichem Flüchtlingskommissariat (KIRS) dem Tageblatt: „Die Lager sind nun völlig geschlossen und faktisch Quarantäne-Zentren.“

Vor Monatsfrist fürchteten die Anrainer der Balkanroute wegen der türkischen Androhung geöffneter Grenzen noch neue Flüchtlingswellen. Nun hat die Viruskrise die Fluktuation auf der Route erstmals fast völlig zum Erliegen gebracht. Doch trotz der weitgehenden Kasernierung der Transitmigranten plagen sowohl die Anrainerstaaten als auch Hilfsorganisationen Sorgen – und die Furcht vor Infektionen in den völlig überfüllten Aufnahmelagern.

Durch die Internierung der sich außerhalb der Aufnahmezentren aufhaltenden Transitmigranten hat sich beispielsweise in Serbien die Zahl der Lagerinsassen in wenigen Wochen von rund 6.000 auf 8.500 erhöht. Einerseits seien bereits still gelegte Zentren wieder neu eröffnet worden, andererseits die Bettenkapazitäten in den bestehenden Lagern mithilfe von Großraumzelten erweitert worden, so die  KIRS-Sprecherin. Auch was die ins Land gelangenden Neuankömmlinge angehe, gebe „es praktisch keine Fluktuation“ mehr: „Alles steht still, die Zahlen ziemlich stabil. Fast alle sind nun in den Lagern.“

Anderes Land, völlig andere Lage

Völlig anders sieht die Lage im benachbarten Nordmazedonien aus. Außerhalb der Aufnahmezentren gebe es weiter Fluktuation, berichtet Jasmin Redjepi von der Hilfsorganisation „Legis“ in Skopje dem Tageblatt. Da die Polizei aufgegriffene Flüchtlinge mittlerweile sofort zurück an die griechische Grenze verfrachte, seien die „Durchgangslager oft leer“. Im einzigen Zentrum für Asylbewerber würden sich derzeit 70 Menschen aufhalten. Die Bedingungen in den Lagern seien „solide“ und deren wenige Bewohner würden sich auch „diszipliniert“ an die Vorschriftmaßnahmen halten: „Das Problem sind die Transitreisenden, die sich allein oder mit Schleppern durchzuschlagen versuchen. Sie stehen unter einem großen Gesundheitsrisiko. Denn sie kontrolliert niemand.“

In griechischen Flüchtlingslagern wurde das Coronavirus bereits festgestellt. Mit verstärkter Hygiene und Aufklärungskampagnen in den Lagern versuchen Serbiens Behörden den Ausbruch von Infektionen zu verhindern. Zwei Meter Distanz zwischen den Lagerbewohnern sei „natürlich nicht möglich“, so die KIRS-Sprecherin: „Die Mehrheit der Leute versteht mittlerweile, dass die Lage gefährlich ist und es auch für sie besser ist, im Zentrum zu sein.“

Serbische Flüchtlingshilfe-Organisationen kritisieren hingegen unzureichende sanitäre Bedingungen und das bisherige Ausbleiben von Infektionstests in den überfüllten Lagern. Während die Lage in den serbischen Aufnahmezentren angespannt, aber noch einigermaßen unter Kontrolle scheint, hat die Viruskrise die eskalierende Flüchtlingskrise im benachbarten Bosnien noch verschärft.

Noch immer verweigert sich der bosnische Teilstaat der Republika Srpska resolut der Einrichtung von Aufnahmelagern. Hektisch versuchen derweil die Behörden in der muslimisch-kroatischen Föderation, mit Behelfscamps und Zelten die Lagerkapazitäten zu vergrößeren, um alle Transitmigranten internieren zu können. Vor der Coronakrise hielten sich 2.000 bis 3.000 der rund 7.500 Flüchtlinge in Bosnien außerhalb der überfüllten Zentren auf: Vor allem in der Region Bihac, aber auch in Sarajevo und Tuzla biwakieren noch immer unzählige Flüchtlinge in Ruinen, Zelten oder billigen Pensionen.

Tausende von Flüchtlinge und Migranten auf dem Balkan stünden „außerhalb des Systems“ und könnten nur dank der Hilfe lokaler Freiwilliger überleben, warnen die in der „Transbalkan Solidaritäty Group“ vereinten Hilfsorganisationen der Region in einem offenen Brief an die EU und die Anrainer. Besorgt mahnen sie deren „humane, sichere und hygienische“ Unterbringung an: „Niemand ist sicher, solange nicht alle geschützt sind.“