MediendebatteAnnalena Baerbock als Prophet: Durch ihre fade Werbekampagne entblößt die INSM eigene Ängste

Mediendebatte / Annalena Baerbock als Prophet: Durch ihre fade Werbekampagne entblößt die INSM eigene Ängste
Mit zwei „Verbotstafeln“ im Arm und in altertümlichem Gewand stellt die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ Annalena Baerbock in ihrer Werbeanzeige dar Collage: INSM

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Eine Werbe-Initiative der INSM gegen die Grünen-Politikerin Annalena Baerbock hat vergangene Woche in Deutschland für heftige Reaktionen gesorgt. Mehrere Medien, darunter „Die Zeit“ und die „Frankfurter Rundschau“, sprachen von „antisemitischen Ressentiments“, die sich hinter der Werbung versteckten. Ganz widerspruchsfrei sind jedoch weder die INSM-Anzeige noch die kritischen Reaktionen. Die Werbung lässt noch einen ganzen anderen Schluss zu – und zwar auf Grundlage einer genauen Bildanalyse.

Die zwei dicht beschriebenen Steintafeln hat sie sich unter die Achseln geklemmt wie Obelix, der nach erfolgreicher Jagd das erlegte Wildschwein-Paar in sein gallisches Heimatdorf schleppt. Dazu trägt sie – Achtung: Farbsymbolik – eine altertümlich wirkende Leinentunika in Olivgrün: So hat die wirtschaftsliberale Lobbyorganisation „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) die Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock jüngst in einer gegen die Grünen-Politikerin gerichteten Anzeigenkampagne dargestellt. Neben der Collage prangt der Schriftzug: „Annalena und die 10 Verbote. Grüne Verbote führen uns nicht ins Gelobte Land“.

Die Kampagne hat vergangene Woche in Deutschland für viel Aufsehen gesorgt. Medien wie Die Zeit und die Frankfurter Rundschau warfen der INSM infolge der Werbung Antisemitismus und Misogynie vor. In einem Zeit-Gastbeitrag nahm Politikwissenschaftler Michael Koß die Anzeige genau unter die Lupe. Die Schlussfolgerung seiner Analyse: Das Advertising der INSM sei judenfeindlich, weil sie Annalena Baerbock als eine jüdische Messias-Figur inszeniere. Durch ihre alttestamentarisch wirkende Aufmachung würde dabei auf einen Verfremdungseffekt gesetzt werden, der erstens die implizite Botschaft beinhalte, dass Baerbock (als jüdisch-abrahamitische Gestalt) „keine von uns“ sei. Zweitens würde die Kampagne, gemäß dem blütenweißen Capslock-Slogan, folgende Message vermitteln: „Wenn du denkst, du könntest hier höhere Weisheiten unter unser Volk bringen, dann hast du dich getäuscht.“

Das Interessante an Kloß’ Argumentation ist, dass sie unwillentlich deutlich macht, was das eigentliche Problem mit dem digitalen Werbe-Vorstoß der INSM ist: Die Anzeige beruht auf widersprüchlichen Bildern. Damit produziert sie ebenso unstimmige Aussagen – was ihre Entschlüsselung erschwert und zu Paradoxien in ihrer Deutung führt. Vor allem aber offenbart die symbolische Schieflage der Werbung die Nervosität einer „unternehmerfreundlichen“, das heißt neoliberalen Denkfabrik, der die Möglichkeit eines grünen Wahlerfolgs (trotz der Diskussionen um Baerbocks fehlerhaften Lebenslauf) Kopfzerbrechen bereitet.

Eine sprechende Werbe-Initiative

Aber inwiefern ist die INSM-Werbung, in dem, was sie aussagt, inkonsistent? Und inwieweit durchziehen eben diese Widersprüche auch die entsprechenden Reaktionen und Analysen in der Presse? Nun: Durch das Zusammenspiel von Bild und Text macht die Anzeige zunächst einen Kontrast zwischen Annalena Baerbock und der historisch-biblischen Moses-Figur auf. Schließlich wird Baerbock zwar als prophetische Heilsbringer-Figur in Szene gesetzt, jedoch scheitert sie – im Gegensatz zu Moses – an dem Unterfangen, das „Volk“ zu retten und in eine bessere Zukunft zu führen. Daran lässt der plakative Leitspruch keinen Zweifel.

Der „echte“ Moses fungiert demnach als eine positiv besetzte Kontrastfigur. Der in etwaigen Zeitungen und Zeitschriften erhobene Antisemitismus-Vorwurf lässt sich damit ein Stück weit entkräften, da Antisemitismus nach einer von Kloß’ selbst zitierten Definition darauf beruhe, „Personen, die als Juden wahrgenommen werden, aufgrund dieser Zurechnung zum jüdischen Kollektiv negative Eigenschaften [zu] unterstellen“. Dies ist hier so nicht gegeben. Die genannte Anschuldigung verliert weiter an Plausibilität, wenn man bedenkt, dass der Prophet Moses nicht nur im Juden-, sondern auch im Christentum eine zentrale Rolle spielt und für gläubige Christen als heilig gilt. Damit verliert die These, dass Moses in der INSM-Anzeige tatsächlich, wenn auch unterschwellig, als das Jüdisch-Andere skizziert wird, an Überzeugungskraft. Letztlich ist er als siegreicher wie gutmütiger Patriarch das Idealbild, an dem sich Baerbock zu ihrem eigenen Nachteil messen muss, an das sie gleichsam nicht heranreichen kann.

Doch hier der Clou: Baerbock wird in der Werbeanzeige mit den zwei Steintafeln abgebildet. Diese hat Moses erst von Gott erhalten, nachdem er die Israeliten von dem Joch der Sklaverei in Ägypten befreit hat. Demzufolge stehen in der INSM-Werbung auch Bild und Text in einem eklatanten Gegensatz zueinander – und eben dies ist das Irritationsmoment, durch das sich die INSM entlarvt. Denn gleichzeitig zu sagen, dass „grüne Verbote nicht ins Gelobte Land führten“ und die Grünen-Spitzenkandidatin in triumphaler Pose mit der gottgegebenen Bundesurkunde zu zeigen, macht letztlich vor allem eins deutlich: Einen Sieg der Grünen bei den nächsten Wahlen halten liberalistische Organisationen wie die INSM durchaus für möglich – und das bereitet ihnen Sorgen. Ihren Niederschlag finden solche Befürchtungen dann in geschmacklosen wie widersinnigen Werbekampagnen.

Jean Lichtfous
16. Juni 2021 - 13.21

@ Madame Christine Lauer - Zitat: "Ihren Niederschlag finden solche Befürchtungen dann in geschmacklosen wie widersinnigen Werbekampagnen." Firwat dréckt Dir dann dës Foto, Ären Text wär vollop duer gang. Esou multiplizéiert Dir déi dégelasse Capagne.

Liëser
16. Juni 2021 - 12.44

INSM wollt wahrscheinlech just an t'Gespréich kommen, dat ass jo gelongen.

Jimbo
16. Juni 2021 - 10.37

Dat do ass dat beschte Beispill, dass e näischt muss kënnen vir Politiker ze ginn. Dat Framensch huet vun näischt eng Ahnung, gett vun den däitsche Medien gehyped an duerno setzt et do a leisst sech vir deier Geld berooden wat et dann elo do soll machen…

Jemp
15. Juni 2021 - 13.15

Obschon ich mit einer "INSM" nicht das geringste am Hut habe, finde ich die Karikatur ziemlich zutreffend. Hier nach Antisemitismus zu suchen ist vergleichbar damit einen Glatzkopf an den Haaren herbeiziehen zu wollen.

HTK
15. Juni 2021 - 11.03

In Zeiten wo alles Diskriminierung,Antisemitismus,Sexismus,Frauenfeindlichkeit,usw. ist,braucht man sich nicht zu wundern,dass hinter jeder Hecke ein "Idiot"( das ist diskriminierend ich weiß,aber mir fällt kein Ersatzwort ein um solche Menschen einzuordnen) sitzt,der an allem etwas auszusetzen hat. PS: Wussten sie schon: " Dass Moses eigentlich 3 Tafeln mit 15 Geboten den Berg hinabtrug,unterwegs aber eine fallen ließ? Sonst hätten wir heute 5 mehr an der Backe.

Blücher
15. Juni 2021 - 9.18

Ich kann nur den Kopf schütteln mit welch stupiden Argumentationen das Grünvolk und Gefolge versuchen ihre Gegner zu diffamieren. Ich erinnere mich so mancher Karikatur , Fotomontage in Konkret, Titanic mit dem Prädikat „unter die Gürtellinie „ und von Grünvolk, Linken beklatscht wurden.

Realist
15. Juni 2021 - 7.28

"Antisemitische Ressentiments" weil Frau Baerbock mit Hilfe eines Standbildes aus einem alten Hollywood-Streifen mit Charlton Heston als Moses mit den Gestzestafeln persifliert wird? Nicht übel, was da zurzeit in Deutschland abgeht.