/ Allmorgendliche Zeitungsqual

Von unserem Korrespondenten Thomas Roser
Die Warnung war kurz und eindringlich, aber aufrichtig gemeint. „Warum kaufen Sie denn gleich so viele davon?“, fragte der neue Verkäufer im Kiosk an der Belgrader Maxim-Gorki-Straße besorgt, während er sichtbar angewidert mir den gerade abgerechneten Zeitungsberg über die Kassentheke schob: „Passen Sie auf! Diese Blätter vergiften das Hirn!“
Die entspannte Lektüre von Zeitungen hatte ich zeit meines Leserlebens eigentlich immer geschätzt. Doch die Zeiten, in denen das allmorgendliche Rascheln durch die Welt der Politik, des Fußballs und des Tratsches mit einer frisch aufgebrühten Tasse Kaffee zu einer der angenehmsten Momente des Tages zählte, liegen schon lange zurück: Seit meinem Umzug nach Belgrad vor über einem Jahrzehnt ist der tägliche Abstieg in Serbiens berüchtigten Pressesumpf eher berufsbedingte Qual als entspannter Genuss.
Schon lange bevor der Ausdruck der sogenannten „Fake News“ die Medienwelten eroberte, hatte sich die Praxis gezielt eingesetzter Falschmeldungen im Kriegsjahrzehnt der 90er-Jahre in den Redaktionsstuben des zerfallenden Jugoslawiens fest eingenistet: Mit von Geheimdiensten gespeisten Propagandameldungen über die Opfer der eigenen und die tatsächlich oder vermeintlichen Gräueltaten der anderen Nation versuchte die regierungsgesteuerte Presse über alle neuen Grenzen hinweg, die Moral an der Heimatfront zu heben – und die von den eigenen Waffenträgern begangenen Verbrechen zu kaschieren.
Die Jugoslawienkriege sind längst vorbei, Serbiens einstiger Informationsminister Aleksandar Vucic mittlerweile gar zum Staatschef mutiert. Doch noch immer oder wieder bestimmen die Geheimdienste und Spindoktoren der Regierungsparteien bei Serbiens weitgehend handzahm gemachten Medien den Takt.
Bluttriefend und ohne Rücksicht
Ob düstere Auslandsmächte, böswillige Oppositionspolitiker und obskure Geldgeber nun vermeintliche Staatsstreiche und Attentate gegen den unerschrockenen Landesvater planen oder ausländische Tierschänder gar die Massenvergewaltigung heimischer Straßenhunde ins Auge fassen: Wilde Verschwörungstheorien sind Trumpf und vermitteln den Lesern den Eindruck, dass sich die Sonne der Weltöffentlichkeit unaufhörlich vor allem um Serbiens geplagte Erde dreht.
Doch es sind weniger die täglichen Propagandaergüsse sattsam bekannter Politikernasen als Stil und Sprache, die die Zeitungslektüre selbst für Berufsleser zur Qual machen. Ungehemmt drohen Goldkehlchen, Reality-Show-Stars oder Halbweltgrößen unter dem Einsatz vulgärsten Vokabulars ihren jeweiligen Müttern, Schwestern und Töchtern Totschlag und sexuellen Missbrauch an. Bluttriefend und ohne jegliche Rücksicht auf die Opfer pflegen die Gazetten, jeden Mord oder Verkehrsunfall seitenlang und notfalls monatelang auszuwalzen. Ein Pressekodex besteht nur auf dem Papier. Als „Hurenhaus ohne Wände“ beschreibt das seriöse Wochenblatt NIN entnervt den heimischen Boulevardpressesumpf.
Dennoch erreicht jede Botschaft ihre Leser. „Hast du gelesen? Borussia Dortmund hat Usain Bolt verpflichtet“, begrüßte kürzlich mein Lebensmittelhändler aufgeregt seinen einzigen deutschen Kunden. Mein Einwand, dass es sich eher um eine Spaßeinladung zum Probetraining gehandelt habe, der einstige Sprintstar aber keineswegs für Gelb-Schwarz die Stiefel schnüre, beeindruckte ihn hingegen kaum: „Das stand aber im Informer.“ Kritischer sieht hingegen der Zeitungsverkäufer in der Maxim-Gorki-Straße die von ihm unters Volk gebrachten Postillen: „Kaufen Sie lieber Zigaretten – die sind besser für Ihre Gesundheit.“
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