„Administrative Detention“ in Israel: (Teil 1) Regime der Willkür

„Administrative Detention“ in Israel: (Teil 1) Regime der Willkür

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Von Michelle Schmit*

Ins Gefängnis zu müssen, ohne jegliche Straftat begangen zu haben, ist wohl eines der schlimmsten Schicksale, welches einem Menschen widerfahren kann. In einem europäischen Rechtsstaat wie Luxemburg sind wir der Meinung, dass uns so etwas, dank unseres effizienten nationalen Rechtssystems und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg, niemals passieren könnte. Allerdings ist dieses Schicksal bittere Realität für viele Bewohner der besetzten palästinensischen Gebiete.

Der Begriff „Administrative Detention“ sagt einem hier in Europa in der Regel erst mal nichts. Das kommt daher, dass es diese Prozedur in den meisten Ländern der Welt nicht gibt. Es handelt sich um die Festnahme eines Verdächtigen durch einen Soldaten auf Basis geheimer Informationen. Laut Artikel 285 des „Military Order No. 1651“, welcher im Westjordanland aufgrund der Besatzung Israels appliziert wird, kann ein Mitglied des Militärs eine Person festnehmen, wenn Verdacht besteht, dass diese eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellt.

Das klingt, ausgenommen von der Festnahme durch einen Soldaten, gar nicht mal so fremd. In Luxemburg finden Festnahmen ebenfalls nur statt, wenn eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit von der verdächtigen Person ausgeht. Allerdings gibt es gravierende prozedurale Unterschiede, welche eine Verletzung der grundlegenden Menschenrechte, wie etwa das Recht auf ein faires Verfahren und das Recht auf Freiheit, zur Folge haben.

Im luxemburgischen Rechtssystem sind es meistens Anzeigen privater Personen, die zu einer Festnahme führen. Manchmal kommt es aber auch vor, dass Polizeibeamte jemanden auf frischer Tat ertappen und ihn dann festnehmen. Der Gefangene muss nun innerhalb von 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden – sonst wird er freigelassen.

Bei diesem ersten Verhör muss der Untersuchungsrichter dem Verdächtigen offenlegen, was diesem vorgeworfen wird. Außerdem kann der Verdächtige nur in Anwesenheit seines Anwalts verhört werden, es sei denn, er verzichtet ausdrücklich darauf.

Ablauf sieht etwas anders aus

Nach dem Verhör entscheidet der Untersuchungsrichter aufgrund der Aussage und der Umstände, ob der Verdächtige in Untersuchungshaft kommt oder ob er frei gelassen und im Falle einer Anklage für seinen Prozess wiederkommen muss. Die Untersuchungshaft ist nicht begrenzt und hängt von der Dauer der Ermittlungen ab. Der Verdächtige kann jedoch jederzeit eine Anfrage auf vorläufige Aufhebung der Untersuchungshaft stellen, woraufhin das Gericht sich vergewissern muss, ob die Gründe seiner Untersuchungshaft noch immer bestehen. Ansonsten wird der Verdächtige bis zu seinem Prozess freigelassen.

Im Westjordanland sieht der Ablauf etwas anders aus. Hier führen Soldaten Festnahmen aufgrund eines Befehls ihres Übergeordneten oder im Falle einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit durch. Der Verdächtige wird nun innerhalb von 96 Stunden einem Militärrichter vorgeführt, welcher in der Regel die Verhaftung bestätigt und entscheidet, dass die Person in die „Administrative Detention“ kommt.

Man darf hier nicht vergessen, dass in den von Israel besetzten Gebieten das Militärgericht die Strafgerichtsbarkeit über die palästinensische Bevölkerung ausübt. Israelische Siedler, die in diesen Gebieten wohnen, kommen hingegen vor ein normales Zivil- oder Strafgericht. Somit ist die Autorität, die die Festnahmen der Palästinenser durchführt, die gleiche wie jene, die später über die Richtigkeit und Dauer dieser Festnahme entscheidet. Gewaltentrennung? Fehlanzeige.

Der Militärrichter kann eine „Administrative Detention“ verordnen, ohne dem Verdächtigen sagen zu müssen, was ihm vorgeworfen wird. Der Verdächtige wird nicht angehört und muss im Gericht noch nicht einmal anwesend sein. Er hat das Recht auf einen Anwalt, allerdings werden auch vor diesem die angeblichen Straftaten geheimgehalten. Der Verdächtige wird nun für sechs Monate in einem Militärcamp festgehalten.

Oftmals werden die Gefangenen von einem Camp zum nächsten transferiert. Wenn die sechs Monate vergangen sind und der Militärrichter die Anordnung auf „Administrative Detention“ nicht verlängert hat, wird der Gefangene freigelassen. Allerdings ist dies die Ausnahme.

Meist wird in letzter Minute am Tag der Freilassung entschieden, dass die Gefangenschaft um weitere sechs Monate verlängert wird. Es kommt auch vor, dass Gefangene zuerst freigelassen, jedoch einen Tag später wieder festgenommen werden.

Man wird also festgenommen, ob berechtigt oder nicht, ohne zu wissen, was einem vorgeworfen wird, ohne zu wissen, wie lange man in Haft sein wird, ohne die Möglichkeit zu bekommen, sich gegen die Anschuldigungen zu verteidigen.

Dass es zu einer erneuten Festnahme nach Freilassung kommen kann; dass es keine Trennung zwischen der Exekutiven und der Legislativen gibt; dass ein Verdächtiger festgehalten wird, ohne dass er oder sein Anwalt Informationen über die Vorwürfe ihm gegenüber erhält und ohne dass Anklage erhoben wird, ist nicht nur unmoralisch, sondern verstößt auch gegen Artikel 7, 8, 9, 10 und 11 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

1948 nach Gründung eingeführt

Diese halten fest, dass jeder Mensch vor dem Gesetz gleich ist und „Anspruch auf gleichen Schutz gegen jede Diskriminierung“ hat. „Jeder hat Anspruch auf einen wirksamen Rechtsbehelf“ und „niemand darf willkürlich festgenommen“ werden. Jeder Mensch hat „Anspruch auf ein gerechtes und öffentliches Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht“.

Außerdem muss jeder, der wegen einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, als unschuldig gelten, „solange seine Schuld nicht in einem öffentlichen Verfahren“ nachgewiesen wurde. Die Tatsache, dass sich die Gefangenenlager für „Administrative Detainees“ alle – mit einer einzigen Ausnahme – in Israel befinden, verstößt gegen Artikel 49 und 76 der vierten Genfer Konvention, wonach Gefangene eines besetzten Gebietes innerhalb dieses festgehalten und nicht in das Gebiet des Besatzers transferiert werden können.

Laut Amnesty-Reporten werden manche Gefangene nur unter der Bedingung freigelassen, dass sie danach ins Exil gehen. Das heißt, Bewohner des Westjordanlands werden gezwungen, nach Gaza zu ziehen, damit sie aus der „Administrative Detention“ entlassen werden. Diese Zwangsumsiedlung ist ebenfalls eine Verletzung der vierten Genfer Konvention.

Die „Administrative Detention“ wurde 1948, vier Tage nach der Gründung des israelischen Staates, unter britischem Mandat aufgrund des Ausnahmezustands eingeführt. Allerdings befindet sich das Gebiet bis heute in diesem „State of emergency“, was erklärt, dass bis heute solche Festnahmen stattfinden.

Auch wenn das internationale Völkerrecht den limitierten Gebrauch der „Administrative Detention“ in Ausnahmezuständen erlaubt, müssen in jedem Fall die Grundregeln, wie das Recht auf einen fairen Prozess und Verteidigung, gewährleistet werden. Man muss also abwägen, womit solch grobe Verletzungen der grundlegenden Menschenrechte der Gefangenen gerechtfertigt werden können.

* Michelle Schmit (22) ist gebürtige Luxemburgerin, lebt zurzeit in Paris und schließt gerade ihren Master 1 in „Droit international général“ an der „Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne“ ab.

Fantastico
13. Februar 2018 - 13.32

Israel ist kein Rechtsstaat, wenn es nicht vorbehaltlos die Einhaltung der Menschrechte gewährleistet!