Schengen und der Nimbus

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SCHENGEN – Einen Nimbus zu haben, ist Crux und Chance zugleich. Schengen hat beides und ist als Fusionsgemeinde mittlerweile auf 4.900 Einwohner angewachsen.

Das Dorf ist weltbekannt. An vielen Flughäfen gibt es den Ausgang für Bürger aus dem „Schengenraum“ und den für andere Staatsangehörige. Schengen wird als das europäische Dorf in der EU gehandelt, weil es Ursprungsort des kontrollfreien Reisens innerhalb der Gemeinschaft ist. Seine Bekanntheit ist Chance und Crux zugleich, führt es doch nicht selten zu völligen Fehleinschätzungen.

Wie viele Wochenenden für Schengen und die europäische Sache draufgegangen sind, vermag der noch amtierende CSV-Bürgermeister Ben Homan (56) gar nicht mehr zu sagen. Wenn die obersten Staatsvertreter an die Mosel kommen, um dort, wo die Grenzen abgeschafft wurden, für die europäische Idee zu werben, ist er an vorderster Stelle. Mit so viel Prominenz können andere Dorfbürgermeister nicht wuchern.

Falsche Bilder

Da sind die vielen Delegationen aus Nicht-EU Staaten, die Schengen besuchen, nicht mitgezählt. Haben sie sich einmal auf den Weg nach Schengen gemacht, kommt es hier und da zu lustigen Begebenheiten. Eine russische Delegation fragte auf der Fahrt nach Schengen, wie lange sie denn durch den Ort zum Zentrum brauche. „Da waren sie schon daran vorbeigefahren“, sagt Ben Homan und muss immer noch lachen. Noch mehr Lacher ruft die Reaktion hervor, wenn waschechte Schengener an außereuropäischen Zollstellen nach der Einwohnerzahl ihres Geburtsortes gefragt werden. „Da sagt man als Schengener brav: Och, so 600“, sagt Homan. Das stiftet Verwirrung. „600? You mean 600.000?“ Andere Dimensionen eben.

Und so außerhalb der Norm die Bilder über das Dorf sind, so speziell ist auch die Situation als neue Fusionsgemeinde. Ab 2006 wurde sie minutiös vorbereitet, wie auf der Gemeindeseite nachzulesen ist. Im Oktober 2010 ebnete das Referendum den Weg, im November 2011 trat die Fusion in Kraft. Im Fusionsgesetz hat sich die Gemeinde aber „Bonbons“ vorbehalten, um Anlaufschwierigkeiten zu vermeiden. Eines davon ist, dass bei den Gemeindewahlen im Oktober 2011 und im Oktober 2017 die neue Gemeinde noch im Majorzsystem antreten darf. 2011 trat sie sogar noch in drei Sektionen an, im Oktober 2017 ist es nur noch eine.

Neun Dörfer

„Wir können nicht städtisch werden“, sagt Bürgermeister Homan und betont den ländlichen Charakter der neuen Fusionsgemeinde Schengen. Er soll – das ist neben Europa, Wein und Natur im Leitbild der Gemeinde verankert – erhalten bleiben. Unbedingt – zumal jede frühere Gemeinde andere Charakteristika hat.
Bürmeringen ist eher landwirtschaftlich geprägt und bringt mit Elvingen und Emeringen insgesamt drei Ortsteile in die neue Gemeinde. Wellenstein und Schengen sind eher vom Weinbau geprägt und bekannt und steuern mit Remerschen, Schwebsingen, Wintringen, Bech-Kleinmacher weitere vier Ortsteile bei. 35 Millionen Euro sind in der letzten Legislaturperiode laut Gemeinde in die Erneuerung des Kanal- und Wasserleitungsnetzes investiert worden. 15 Millionen Euro müssen noch investiert werden, sagt Homan, bis die Fusionsgemeinde an die beiden Kläranlagen in Perl (D) und Bürmeringen (L), die zusammen mit Mondorf betrieben wird, angeschlossen ist.

Die Sektionen entsprachen den ehemaligen selbstständigen Gemeinden Schengen, Wellenstein und Bürmeringen und sollten dem eventuell aufkommenden Gefühl der neuen Fusionsbürger vorbeugen, sie wären im Rat nicht mehr vertreten. „Wir hatten wie früher noch aus jeder Teilgemeinde Räte im Gemeinderat sitzen“, sagt Homan. Deshalb waren es auch 14 „Conseillers“ und nicht nur noch elf, wie es der neuen Fusionsgemeinde gemäß Einwohnerzahl zustehen würde. Die Wahl geht noch immer nach Namen – auch dieses Jahr –, aber dann nur noch für elf Räte. Zum letzten Mal. „Parteipolitik war bei uns nie Thema“, sagt Homan. Es wird nach der Wahl in der Zukunft eines werden, wenn 2023 auch in Schengen im Proporzsystem nach Listen gewählt wird.

Homan hört im Oktober auf

Da ist Ben Homan, der 24 Jahre als Gemeindepolitiker in unterschiedlichen Funktionen hinter sich hat, schon lange nicht mehr mit von der Partie. Er hört im Oktober auf. Auch für ihn hat sich seit der Fusion viel geändert. Den Bürgermeister von früher, der die Türfarbe bei Neubauten mitbestimmt oder schaut, dass alle Nägel gerade hängen, gibt es nicht mehr. „Mit 4.900 Einwohnern haben wir jetzt ‚Services‘ für die Bürger“, sagt Homan.

Das haben auch die Gemeindebeamten lernen müssen. In der neuen Fusionsgemeinde herrscht ein anderer Arbeitsstil. Sechs Stunden Schule hat Homan zuletzt als Bürgermeister und hauptberuflich Teil eines multiprofessionellen Teams in den letzten Jahren noch halten können. Nach der Wahl im Oktober steigt er wieder voll in seinen Beruf ein. Der Sonderschullehrer wird in Bous und Stadtbredimus weiter Kinder mit „besoins specifiques“ durch die Schulkarriere begleiten. „Ich habe immer gesagt, ich fange in der Schule an und höre in der Schule auf“, sagt Homan. Es hört sich nach einem lang überlegten „Basta“ an – und ohne Wehmut.