Escher „Cité Verte“Zum Tod von Jos. Kollmesch: Die ebenso bewegte wie bewegende Geschichte einer Siedlung

Escher „Cité Verte“ / Zum Tod von Jos. Kollmesch: Die ebenso bewegte wie bewegende Geschichte einer Siedlung
Protest: Ein tragischer Unfall 1979 war der Wendepunkt für die „Cité Verte“ Foto: Broschüre 20 Jahre IV Cité verte

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Die „Cité Verte“ war so etwas wie der erste soziale Wohnungsbau in Esch. 1949 entstand die Siedlung am Stadtrand als Provisorium. Heute existiert sie noch immer. Wendepunkt in der Geschichte war ein tragischer Unfall 1979. Als direkte Konsequenz entstand ein Interessenverein. Dem stand von der ersten Stunde bis zu seinem Tod am vergangenen Sonntag Jos. Kollmesch vor.

„Die Umstände, unter denen wir uns damals dazu entschieden, einen Verein zu gründen, um gemeinsam unsere Interessen zu verteidigen, stimmten uns traurig und wütend. Unser Protest war spontan“, schrieb Jos. Kollmesch in der Broschüre zum 20-jährigen Jubiläum des „Interessenvereins Cité Verte“. Auslöser des Protests war ein tragischer Unfall im September 1979, der nicht nur das Viertel, sondern ganz Esch erschütterte. Jos. Kollmeschs siebenjährige Nichte Christine wurde beim Überqueren der Straße auf dem Weg zur Schule von einem zu schnell fahrenden Lastwagen erfasst und war auf der Stelle tot.    

Jos. Kollmesch 1999
Jos. Kollmesch 1999

So weit hätte es niemals kommen dürfen, denn die Bewohner der „Cité Verte“ hatten sich schon lange darüber beschwert, dass die Straße von Lkws als Schleichweg zur angrenzenden Müllhalde genutzt werde. Eine Lobby aber hatten die Menschen in dieser Siedlung nie, sodass sie beschlossen, sich selber zu helfen. Sie blockierten aus Protest die Straße und ließen niemanden mehr durch. „Die verrufenen Bewohner einer verrufenen Siedlung am Rande einer nur wenig besser angesehenen Stadt hatten verstanden, dass sie nun alles machen mussten, alles, nur nicht zur Tagesordnung übergehen und von Pech oder vom unglücklichen Zufall eines Unfalls reden“, schrieb Guy Assa in der Jubiläumsbroschüre. Ein fünf Punkte umfassender Forderungskatalog wurde aufgestellt: Verlangt wurden „gut sichtbare Fußgängerüberwege“, Ampeln, den Verbot von Lkw-Verkehr, regelmäßige Verkehrskontrollen und ein Spielplatz in der Nachbarschaft, um die Kinder von der Straße zu bekommen.    

Vernachlässigt

Die politischen Entscheidungsträger nahmen den Forderungskatalog sofort an. Und akzeptierten auch den Wunsch der Anwohner, die Bedingungen unter Anwesenheit von Journalisten zu unterschreiben. Denn der Unfall führte den Verantwortlichen schonungslos vor Augen, dass sie jahrzehntelang gesündigt hatten, indem sie die „Cité Verte“ vernachlässigt und sich selber überlassen hatten. Die Siedlung war 1979 in einem desolaten Zustand und wurde durch den tragischen Tod von Christine zu einem Pulverfass. 

Die 24 Häuser waren 1949 und 1950 von der Gemeinde gebaut worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Wohnungsnot groß. Es war kein Zufall, dass die Siedlung am nördlichen Rand der Stadt weit ab vom Schuss entstand. Außer einer Müllhalde gab es dort nichts, die Distanz zu anderen Stadtvierteln war groß. Es ging darum, Unterkünfte für sozial schwache und kinderreiche Familien zu schaffen. Familie Kollmesch zog 1951 in das Haus mit der Nummer 9. Vater Nicolas war ein Malermeister aus Vianden. Da er nach dem Krieg keine Arbeit fand, heuerte er bei der Arbed an. Die Familie mit ihren acht Kindern hauste u.a. in der Hüttenstraße, ehe sie in die „Cité Verte“ zog. „Damals lebten 80 Kinder in der ,Cité‘“, erinnert sich Mathias „Mett“ Kollmesch, einer von sechs Jungen der Familie. Er wohnt noch immer dort und kann sich gut erinnern, wie es damals zuging: „Die Häuser waren nicht so isoliert wie heute. Wir Kinder schliefen auf dem Dachboden und da konnte es durchaus sein, dass wir beim Aufstehen im Winter noch ein wenig Schnee auf unseren Decken hatten.“ Die Armut der Menschen damals könne sich heute kaum einer mehr vorstellen, so Mett Kollmesch.  

Da die Häuser ein maximal zehnjähriges Provisorium sein sollten, waren sie nicht unterkellert. Und mit 80 m2 Wohnfläche zudem nicht gerade groß geraten für die kinderreichen Familien dort. Doch immerhin hatte man ein Dach über den Kopf. Die Menschen, die hier lebten, wurden als Sozialfälle betrachtet. Auf sie wurde im restlichen Esch meist herabgeschaut. Im „Brouch“, wo die Kinder aus der „Cité Verte“ zur Schule gingen, gaben viele Eltern ihren Sprösslingen mit auf dem Weg, nicht mit denen aus der „Cité“ oder der Franziskanerstraße, wo das Kinderheim stand und immer noch steht, zu spielen. „Also blieben wir unter uns“, erinnert sich Mett Kollmesch, „wir spielten Fußball auf der Wiese, ansonsten blieb nicht viel.“

Die Wende

Das Blatt wendete sich mit der Gründung des Interessenvereins (IV) als Folge des tragischen Unfalls. Die Zusagen der Lokalpolitiker gaben den Bewohnern Auftrieb, wie Guy Assa in seiner Zusammenfassung unterstreicht: „Man hatte den Beweis erbracht, dass auch einfache Leute sich etwas erkämpfen konnten und dabei Erfolg haben könnten, unter der Voraussetzung allerdings, dass sie geeint auftreten.“ Der erste Präsident des „IV Cité Verte“ war Jos. Kollmesch. Und der verstand sich gut mit dem 1978 zum Bürgermeister gewählten Jos. Brebsom. Brebsom und der Unternehmer Jean-Pierre „Jhemp“ Kaufmann unterstützten den Interessenverein und das Viertel nach Kräften und wurden später zu Ehrenpräsidenten des Klubs. 

Mit ihrer Hilfe, aber vor allem mit Eigeninitiative bewegten die Menschen aus der Siedlung so manches. Auf der mittlerweile stillgelegten Müllhalde entstand z.B. eine BMX-Piste. Auch beim Spielplatz legte man selbst Hand an. Genau wie beim Vereinsheim, das in Eigenregie gebaut wurde und in dem es dem Vernehmen nach jeden Freitag hoch herging, wenn die Bewohner und die Freunde der „Cité Verte“ zusammen feierten. Es trägt den Namen Jean-Pierre Kaufmann. Nicht immer war man in der Siedlung einer Meinung, doch das Erreichte, der Zusammenhalt und die guten Erinnerungen an gemeinsame Ausflüge oder Angelturniere überwogen allen Streit. Den vielleicht größten Sieg feierte man Ende der 1990er Jahre, als die Gemeinde einer jahrelangen Forderung nachkam und den Bewohnern die Häuser zum Kauf anbot. 950.000 Franken (umgerechnet 23.750 Euro) kostete eine Doppelhaushälfte. Fast alle ergriffen die Gelegenheit beim Schopf. Um zu verhindern, dass die neuen Eigentümer die Häuser gewinnbringend weiterverkauften, mussten sie sich verpflichten, in den ersten 15 Jahren nach dem Kauf wenn dann nur an die Gemeinde zu veräußern.        

Die Frist ist längst abgelaufen, und die Alteingesessenen werden immer weniger. Jos. Kollmesch starb am Sonntag im Alter von 77 Jahren an einem Lungenleiden. Seine Berufslaufbahn verbrachte der Bayern-Fan bei der Arbed auf „Terres Rouges“ und anschließend Belval. Er hinterlässt seine Ehefrau Millie, Tocher Lina und Sohn Dan sowie zwei Enkel. Von den acht Kindern von Nicolas Kollmesch leben nun nur noch fünf, mit Mett und Jemp noch zwei in der „Cité Verte“. Die ist in all den Jahren zu einer ganz normalen Siedlung geworden, die durch die Fertigstellung der „Nonnewissen“ ihren isolierten Charakter am äußersten Rand von Esch nach und nach verliert. Dass das so ist, ist ein Verdienst von Jos. Kollmesch und des Interessenvereins, dem er 41 Jahre lang vorstand.       

Die „Cité Verte“ heute
Die „Cité Verte“ heute Foto : Editpress/Julien Garroy
josy miersch junior
6. Dezember 2020 - 16.59

Guter Kollege aus der früheren Union Cycliste Esch ! Ist sogar selbst Radrennen mitgefahren. In guter Errinerung sehr positiver Mensch !

rue d ehlerange
2. Dezember 2020 - 14.07

Dann missten dei Politesch verantwortlech aus repskt firun desem. Mann och aus der Vergangenheet geleiert hun. Wei oft hun mir schon ander selwechter Stross oo Geforen oomierksam. gemach betreff der schoul op klappen... oo breiwer an doleancen get et null aenrfert... bis kand wuel. rem am petz, respektiv opnder stroos leit. Weg huelt die suergen dei mir iech praisgin beinder schoul an besonnesch dem. zebrastreifen eenz

Back Christiane
2. Dezember 2020 - 13.16

Jos war auch ein Freund von mir so wie viele ander Bewohner der Cite ich war immer gerne dort und wir haben zusammen wunderschoene Abende verbracht wuensche der Familie viel Kraft in dieser schweren Zeit