Coronakrise„Wir rechnen mit neuen Einschränkungen“: Die Situation in den Alters- und Pflegeheimen ist kritisch

Coronakrise / „Wir rechnen mit neuen Einschränkungen“: Die Situation in den Alters- und Pflegeheimen ist kritisch
Besuche sollen soweit möglich weiter erlaubt sein. Aber alle Beteiligten sollen sich, so gut es geht, an die Regeln halten.  Symbolbild: Jonas Güttler/dpa

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Seit über eine Woche steigen auch in Luxemburg die Corona-Neuinfektionszahlen wieder rapide an. In den Alters- und Pflegeheimen ist man darüber mehr als besorgt – und wappnet sich für neue Einschränkungen. 

„Überraschend ist die aktuelle Situation ja nicht. Wir wussten, dass es kommen würde“, sagt Lydie Diederich, Mitglied des Direktoriums der „Association Luxembourg Alzheimer“ (ALA). Seit Monaten warne man vor einer Welle im Herbst. Nun sei sie eben da. In Luxemburg stiegen die Infektionszahlen in den vergangenen Wochen rapide an, die Taskforce rechnet im November sogar mit bis zu 1.400 Neuinfektionen. 

In Luxemburg habe man bisher das Schlimmste abwenden können, sagt Marc Fischbach vom Verband der Luxemburger Alters- und Pflegeheime (Copas) gegenüber dem Tageblatt. „Weil wir die Regeln gut umgesetzt haben.“ Doch nun mehren sich auch die Corona-Fälle innerhalb der Altersheime. „Einzelne Häuser sind akut betroffen, andere hatten seit Anfang der Krise noch keinen Corona-Fall“, sagt Fischbach. Trotz Vorsichtsmaßnahmen könne man nicht verhindern, dass jemand vom Personal, von den Bewohnern oder von den Besuchern das Virus in das Heim einschleppt. „Und wenn es erst mal ein paar Infizierte gibt, kann es leider sehr schnell gehen.“ 

Fischbach bestätigt gegenüber Tageblatt, dass aktuell Gespräche zwischen dem Gesundheitsministerium und dem Familienministerium laufen, um neue Regeln für die Besuche in Alters- und Pflegeheimen einzuführen. Man habe den Behörden ein Stufensystem vorgeschlagen, ähnlich wie es zurzeit auch in der Schule eingesetzt wird. Im Fall eins, bei keinem Infizierten, sollen Besuche wie bisher auch möglich sein. Im zweiten Szenario, bei vereinzelten Corona-Fällen, sollen noch Besuche auf dem Zimmer möglich sein. Im dritten Fall, bei mehreren Infizierten in einem Heim, soll es dort zu einem zeitweisen Lockdown kommen, bis die Infektionsketten unterbrochen sind. Ein System, nach dem die meisten Heime nun schon funktionieren. 

Engpässe beim Personal

„Wir bereiten uns darauf vor, dass es auch bei uns zu einem ersten positiven Fall unter den Bewohnern kommen könnte“, sagt Diederich. Die ALA habe bisher Glück gehabt: Weder im Pflegeheim in Erpeldingen noch in den Tagesfoyers oder im ambulanten Dienst habe sich jemand angesteckt. Vereinzelt habe es unter dem Pflegepersonal einen positiven Test gegeben. „Doch dann haben wir gewissenhaft das Contact-Tracing durchgezogen, die Bewohner isoliert und getestet und den betroffenen Pfleger in Quarantäne gesetzt.“ 

Wenn sich aber die Fälle häufen sollten und mehr Personal in Quarantäne oder Isolierung gehen muss, könnte man Engpässe bei der Pflege nicht ausschließen. Eine Sorge, die auch andere Altersheime teilen. „Personalmäßig stehen wir bisher gut da, doch wenn es in den Krankenhäusern zu Engpässen kommt und Bewohner, die eigentlich wegen anderer Krankheiten als Corona ins Krankenhaus müssten, weiter vor Ort versorgt werden – wir also unser ganzes oder sogar mehr Personal brauchen –, kann das schnell umschlagen“, sagt Nathalie Hanck von den Servior-Einrichtungen. 

Es braucht weiter Disziplin

Man habe mittlerweile gelernt, mit dem Virus zu leben. Doch dazu gehöre es, die möglichen Risiken so gut wie möglich zu limitieren. „Wir brauchen die Disziplin, dass jeder sich an die Regeln hält. Also Masken tragen, Abstand halten und Hände desinfizieren“, betont Hanck. Eine eindringliche Nachricht, die auch Lydie Diederich von der ALA, Marc Fischbach von der Copas und Marc Kayser von „Homes pour personnes âgées“ in unseren Gesprächen mehrfach wiederholen. 

Kayser verfolgt das aktuelle Infektionsgeschehen mit gemischten Gefühlen. „Bei uns war es lange ruhig und plötzlich hatten wir gleich mehrere Fälle“, erzählt er. Anfang Juli habe es im Heim „Sacré Coeur“ in Luxemburg-Stadt den ersten Fall gegeben. Das war eine Pflegerin, die bei ihrer dritten Teilnahme am Large-Scale-Testing positiv getestet wurde. Sofort habe man im Haus bei den Bewohnern und dem Personal das Contact-Tracing durchgeführt. „Aber glücklicherweise hatte sich niemand angesteckt.“ Mitte August zeigte ein Bewohner Covid-Symptome. Dabei handelte es sich um eine Person, die eigentlich wenig mit anderen in Kontakt war. Eine Mitarbeiterin und ein Familienmitglied seien in der Folge ebenfalls positiv getestet worden. „Es kam zu einem Schneeballeffekt.“ Am Ende infizierten sich zwölf weitere Bewohner mit dem Virus. Zehn zeigten keine Symptome, doch eine Person testete mehrere Wochen positiv. 

Als sich ein Cluster abzeichnete, habe man die Entscheidung getroffen, einen kompletten Shutdown von etwa acht Tagen zu machen und alle Bewohner und Pfleger durchzutesten. „So konnten wir dann die Kontaktketten unterbrechen“, sagt Kayser. Seitdem habe es keine weiteren Fälle gegeben – „Ech paken Holz un!“ –, aber unter den aktuellen Umständen sei es eigentlich nur eine Frage der Zeit. 

Besuche wieder zurückfahren – stufenweise

Am Samstag kündigte Gesundheitsministerin Paulette Lenert an, dass man aufgrund der derzeitigen Entwicklung eine große Testoffensive in den Alters- und Pflegeheimen durchführen werde. „Der einzig richtige Weg“, unterstützt Lydia Diederich von der ALA die Entscheidung. Das sei natürlich schon ein enormer logistischer Aufwand, aber „nichts, was uns überrollen wird“. Die Tests würden „so gut wie möglich“ mit den Familien oder Verantwortlichen abgesprochen. Und natürlich müssten die Bewohner der Prozedur zustimmen. „Wir stecken keinem auf Teufel komm raus das Stäbchen in den Hals“, sagt Diederich. 

Man zähle in der aktuellen Situation aber auch darauf, dass die Familien und Besucher ihren gesunden Menschenverstand walten lassen. „Ein Großteil der Familien zeigt ganz viel Verständnis“, sagt Diederich. Doch nun sei es wichtig, die Besuche wieder etwas zurückzuschrauben. „Wir wollen keinen neuen Lockdown“, da sind sich alle vier Gesprächspartner einig. Das sei schlecht für die Psyche der Bewohner, der Familien und der Pfleger. Aber um das Schlimmste zu verhindern, müssten Besuche „en bon sense“ stattfinden. „Man sollte zweimal überlegen, ob es wirklich nötig ist.“