Differdingens KreativeWie Corona den Alltag im „1535°“ bestimmt

Differdingens Kreative / Wie Corona den Alltag im „1535°“ bestimmt
Urban Artist David Soner arbeitet an seinem neuesten Werk – ohne Publikum. „Live Paintings“ musste er während der Pandemie absagen. Foto: Raffael Wilmes

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Live Paintings nein, Tätowierungen ja – Konzerte nein, Comics ja. Wie sehr treffen Pandemie, Lockdown und Restriktionen Kreativschaffende in Luxemburg? Vier Schöngeister aus Differdingens Creative Hub 1535° berichten von ihrer derzeitigen Lage.

Graue Wolken hängen am Mittwochnachmittag über dem mit Autos überfüllten, löchrigen Parkplatz des Differdinger 1535° Creative Hub. Auch der defekte Parkautomat und die Baustelle nebenan vermitteln nicht den Eindruck, dass sich an solch einem unästhetischen Ort ein Sammelbecken für Kreative befinden könnte. Doch tatsächlich haben Musiker, Zeichner, Tätowierer und Grafikdesigner in den ehemaligen Industriegebäuden von ArcelorMittal ihren Platz gefunden.

Einer dieser Künstler ist David Soner. Der 48-jährige Urban Artist aus Metz hat sein Atelier im Gebäudekomplex A eingerichtet. Derzeit verschönert er Gebäude in Luxemburg und sprayt mit seinen Sprühdosen Kunstwerke auf Leinwände. Soner hat bereits viele Projekte umgesetzt. Im September 2020 hat er in Leudelingen eine Wand mit einem Charakter aus der Star-Wars-Serie „The Mandalorian“ verziert. In einem zukünftigen Projekt besprüht er eine Bodenfläche der Escher „Ecole de l’Aérodrome“. In diesem Werk will Soner Spiele für Kinder mit seiner Kunst vereinen.

Doch trotz all dieser Projekte hat auch der Urban Artist unter dem Coronavirus gelitten: „Ich habe 30 Prozent Umsatz gegenüber dem Vorjahr eingebüßt“, erklärt Soner. Seine „Live Paintings“ – das sind Kunstwerke, die vor einem Publikum gemalt werden – sowie alle anderen Veranstaltungen mussten abgesagt werden.

Der Parkschein-Automat vor dem 1535° hat den Betrieb eingestellt
Der Parkschein-Automat vor dem 1535° hat den Betrieb eingestellt Foto: Raffael Wilmes

Firmengründung kurz vor dem Lockdown

Das Besondere an der Kreativfabrik 1535° ist die Interaktion und die Zusammenarbeit zwischen den Kunstschaffenden. Auf einer Fläche von 16.000 Quadratmetern arbeiten heute über 500 Kreative Seite an Seite, sagt ein Mitarbeiter der 1535°-Verwaltung. 

Nicht weit von Soners Atelier liegt das Büro von „Konektis Entertainment“. Die Agentur vermittelt Künstler und übernimmt ihre organisatorische Arbeit. Der junge Musiker Danny Epstein (28) aus Blaschette beschreibt das Ziel des Unternehmens: die Professionalisierung des Künstlerberufes in Luxemburg zu verstärken. „Das Land ist klein, die Leute kennen sich, vor allem in der Musikindustrie.“ In der Luxemburger Musiklandschaft liefe vieles über Bekanntschaften, dies stünde jedoch der Professionalisierung der Branche im Weg. Die Jungs von Konektis hoffen, mit ihrer Arbeit den Weg für Luxemburger Künstler zu ebnen – sodass die von ihrer Kunst Leben können.

Die Gründung von Konektis fiel in jedoch in eine sehr ungünstige Zeit – den Februar 2020. Kurz danach kam der erste Lockdown und sämtliche kulturelle Aktivitäten wurden eingestellt oder reduziert.

Das 1535° verfügt derzeit über 84 Arbeitsräume, die auf zwei Gebäude verteilt sind
Das 1535° verfügt derzeit über 84 Arbeitsräume, die auf zwei Gebäude verteilt sind Foto: Raffael Wilmes

„Spontane kleine Tattoos fallen derzeit ganz weg“

Chris Ribeiros Tattoo-Studie ganz am Ende des Ganges im ersten Stock von Gebäude A ist groß und hell. An den Wänden hängen Projektionsflächen, unter den Decken Beamer. Mit denen sich Kunden normalerweise die Wartezeit mit Videos vertreiben – oder sich von Ribeiros Nadelstichen ablenken lassen können. Jetzt sind die Geräte ausgeschaltet. Die gemütliche Wohlfühl-Lounge ist quasi menschenleer. Auch das Tattoo-Studio des 28-Jährigen, das „Moon Light“, leidet unter den Corona-Restriktionen. Man müsse sich „viel an die Regierung anpassen“, sagt Ribeiro. „Sobald der Höchstwert an zugelassenen Menschen erreicht ist, müssen wir die Tür schließen.“ Wie Konektis besteht Ribeiros Studio erst seit einem Jahr – und hat die Zeiten vor dem Virus nie erlebt. 

Viele Betriebe „leben von den spontanen kleinen Tattoos“, sagt Ribeiro. „Das fällt momentan ganz weg“, da nur Kundschaft mit Termin empfangen werden darf. Laut Ribeiro sind „gute Tattoo-Künstler normalerweise für drei bis sechs Monate im Voraus ausgebucht“. Momentan seien es bei „Moon Light“ maximal drei. Dadurch hätten die Tätowierer weniger Sicherheiten als vor der Corona-Krise.

Mangas aus Differdingen

Verteilt auf zwei Gebäude verfügt das 1535° über 84 Arbeitsräume. Ende des Jahres wird die Renovierung eines dritten Gebäudes abgeschlossen.

Im Gebäude C arbeitet Kumiyo, die auch unter ihrem Künstlernamen Kumiyonoe bekannt ist. Die junge Frau aus Tokio ist eine professionelle Illustratorin und Mangazeichnerin, der japanischen Form von Comics. Das Besondere an den Zeichnungen ist ihre breite Leserschaft – sie richten sich sowohl an Kinder als auch an Erwachsene und in Japan sind sie praktisch überall.

Kumiyo erlebt Corona anders als viele ihrer Künstlerkollegen. „Das Virus hat keinen großen Einfluss auf meine Arbeit“, sagt sie. Regelmäßig erstellt sie auch jetzt Illustrationen für einen Stammkunden. Zudem ist sie derzeit an einer Manga-Ausstellung in Longwy beteiligt. Kumiyo lehrt dort das Zeichnen von Manga-Figuren. Der Workshop sei komplett ausgebucht – 50 Anfragen. Aber wegen der Restriktionen gab es nur sechs freie Plätze.

Kumiyos „Salon du manga“ findet jedoch zu ihrem Bedauern seit 2020 nicht mehr statt – auch aufgrund des Virus. Dabei handelte es sich um ein wöchentliches Treffen in Kumiyos Atelier, bei dem die verschiedensten Mangas besprochen und nachgemalt wurde. Große finanzielle Einbußen bedeutet diese Absage für die Künstlerin aber nicht. Ihren „Salon“ organisierte sie nicht wegen des Geldes – sondern „um zu kommunizieren“.

Ende dieses Jahres soll die Renovierung eines dritten Gebäudes abgeschlossen sein
Ende dieses Jahres soll die Renovierung eines dritten Gebäudes abgeschlossen sein Foto: Raffael Wilmes