Orange Week Trotz „Bleift doheem“: Opfern häuslicher Gewalt die Hand reichen

Orange Week  / Trotz „Bleift doheem“: Opfern häuslicher Gewalt die Hand reichen
Viele Opfer physischer und psychischer Gewalt werden sich erst sehr spät bewusst, dass es zu weit geht Foto: Pixabay

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Gewalt hat verschiedene Gesichter und ist nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Doch um Opfern physischer und psychischer Gewalt Mut zu machen, sich Hilfe zu holen, hat der „Service à l’égalité des chances“ der Stadt Düdelingen eine Kampagne zur Orange Week entworfen.

Häusliche Gewalt kann jeden treffen, unabhängig von Alter, Herkunft, Geschlecht, sozialem Status oder Bildungsstand: Dies betont Annabelle Laborier-Saffran des „Service à l’égalité des chances“ der Stadt Düdelingen. Im Hinblick auf die Orange Week, die vom 25. November bis 10. Dezember stattfindet, hat sich der Dienst zusammen mit dem „Service psycho-social“ und der „Fondation Pro Familia“ zusammengetan, um auf Gewalt gegen Frauen und Mädchen im Allgemeinen sowie häusliche Gewalt im Speziellen aufmerksam zu machen.

Vom Balkon des Rathauses wird dann ein Banner hängen, das auf die Thematik aufmerksam machen soll. „Menschen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, sollen wissen und sich bewusst machen, dass es Hilfestellungen gibt. Und dass sie ein Recht darauf haben, diese in Anspruch zu nehmen“, sagt Annabelle Laborier-Saffran im Gespräch mit dem Tageblatt.

Psychische Gewalt ist für die Außenwelt schwer zu sehen

Um die breite Öffentlichkeit zu erreichen, wird die Kampagne zum einen über Facebook verbreitet und zum anderen eine Broschüre an alle Haushalte verteilt. Darin wird erklärt, was häusliche Gewalt überhaupt ist und wie sie sich äußern und auftreten kann. Schlagen mit oder ohne Gegenstände, mit Füßen treten, ein- oder aussperren oder sexuelle Gewalt sind Beispiele, unter denen die Menschen sich etwas vorstellen könnten, so die Psychologin.

Annabelle Laborier-Saffran leitet den „Service à l’égalité des chances“ der Stadt Düdelingen
Annabelle Laborier-Saffran leitet den „Service à l’égalité des chances“ der Stadt Düdelingen Foto: Editpress/Julien Garroy

Andere Handlungen hingegen sind nicht so bekannt, doch sie können zur häuslichen Gewalt gehören, wenn sie sich permanent wiederholen. Dazu gehört, wenn jemand dauernd heruntergemacht und kritisiert wird, die Post und das Telefon durchsucht werden oder Geld nicht zugestanden wird, das zur Verfügung steht. Psychische Gewalt äußert sich subtiler und ist für viele nicht sofort erkennbar. „Wir wissen selbst nicht so genau, wo unsere Grenzen liegen. Viele Menschen werden sich erst sehr spät bewusst, dass es zu weit geht“, sagt Annabelle Laborier-Saffran. Deswegen sei es wichtig, für sich selbst eine Grenze festzulegen. Ein nationaler Bericht für das Jahr 2019 zeigt, dass psychische Gewalt ein großer Teil der bekannten Fälle ausmacht und fast immer mit im Spiel ist, während dies nicht für physische Gewalt zutrifft.

Düdelingen steht als viertgrößte Stadt des Landes mit den Fallzahlen ebenfalls an vierter Stelle. Das ergibt sich auch durch die Einwohnerzahl. Ob und inwiefern sich die Situation in den letzten Monaten durch den Lockdown und „déconfinement“ verschlechtert hat, ist heute nur schwer einschätzbar, denn Statistiken gibt es noch nicht.

Nicht wegschauen

„Wenn man weiß, wie häusliche Gewalt entsteht, dann ist ein ,Bleif doheem‘ in einer solchen Situation nicht förderlich“, sagt Laborier-Saffran dazu. Die Gefahr einer Eskalation sei stets präsent und es könne auch zu Stress in Haushalten kommen, in denen Gewalt sonst nicht üblich sei. „Auch wenn wir zu Hause bleiben sollen: Wer Opfer von Gewalt ist, darf immer flüchten.“ Obwohl es für die Betroffenen in diesen Zeiten schwieriger sei, Kontakt mit jemandem außerhalb des Haushaltes aufzunehmen oder bei einer Helpline anzurufen.

Für jemanden, der versucht, aus einer Situation von häuslicher Gewalt herauszukommen, ist es wichtig, sich jemanden zu suchen, der ein offenes Ohr hat. „Derjenige kann einen begleiten und stärken, dadurch bekommt das Opfer vielleicht den Mut, einen weiteren Schritt gehen zu können“, so Laborier-Saffran. Denn die Rolle derjenigen, die es mitkommen, aber nicht direkt betroffen sind, ist bedeutend. „Es ist wichtig, nicht wegzuschauen, sondern zu reagieren.“ Wer in eine solche Situation gerät, solle sich in einem ersten Schritt darüber informieren, was er tun kann. Einige Tipps wurden in der vorher genannten Kampagne aufgelistet. Als Zweites müsse versucht werden, unbedingt den Kontakt mit dem Betroffenen aufrechtzuerhalten. Im Notfall sei es richtig, die Polizei über die allgemeine Notrufnummer zu rufen.

Ein weiteres Thema, mit dem sich der „Service à l’égalité des chances“ beschäftigt, ist Alltagssexismus. Dazu gehören strukturelle Diskriminierungen, die auch auf dem Geschlecht basieren können. Solche Fälle sind schwer aufzudecken, denn betroffene Frauen nehmen es als einigermaßen normal wahr, da sie es so gewohnt sind. Das müsse jedoch nicht akzeptiert werden, so die Psychologin weiter. Auch diejenigen, die dafür verantwortlich sind, seien sich der Wirkung nicht bewusst, weil sie so handeln, wie sie es schon immer getan haben.

Seine Privilegien nutzen und solidarisch handeln

Die aktuellen Herausforderungen bei der Gleichstellungsarbeit sind und bleiben für die nächste Zeit dieselben. „Wir sehen, dass sich so manches bewegt, doch es reicht noch nicht.“ Die erste Herausforderung besteht darin, mit Kindern und Jugendlichen an ihren Vorstellungen zu arbeiten, wie ein Mann und eine Frau zu sein haben. Das Rollenverständnis müsse auch für andere Geschlechtsidentitäten geöffnet werden.

Beruflich beschäftigt sich Annabelle Laborier-Saffran viel mit Privilegien und dass Menschen lernen müssen, diese zu sehen. „Es bedeutend zu akzeptieren, dass, auch wenn es mir und unserer Gesellschaft gut geht, es Menschen gibt, die Schwierigkeiten haben. Uns ist wichtig, dass Menschen sich selbst reflektieren und ihre Handlungen überdenken“, so die Psychologin.

Die Gesetzgebung zur Gleichstellung sei nicht schlecht, doch in den Details spielten Einstellungen mit, die die traditionellen Rollenverhältnisse weiter zementierten. Dadurch ergebe sich ein Hierarchiegefälle. Es wird angenommen, dass Männer mehr Autorität haben als Frauen, und ihnen werden eher natürliche Führungsqualitäten zugestanden. Als Pendant dazu müssen die Betroffenen in ihren Rechten gestärkt werden. „Wir müssen an ihrem Selbstwertgefühl arbeiten, denn dann lassen sie weniger Diskriminierungen zu“, sagt Annabelle Laborier-Saffran abschließend.

Einige Anlaufstellen

Der „Service à l’égalité des chances“ der Stadt Düdelingen kann auch als erste lokale Anlaufstelle fungieren (für Einwohnerinnen und Einwohner)
Tel.: 51 61 21-71 30

Helpline bei häuslicher Gewalt: Tel: 20 60 10 60 (tgl. 12.00-20.00 Uhr)
info@helpline-violence.lu | www.helpline-violence.lu

Beratungsstelle für Frauen, Frauenhaus, Fondation Pro Familia
Tel.: 51 72 72 88
www.profamilia.lu

Beratungsstelle für Männer: infoMann
Tel.: 27 49 65
www.infomann.lu

Miette
20. November 2020 - 22.09

Es sind auch Männer von häuslicher Gewalt betroffen, wird leider oft verschwiegen. Durch ein Ehrenamt ( nicht hier in Luxemburg) wurde ich mit dieser Tatsache konfrontiert. Menschen egal welchem Alter oder Geschlechts zugehörig können Opfer in diesem Sinn sein.

trotinette josy
20. November 2020 - 15.44

Gerade in diesen schweren Zeiten, wo bei vielen die Nerven blanlk liegen und die Aggressivität spür- und sichtbar zunimmt, müssen die Schwachen - Kinder und Frauen- vor häuslicher Gewalt geschützt werden. Sie brauchen dringend Hilfe und Unterstützung.