Radsport Tom und Luc Wirtgen: „Früher ging es uns nur darum, Trinkflaschen zu bekommen“

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Luc und Tom Wirtgen bilden ein harmonisches Brüderpaar, das seit 2020 zusammen auf der ProTour unterwegs ist

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Seit letzter Saison fahren die Brüder Luc und Tom Wirtgen zusammen in einer Mannschaft auf der ProTour. Die beiden Radsportler leben aktuell einen Traum, den sie schon seit ihrer Kindheit anvisierten. Im Gespräch mit dem Tageblatt erzählen die Bingoal-Wallonie Bruxelles-Profis von ihrer Kindheit, den Zielen und ob sie sich auch vorstellen könnten, getrennte Wege zu gehen. 

Tageblatt: Tom und Luc Wirtgen, Sie haben Ihre erste gemeinsame Saison in der ProTour hinter sich. Hätten Sie es sich in Ihrer Kindheit erträumt, gemeinsam so weit zu kommen?

Luc: Wenn ich ehrlich bin, habe ich von Anfang an so weit geträumt. Das Ziel war von Anfang an, Profi zu werden. Das haben wir uns auch früher so vorgestellt. Als Kinder sind wir Rennen gefahren und sind mit den Namen unserer Idole gefahren. Der Traum war immer im Hinterkopf, aber dass es klappt, ist umso schöner.

Wer waren Ihre Vorbilder?

Luc: Bei Tom war es immer Jens Voigt und ich hatte Alexander Winokurow als Vorbild. 

Und dann kam es immer zu spannenden Duellen auf den Straßen von Hostert zwischen Vinokourov und Voigt?

Tom: Wir sind im Dorf Rennen gefahren, jeder wollte der Beste sein. Aber es war nur zum Spaß. Ärger gab es zwischen uns nie.  
Luc: Es gab mehr Konkurrenz zwischen uns und den Nachbarskindern als untereinander (lacht). 
Tom: Das stimmt. Wir hatten aber auch bessere Fahrräder, weil wir schon die Yuppi-Trophäe gefahren sind. Wir wollten schon früh die Besten sein und hatten klare Ziele. Wir kannten auch jeden Radprofi, die Nachbarskinder hingegen hatten nur ein Rad aus dem nächsten Laden und sonst nicht viel mit dem Sport zu tun (lacht). 

Sie waren also schon früh mit dem Radsport beschäftigt.

Luc: Die ganze Familie ist Radsport-begeistert. Unser Vater, unser Opa oder unser Onkel sind alle Rad gefahren. 
Tom: Wir sind regelmäßig mit der Familie zur Flèche Wallonne gefahren. Als Kinder ging es für uns aber nur darum, eine Trinkflasche zu bekommen. Nach den Rennen ging es Vollgas zu den Bussen, um Autogramme oder Flaschen zu kriegen. Der Rest war damals eigentlich Nebensache (lacht). 

Heute sind Sie diejenigen, die Kindern eine Freude mit Trinkflaschen bereiten … 

Tom: Es ist ein besonderer Moment, wenn ein kleines Kind dich anschaut. Man selbst sieht sich immer noch irgendwie als ganz normaler Mensch. Deswegen kann ich mir nie so richtig vorstellen, dass ein Junge meine Unterschrift möchte. Aber bei mir war das früher genauso. Ob ich Fabian Cancellara oder einen unbekannteren Radsportler gesehen habe, dann bin ich zu ihnen hingegangen.
Luc: Bei den französischen Rennen ist das am coolsten. Da sind oft Familien mit kleinen Kindern. Wenn ein Junge nach meiner Flasche fragt, dann erinnert mich das an meine Kindheit. Wenn man sieht, wie sich die Kleinen für die Flaschen begeistern, dann ist das ein tolles Gefühl – für die Kinder sind das große Geschenke. 
Tom: Leider war das in der letzten Saison wegen des Coronavirus leider nicht mehr so möglich … 

Tom ist zwei Jahre älter als Sie. Haben Sie häufig zu ihm hochgeschaut, Luc?

Luc: Ich habe immer gesehen, welchen Weg er gegangen ist, und wollte dann dieselbe Richtung einschlagen. Ich habe gesehen, welche Erfolge er gefeiert hat, und wollte das auch. Er hat mir außerdem immer sehr weitergeholfen. Wenn ich beispielsweise bei den Débutants fuhr, war er bei den Junioren und konnte mir schon immer zählen, wie es in der höheren Kategorie ablief. Ich wusste dann früher Bescheid als andere. Das war für mich ein großer Vorteil. 

Kaum jemand kennt Sie wohl so gut wie Sie beide Ihren Bruder. Was sind die Stärken Ihres Bruders, Tom?

Tom: Er ist definitiv ein guter Bergfahrer, der auch im Sprint Qualitäten hat. Meiner Meinung nach wird er noch gute Resultate einfahren. Er kann ein Rennen außerdem sehr gut lesen. Persönlich muss ich noch sagen, dass er ein ganz netter Junge ist (lacht). Er ist immer sehr hilfsbereit. 

Und umgedreht?

Luc: Ich glaube, dass wir im Sportlichen in einigen Domänen gleich sind. Wir mögen schwierige Terrains, auch wenn ich die ganz schwierigen Strecken noch lieber mag. Tom mag es eher wellig. Tom ist ein Renntyp, den es nicht oft gibt. Er fährt viele Kilometer im Wind – das ist eine große Qualität. Das trifft auch auf ihn menschlich zu: Er ist immer freundlich und sehr nett – im Rennen manchmal sogar zu nett (lacht). Er fährt des Öfteren zu lange an der Spitze. Einerseits ist das eine große Qualität, andererseits verliert er dann auch viele Körner. Als er noch ein kleiner „Leopard“ (Leopard Pro Cycling Anm. d. Red.) war, ist er mehr vorne gefahren als andere, die länger Profi waren. Er benutzt keine Tricks, um zu sagen, dass er mal eine Runde auslässt. Aber mittlerweile geht es schon besser (lacht). 
Tom: Ich gebe ihm da recht, da müsste ich manchmal klüger sein (lacht).

Wie lautet Ihr Rennprogramm für dieses Jahr?

Tom: Ich fange bei der Tour des Alpes Maritimes et du Var (2.1 / 17.-21. Februar) an, werde dann beim Omloop Het Nieuwsblad (1. UWT / 27. Februar) und dann bei Le Samyn (1. Pro / 2. März) starten. 
Luc: Mein Start erfolgt beim Grand Prix Cycliste la Marseillaise (1.1 / 31. Januar), dann folgen die Tour des Alpes Maritimes et du Var, Drôme Classic (1. Pro / 27. Februar) und  Faun-Ardèche (1. Pro / 28. Februar).

Im letzten Jahr nahmen Sie beide zum ersten Mal an der Flandern-Rundfahrt teil. Wie sieht es für dieses Jahr aus?

Tom: Die Wildcards für die Frühjahrsklassiker wurden noch nicht vergeben. Wir hoffen sehnsüchtig, dass wir bei diesen Rennen dabei sein werden. Flandern und Paris-Roubaix liegen mir sehr am Herzen. 
Luc: Ich war im letzten Jahr beeindruckt von der Flandern-Rundfahrt. Obwohl keine Zuschauer am Rand standen. Ich glaube, mit Zuschauern wird es noch mal eine ganz andere Atmosphäre – auch wenn es in diesem Jahr wohl nicht der Fall sein wird. Im Gegensatz zu Tom sagt mir Roubaix allerdings nicht so zu.

Was ist das Ziel für dieses Jahr? Wollen Sie sich für die WorldTour empfehlen?

Luc: Das ist generell ein Ziel. Ich bin 22, also muss es nicht direkt nach dieser Saison passieren. Alles Step-by-Step. Wenn der Moment kommen sollte, werde ich darüber sehr froh sein. Ich glaube, das kommt alles mit der Zeit. Momentan fühle ich mich bei Bingoal-Wallonie Bruxelles sehr wohl. 
Tom: Für mich ist die WorldTour ebenfalls ein Ziel. Ich bin momentan in einer Mannschaft, die noch keine Grand-Tour fährt. Diese Erfahrung, über drei Wochen am Limit zu fahren, möchte ich unbedingt machen. Welche große Rundfahrt, spielt keine Rolle.
Luc: Wir haben in unserer Mannschaft alles, nur eine Grand-Tour fehlt. Wenn das bei mir aber nicht möglich sein sollte, bricht für mich keine Welt zusammen. Auf dem Niveau, auf dem wir momentan fahren, sind viele schöne Rennen dabei – dennoch bleibt auch mein Ziel, eine Grand-Tour zu bestreiten. 

Könnten Sie sich überhaupt trennen, wenn Angebote von zwei verschiedenen Teams reinkommen?

Tom: Wir hatten das Ziel, zusammen im Profibereich zu fahren, das haben wir erreicht. Wir würden auch gerne im gleichen Team bleiben, aber manchmal muss man andere Wege einschlagen. 
Luc: Wir haben die Gelegenheit bekommen, bei Bingoal-Wallonie Bruxelles im Profibereich zu fahren – das ist für uns ein großer Traum gewesen. Ich würde gerne weiter mit Tom in einer Mannschaft fahren, aber wenn es nicht geht, dann ist es so. Mein Ziel wäre es, es ähnlich wie die Schleck-Brüder zu machen und zusammenzubleiben. Wenn die Option besteht, zusammenbleiben zu können, dann werden wir auch zusammenbleiben. 

Insgesamt fahren sechs Luxemburger in der WorldTour, Sie beide sind in der ProTour aktiv. Luxemburg hat zwei Startplätze für Olympia – haben Sie sich darüber Gedanken gemacht? 

Luc: Ich würde sehr gerne mal an Olympia teilnehmen, ob in diesem Jahr oder in Zukunft. Ich will das unbedingt mal im Kalender ankreuzen dürfen. Wenn sich in diesem Jahr schon die Gelegenheit ergeben sollte, würde ich niemals nein sagen. 
Tom: Ich glaube, in diesem Jahr ist es für uns beide ziemlich unrealistisch. Mein Ziel ist, in Paris 2024 dabei zu sein. 

Sie kommen aus dem gemeinsamen Trainingslager und leben beide nun getrennt voneinander. Vermissen Sie sich gegenseitig?

Tom: Naja, wir sehen uns fast jede Woche (lacht).
Luc: Ja, man kann ja nicht 24 Stunden am Tag mit dem Bruder zusammen sein (lacht). Auch wenn es schön ist, wir kommen nun in ein Alter, in dem es normal ist, sich weniger zu sehen. 
Tom: Während des ersten Lockdowns haben wir uns sehr wenig gesehen. Das war für uns dann doch etwas speziell.