Interview„Stoff für die Geschichtsbücher“: US-Botschafter Randy Evans verabschiedet sich

Interview / „Stoff für die Geschichtsbücher“: US-Botschafter Randy Evans verabschiedet sich
In US-Botschafter J. Randolph Evans’ Amtszeit fällt auch die Teilnahme Luxemburgs am internationalen Weltraumprogramm der NASA, Artemis. Laut Evans gehört Luxemburg damit zu den führenden Weltraumnationen.  Foto: Editpress/Julien Garroy

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Mit der Wahlniederlage des US-Präsidenten Donald Trump am 3. November war eigentlich auch die Zukunft des US-Botschafters in Luxemburg besiegelt. Dabei hatte der Botschafterstuhl nach Trumps Amtseinführung am 20. Januar 2017 lange leer gestanden. Zweieinhalb Jahre hatte J. Randolph „Randy“ Evans, um dem Botschafterposten im Großherzogtum seinen Stempel aufzudrücken. Das scheint ihm auch gelungen zu sein, wie der gelernte Jurist im Abschiedsgespräch mit dem Tageblatt mehrmals unterstreicht.

Tageblatt: Botschafter Evans, Hand aufs Herz! Was schmerzt mehr: Dass Präsident Donald Trump die Wahlen am 3. November verloren hat? Oder dass Sie Luxemburg verlassen müssen?

J. Randolph Evans: Ach, wissen Sie … Ich bin schon zu lange im politischen Geschäft tätig, um mich großartig aus der Bahn werfen zu lassen. Meine erste Präsidentschaftswahl war die des Demokraten (D) Jimmy Carter aus meinem Heimatstaat Georgia, der 1976 den amtierenden Präsidenten Gerald Ford von der Republikanischen Partei (R) schlagen konnte. Nach Carter, Ronald Reagan (R), George Bush (R), Bill Clinton (D), George W. Bush (R), Barack Obama (D) und Donald Trump (R) war das nun schon die achte Wahl meiner politischen Laufbahn. Natürlich handelt es sich immer noch um ein bedeutendes Ereignis. Allerdings lasse ich mich längst nicht mehr so davon beeinflussen, wie das ursprünglich noch der Fall war. Manchmal gewinnt eben der Kandidat meiner Partei, ein anderes Mal der Kandidat der Demokraten. In ihren Grundfesten aber werden die Vereinigten Staaten nicht davon beeinflusst. Luxemburg verlassen zu müssen, fällt mir definitiv schwerer. Meine Erwartungen wurden bei weitem übertroffen.

Als Beobachter konnte man durchaus den Eindruck gewinnen, als fühlten Sie sich gleich heimisch im Großherzogtum …

Absolut! Mir gefällt vor allem der Facettenreichtum dieses Landes. Im Ausland hört man immer, wie klein Luxemburg doch sei. Also stellt man sich auf eine homogene Bevölkerungsstruktur ein. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die Menschen im Norden haben eine andere Identität als die Menschen im Süden. Einwohner aus dem Osten unterscheiden sich von den Einwohnern im Westen. Und die Hauptstädter sind ganz anders als der Luxemburger vom Land. Luxemburg mag vielleicht klein sein, doch hier hat jede einzelne Region seine eigene Identität. In diesen kleinen Unterschieden steckt eine besondere Aussagekraft. Das war erfrischend und außerordentlich lehrreich für mich.

Allein von der Größe her könnten beide Länder nicht unterschiedlicher sein. Doch gibt es etwas, was die USA von Luxemburg lernen könnten?

Luxemburger besitzen die Fähigkeit, auch im Dissens einen Konsens zu erzielen. Nicht jede Unstimmigkeit führt notgedrungen zum Stillstand. Vielmehr bringen es die Luxemburger immer wieder fertig, nach vorne zu blicken und doch noch eine Entscheidung zu treffen. Die Bürgermeister zum Beispiel stammen aus den unterschiedlichsten Parteien. Doch bringen sie es in Luxemburg immer wieder fertig, Land und Leute vor Parteiinteressen zu stellen. In den Vereinigten Staaten hingegen enden Meinungsverschiedenheiten oft in der Sackgasse.

Luxemburger besitzen die Fähigkeit, auch im Dissens einen Konsens zu erzielen

J. Randolph Evans, US-Botschafter

Und umgekehrt? Was können wir von den Amerikanern lernen?

Das ist schwierig … (überlegt lange). Vielleicht, dass das Streben nach individuellem Erfolg nicht unbedingt ein Makel ist? Die Suche nach einem gemeinsamen Nenner muss nicht unbedingt zum Ausschluss der eigenen Ambitionen führen. Beides ist möglich: Man kann durchaus die Allgemeinheit voranbringen und sich selbst verwirklichen. Und: Luxemburg ist größer, als manche Luxemburger denken! Mich überrascht es immer wieder, wenn die politische oder wirtschaftliche Elite vom „kleinen Großherzogtum“ reden. Für mich war die Größe des Landes nie ausschlaggebend. Luxemburg ist vielmehr ein „power house“. Das Großherzogtum ist nicht umsonst eines der ersten Mitgliedstaaten des internationalen Raumfahrtprogramms der NASA. Luxemburg hat vielleicht einen kleinen geografischen Fußabdruck. Dafür ist dieser aber umso einflussreicher in der Welt.

Stichwort Weltraumprogramm: Luxemburgs Teilnahme an Artemis war eines der Ziele, das Sie für Ihre Amtszeit hier im Großherzogtum ausgerufen hatten. Wie sieht es mit den anderen Plänen aus?

Mir liegt noch ein Projekt sehr am Herzen, und das wäre das Andenken an den Holocaust, an dem wir bis zuletzt gearbeitet haben. Doch auch dieses Projekt steht kurz vor dem Abschluss. Ansonsten konnten wir alles verwirklichen, was wir uns vorgenommen haben. Mein Ziel war es vor allem, das Luxemburger Motto – Let’s make it happen – mit der amerikanischen Herangehensweise zu vereinen, die darin besteht, den Blick nach vorne zu richten, ohne die Vergangenheit zu vergessen. Ich denke, das ist uns gleich in mehreren Hinsichten eindrucksvoll gelungen.

Als da wären?

Zum einen die Teilnahme an Artemis, dem internationalen Weltraumprogramm der US-Weltraumbehörde NASA. Dann hätten wir noch ein neues Steuerabkommen, die Zusammenarbeit via WSA in Sanem, das Treffen der 16 US-Außenminister in Europa, Buzz Aldrins Besuch am 50. Jahrestag der Mondlandung, die Gedenkfeierlichkeiten zur Ardennenoffensive vor 75 Jahren und gleich vier Visiten von Mitgliedern des US-Kongresses … Mit all diesen Ereignissen konnten wir der Welt zeigen, dass Luxemburg ein wichtiger Partner ist, der eine Führungsrolle übernehmen kann. Ich bin überzeugt, dass das Land die Früchte dieser Arbeit über Jahre hinweg ernten wird. Allein die Teilnahme an Artemis gibt Luxemburg eine ganz neue Identität: die einer Weltraumnation.

Allein die Teilnahme an Artemis gibt Luxemburg eine ganz neue Identität: die einer Weltraumnation

J. Randolph Evans, US-Botschafter

Wie würden Sie diese Arbeit heute allgemein bewerten?

Vor kurzem noch hatte ich ein Gespräch mit dem Kollegen aus Polen. Dabei ging es tatsächlich um die Frage, wie er die Arbeit der US-Botschaft in den letzten zweieinhalb Jahren in einem Wort bewerten würde. Er entschied sich für „pace“ – Geschwindigkeit. Die habe nie nachgelassen, so der Kollege. Meiner Meinung nach, spiegelt das die zahlreichen wichtigen Ereignisse wider, die wir in kürzester Zeit in Luxemburg organisieren konnten.

Und was hat Ihnen am meisten Spaß bereitet?

Bei einer geschichtlichen Nachstellung in Munshausen zum Erntedankfest vor zwei Jahren durfte ich mit einem Panzer aus dem Zweiten Weltkrieg fahren. Das hat richtig Spaß gemacht! (lacht) We had a ball! Dieses Gerät würde ich doch glatt mit nach Hause nehmen …

Die Nachstellung aus dem Zweiten Weltkrieg in Munshausen wird Randy Evans noch lange in Erinnerung bleiben
Die Nachstellung aus dem Zweiten Weltkrieg in Munshausen wird Randy Evans noch lange in Erinnerung bleiben Foto: Editpress/Julien Garroy

Und jetzt mal im Ernst: Gibt es tatsächlich etwas, das Sie gerne mit nach Hause nehmen würden?

Das tue ich bereits: die zahlreichen Erfahrungen aus zweieinhalb Jahren in Luxemburg. Ich bin mir nicht sicher, ob wir an einem anderen Botschafterposten mehr hätten erreichen können. Es gibt sicherlich Posten in größeren Ländern, mit mehr Mitarbeitern, mehr Möglichkeiten und Infrastrukturen. Ich denke aber nicht, dass es eine Mannschaft gibt, die mehr verwirklichen konnte. Das haben wir auch Luxemburg und seinen Akteuren zu verdanken. Mit Premierminister Xavier Bettel, den Vizepremiers Etienne Schneider und Felix Braz, die später von François Bausch und Dan Kersch ersetzt wurden, sind in Luxemburg wirklich gute Leute am Werk. Bausch macht eine hervorragende Arbeit! Das gilt auch für Franz Fayot und Pierre Gramegna.

Er habe in den letzten zweieinhalb Jahren viel in und von Luxemburg gelernt, betont Randy Evans im Gespräch mit dem Tageblatt-Reporter
Er habe in den letzten zweieinhalb Jahren viel in und von Luxemburg gelernt, betont Randy Evans im Gespräch mit dem Tageblatt-Reporter Foto: Editpress/Julien Garroy

Die Beziehungen zwischen den USA und Europa waren in den letzten vier Jahren aber nicht immer die besten. Hat Präsident Trumps unorthodoxe Auffassung der transatlantischen Diplomatie Ihnen den Job manchmal nicht doch etwas erschwert?

Ehrlich gesagt habe ich das nie so wahrgenommen. Wohl auch, weil ich immer auf der Suche nach einem gemeinsamen Nenner war. Ich habe mich nie lange mit Unstimmigkeiten aufgehalten. Vielmehr habe ich versucht, mich Projekten zu widmen, bei denen die Zusammenarbeit im Mittelpunkt stand. Natürlich hatte ich auch das Glück, hier mit Politikern zusammenzuarbeiten, die der gleichen Auffassung waren. Mit dem ehemaligen Vizepremier Etienne Schneider konnten wir einmal spätabends im Restaurant eine wichtige Absichtserklärung unterzeichnen … auf dem Deckel einer Speisekarte! (lacht) Das ist doch Stoff für die Geschichtsbücher! Wir durften Buzz Aldrin in Luxemburg Willkommen heißen, und das exakt 50 Jahre nach seiner Mondlandung mit Neil Armstrong. Wir hatten wunderbare Feierlichkeiten zum Gedenken an die Ardennenoffensive vor 75 Jahren. Und das alles innerhalb von nur zweieinhalb Jahren. Niemand hätte das im Voraus für möglich gehalten.

Ich bin mir nicht sicher, ob wir an einem anderen Botschafterposten mehr hätten erreichen können

J. Randolph Evans, US-Botschafter

Und jetzt geht es zurück in die Vereinigten Staaten. Mit schwerem Herzen?

Eigentlich war immer klar, dass ich nur eine Amtszeit übernehme. Wir wussten immer, dass wir am 20. Januar 2021 zurück in die Vereinigten Staaten fliegen. Vielleicht ist das auch der Grund für das hohe Tempo, das wir in den letzten zweieinhalb Jahren an den Tag gelegt haben. Ich wusste immer, dass unsere Zeit in Luxemburg begrenzt ist.

Was steht als Nächstes auf dem Programm?

Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. An Angeboten soll es jedenfalls nicht mangeln. Jura-Fakultäten haben bei mir angeklopft, mir wurden Professuren angeboten. Ich habe Vorschläge von Anwaltskanzleien erhalten, aber auch von Nachrichtensendern. Ich habe mich noch nicht entschieden. Fest steht: Ich werde mir jetzt mal einen Monat gönnen, um wieder etwas Luft zu schnappen.

Eine Professur wäre auf jeden Fall etwas Neues für Sie?

Genug zu erzählen hätte ich auf jeden Fall. (lacht) Manchmal kommt es mir vor, als hätte ich in den vergangenen zweieinhalb Jahren ein Studium in Weltkriegskunde absolviert. Außerdem bin ich inzwischen Experte in Weltraumkunde … Wir werden sehen …

Werden wir Sie auch zurück in Luxemburg sehen?

Auf jeden Fall! Ich habe viele Freunde gewonnen in den letzten Jahren. Außerdem muss ich doch nach dem Rechten sehen, was unsere zahlreichen Initiativen angeht. (lacht)

Das Gedenken an den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg war eines seiner wichtigsten Anliegen, sagt Randy Evans
Das Gedenken an den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg war eines seiner wichtigsten Anliegen, sagt Randy Evans Foto: Editpress/Julien Garroy

Zweieinhalb Jahre in Luxemburg

Mit der Amtsübernahme des Demokraten Joe Biden endet automatisch auch die Amtszeit des aktuellen US-Botschafters in Luxemburg, J. Randolph Evans. Das Abschiedsinterview mit dem scheidenden Botschafter wurde allerdings schon am Nachmittag des 6. Januar 2021 aufgezeichnet. Nur wenige Stunden später stürmten tausende Anhänger des noch amtierenden US-Präsidenten Donald Trump das Kapitol in Washington, D.C.
In der Folge wurde ein zweites Amtsenthebungsverfahren gegen Trump in die Wege geleitet. Außerdem wurde ein Besuch des US-Außenministers in Luxemburg abgesagt, nachdem Außenminister Jean Asselborn Trumps Beteiligung an den Vorgängen in Washington stark kritisiert hatte. All diese Ereignisse fanden also nach dem Interview mit US-Botschafter Randy Evans statt.
Botschafter äußern sich in der Regel nicht kritisch zu den politischen Vorgängen im eigenen Land. Als Republikaner vertrat auch Randy Evans stets die Linie der Führung in Washington. Dennoch war der US-Botschafter nie um eine Aussage verlegen. Entsprechende Anfragen nach dem eigentlichen Interview zu den Ereignissen in der US-Hauptstadt aber konnten aus zeitlichen Gründen nicht mehr erfüllt werden, da Evans in den letzten Tagen bereits nicht mehr erreichbar war. Nicht zuletzt auch wegen des Feiertags am Montag zum Gedenken an Bürgerrechtler Martin Luther King.
Offiziell wurde J. Randolph Evans am 19. Juni 2018 von Großherzog Henri als US-Botschafter in Luxemburg bestätigt. Zuvor war der gelernte Jurist lange Zeit Partner bei der internationalen Kanzlei „Dentons US LLP“ und Vorsitzender der „Judicial Nominating Commission“ des US-Bundesstaats Georgia. Zwischen 1995 und 2007 war Evans als juristischer Berater des Sprechers des US-Repräsentantenhauses tätig und diente dabei unter anderem dem Republikaner Newt Gingrich, den Evans heute noch als engen Freund bezeichnet.
Neben seinen juristischen Tätigkeiten konnte sich der am 24. September 1958 in Dublin/Georgia geborene Evans vor allem als Autor mehrerer Fachbücher einen Namen machen und veröffentlichte zahlreiche Kolumnen über Ethik und den Klimawandel. J. Randolph Evans ist Absolvent des West Georgia College in Carrollton. Seinen Doktortitel erhielt er 1993 an der Georgia School of Law in Athens.

J.C.Kemp
20. Januar 2021 - 15.56

Hopefully we'll never see that one again.