FußballSébastien Thill: Wenn der Titel winkt

Fußball / Sébastien Thill: Wenn der Titel winkt
Sébastien Thill darf wieder seine bevorzugte Farben tragen Archivbild: Gerry Schmit

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Vom russischen Tabellenletzten zum Leader der moldawischen Liga: Sébastien Thill hat den ersten Meistertitel im Ausland vor Augen. Nach seiner offiziellen Präsentation, Fototerminen und zwischen zwei Trainingseinheiten nahm sich der Profi die Zeit, um zu erzählen, was ihn bei Sheriff Tiraspol erwarten wird, warum er den Blick vom Balkonfenster besonders genießt und wie es um die Konkurrenz steht.

Es war nicht verwunderlich: Das größte Interesse bei seiner Vorstellungsrunde im Verein galt der riesigen Begeisterung für Fußball innerhalb seiner Familie. „Sie wollten natürlich wissen, ob ich davon träume, mit meinen Brüdern in der Nationalmannschaft zu spielen“, fasste Sébastien Thill zusammen. Das waren auch die Kernaussagen des Fernsehbeitrags, der gleich im Anschluss an den Transfer auf dem nationalen Nachrichtensender TCB ausgestrahlt worden ist. 

Thill ist der erste Wintertransfer des Überfliegers der moldawischen Meisterschaft. Die Ambitionen des Vereins waren dem Mittelfeldspieler nicht unbekannt, doch mit der Ankunft in der neuen Heimat wurde dieser Eindruck nur noch bestärkt: „Man kann es mit Luxemburg vergleichen und der Rolle, die Düdelingen in der Vergangenheit spielte. Hier ist es ähnlich. Es gibt Sheriff und ein, zwei Mannschaften, die sich dranhängen können. Die Infrastruktur ist hervorragend, eben einer Mannschaft mit europäischen Zielen würdig. Zwei Stadien, eine Halle, eine Basketballhalle, ein Schwimmbad, Tennisplätze und acht Trainingsplätze rund um das Teamhotel befinden sich auf dem Riesenkomplex.“ Sheriff Tiraspol wurde 1996 gegründet und schaffte es seither viermal in die Gruppenphase der Europa League (zuletzt 2017/18). Mit 18 Meistertiteln (seit 2001) ist die Mannschaft von Trainer Yuriy Vernydub seit Jahren der Favorit Nummer eins. Übrigens ist nicht nur Thill frisch in Moldawien angekommen, sondern auch der Coach, der im Dezember eingestellt wurde. 

Zu diesem Zeitpunkt beschäftigte sich der älteste Bruder des Thill-Quartetts bereits mit einem Abgang aus Tambow. Der russische Erstligist lag nach 19 Spieltagen auf dem letzten Platz der Premier League und war nicht mehr in der Lage, Löhne zu bezahlen. Als sich die Lage immer weiter zuspitzte, ergriff „Cba“ seine Chance: „Ich stand bereits während der letzten Meisterschaftswoche mit dem Manager in Kontakt und beauftragte ihn damit, etwas Neues zu suchen. In der vergangenen Woche wurde es dann konkret. Doch die Gedanken waren schon länger da. Am Freitag waren beim Auftakt in Tambow nur elf Spieler beim Training. Es ist irgendwie vorherzusehen, dass der Verein untergehen wird.“

Richtiger Moment

Denn genau wie der 27-jährige FLF-Spieler haben viele Kollegen das Weite gesucht. Auch der ehemalige Niederkorner Aleksandre Karapetian dürfte bald weg sein. „Ich habe den richtigen Moment erwischt“, meinte Thill. Denn aus der Abstiegszone wurde er in die Leaderposition katapultiert: „Die Mannschaft war toll, aber man kann auch nicht ein Jahr ohne Lohn weitermachen. Ich bin enttäuscht, dass ich den Verein verlassen musste, aber auch zufrieden, einen besseren Klub gefunden zu haben.“ Der auch besser funktioniert, wie er hinzufügte: „Man merkt es an den Infrastrukturen. In Russland sind die Stadien vielleicht besser, aber der Verein hier ist einfach viel besser geführt. Die Organisation ist hervorragend, es sind Welten Unterschied. Ich bin wirklich zufrieden.“

Auch, weil da beispielsweise in wenigen Monaten ein erster Meistertitel winkt. „Ich bin bestimmt mal Meister bei den Minimes oder so geworden“, lachte er, „aber ansonsten ist mir das in Luxemburg nie geglückt. Es ist bestimmt ein schönes Andenken, es im Ausland zu schaffen.“ Einer, der sowohl von Titel als auch Sheriff Tiraspol ein Lied singen könnte, ist Gerson Rodrigues. Kontakt hatten beide nicht – „aber unser gemeinsamer Manager (Ahmed Nouma) weiß ja über alles Bescheid“, schmunzelte der ehemalige Niederkorner.

Dass es statt eines Jahres in der Profiwelt nun sogar zwei werden sollen, sieht der Mittelfeldstratege als große Chance. Tambow löste den Vertrag auf Wunsch des Luxemburgers auf, weshalb Thill eigentlich wieder ein Niederkorner war. „Dort würde man mir nie Steine in den Weg legen, sie freuen sich alle sehr für mich“ – weshalb das internationale Abenteuer nun bis Juni 2022 weitergeht. „Tiraspol hat mir ein gutes Angebot gemacht“, meinte Thill. Und ein bisschen Progrès-Feeling gibt es aufgrund der identischen Vereinsfarben ohnehin: „Wenigstens ein gewohntes Bild, besser als in Rot. Sonst meinen alle, ich wäre zum Differdinger geworden“, lachte er.

„Es liegt an mir“

An seinen neuen Status und das Profileben habe er sich schnell gewöhnt: „In Russland hatte ich zwei, drei Wochen ein paar Schwierigkeiten, weil es ein anderer Rhythmus war. Es ist allerdings einfacher, um 9 Uhr aufzustehen, um dann um 10 zu trainieren, als um 6 aufzustehen, um um 7 zu arbeiten.“

Besonders schmackhaft wird das Ganze auch durch den Ausblick, der ihn vom Hotelzimmer erwartet. Der Balkon zeigt auf das Sheriff-Stadion, von der anderen Seite aus sieht man die Trainingshalle. Noch ist der Platz mit Schnee bedeckt, aber bereits in der kommenden Woche sollen die Temperaturen bis zu zehn Grad über dem Gefrierpunkt liegen. „Das ist schon was anderes, wenn man bedenkt, dass in Tambow -22 Grad Celsius herrschen.“ Einen kleinen Haken hat das Ganze allerdings: Aufgrund der sanitären Bestimmungen sind Anreisen aus dem Ausland nur selten möglich. Ob ihn seine Freundin in den kommenden Wochen besuchen darf, steht noch nicht fest. „Allerdings wird es viel einfacher werden: Von Charleroi gibt es einen Direktflug nach Chisinau. Danach ist es nur noch eine Stunde bis nach Tiraspol.“

Fest steht zumindest, dass es in vier Wochen wieder einen Liga-Alltag für den Freistoßexperten geben wird. Nach den ersten 24 Stunden vor Ort lautete die Analyse: „Die Konkurrenz ist groß. Es waren 25 Leute beim Training, darunter viele Mittelfeldspieler unterschiedlichster Nationen. Sie wollten mich – und jetzt muss ich mich in die Mannschaft reinspielen. Es liegt an mir.“ Bis dahin hält sich der komplette Kader im eigenen Hotel auf, das traditionelle Trainingslager in der Türkei wurde abgesagt. Thill stört das ohnehin wenig. Er hat wieder große Pläne und Ziele vor Augen.