Schmutziges Gelb

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Kettenabsprung an Andy Schlecks Rennrad beschert Alberto Contador das „Maillot jaune“

Andy Schleck verlor gestern das „Maillot jaune“ an Alberto Contador, weil dieser von einem Kettenabsprung Schlecks, den er nicht bemerkt haben will („a wann s de net geess!“), profitierte. „So das Trikot abgeben zu müssen, ist eine Schande“, sagt Lance Armstrong.

Aus Bagnères-de-Luchon berichten „T“-Redakteur Kim Hermes (khe) und „T“-Radsportexperte Petz Lahure (P.L.)

Es hatte nicht sollen sein. Andy Schleck ist sein schönes Gelbes Trikot los. Auf der gestrigen Etappe, die in ihrer Endphase über den Port de Balès führte, wurde das „Maillot jaune“ befleckt. Es war kein sportlicher Kraftakt, der es von der einen auf die andere Schulter beförderte, sondern ein sogenannter „incident de course“ musste herhalten, um Andy seiner Tunika zu entledigen. Getragen wird sie nun von Alberto Contador, dem Tour-Gewinner von 2007 und 2009, der sich damit in eine aussichtsreiche Position bugsierte.

Es waren noch rund anderthalb Kilometer im Port de Balès zu ersteigen, als Andy Schleck attackierte und schnell 30 Meter Vorsprung herausfuhr. Als Erster reagierte Alexander Vinokourov, während sich Alberto Contador in dem Augenblick noch im Feld befand. Dann schlug Andys Kette Purzelbäume. Während der Luxemburger in seinem Elan gestoppt wurde, reagierte der Spanier blitzschnell. Er preschte heran, zog an Schleck vorbei und machte sich mit Menchov und Sanchez auf und davon.

„Jetzt erst recht“

Andy setzte die Füße zu Boden, fummelte nervös an der Kette, drehte am rechten Pedal und stieg wieder in den Sattel. Die Apparatur aber funktionierte nicht, so dass der Träger des Gelben Trikots zum zweiten Mal absteigen musste. Als die Kette endlich drauf lag, wurde Andy von zwei Saxo-Bank-Helfern angeschoben, doch waren wertvolle Sekunden dahin. Oben auf dem Balès lag Schleck 27 Sekunden zurück, im Ziel notierte man deren 39. Und weil Andy vor der Etappe nur einen Vorsprung von 31″ auf Contador hatte, musste er das „Maillot jaune“ bis auf weiteres abschreiben.

„Den Tour ass op alle Fall nach net eriwwer“, war das Erste, was Andy Schleck nach dem schwarzen Montag zwischen Pamiers und Bagnères-de-Luchon in die Mikrofone sagte. „Ech wäert meng Revanche huelen. Dat kann ech verspriechen.“ Andy, der sechs Tage lang das „Maillot jaune“ trug, will das Leibchen auf den verbleibenden Etappen zurückerobern. „Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, die Rundfahrt doch noch zu gewinnen. Jetzt erst recht.“

Gewiss handelte es sich beim gestrigen Vorfall um einen sogenannten „incident de course“ (was immer das auch sein mag), doch steht mit Sicherheit fest, dass Contador und andere sich damit nicht als Kandidaten für einen Fair-Play-Preis ins Gespräch gebracht haben. So hinterließ die Etappe bei jedem einen faden Beigeschmack. Irgendwie stimmte etwas nicht. Einem Unschuldigen wurde etwas geraubt, aber niemand traute sich so recht, mit dem Finger auf den oder die Diebe zu zeigen.

In der Sportgeschichte, auch in der Tour de France, gibt es Präzedenzfälle, bei denen das „Maillot jaune“ durch Fremdeinwirkung in Gefahr geriet und der Gegner nicht probierte, daraus Nutzen zu ziehen. Erinnert sei an die vielleicht bekannteste Szene, als der in Gelb gekleidete Lance Armstrong im Anstieg nach Luz-Ardiden von einem Zuschauer, der am Straßenrand stand, zu Fall gebracht wurde. Jan Ullrich und seine Begleiter fuhren anfangs weiter, doch als sie merkten, was geschehen war, warteten sie auf den „Boss“, der später dann auch die Tour gewann. Einen anderen Vorfall zwischen den beiden Fahrern gab es, als Ullrich (allerdings nicht in Gelb) in eine Böschung fuhr und stürzte, Armstrong ihn aber abwartete. Der siebenfache Tour-Gewinner drückte sich gestern Abend denn auch dementsprechend klar aus: „So das Trikot zu verlieren, ist eine Schande. Es wäre besser gewesen, wenn man auf Schleck gewartet hätte.“

Nichts dieser Art passierte. Kettenabsprünge, Stürze und dergleichen gehören zwar zu einem Radrennen, doch ist es immer wieder schade, wenn die Entscheidung durch einen außersportlichen Vorfall herbeigeführt wird. Contador hat von Schlecks Pech profitiert. Das mag sein gutes Recht sein, auch solches gehört (mit Vorbehalt) zum Sport. Weitaus weniger Verständnis aber kann man für die Erklärung des Spaniers aufbringen, er hätte den Vorfall nicht bemerkt. Sollte das stimmen, muss Contador auf beiden Augen blind sein. Er muss sich also den Vorwurf gefallen lassen, die Unwahrheit gesagt zu haben. Damit muss er fortan leben!

Materialproblem

Der Kettenabsprung vom Port de Balès zeigt einmal mehr, dass es bei einem Radrennen nicht viel braucht, um Träume platzen zu lassen. Die Tour de France dürfte dafür aber noch lange nicht gefahren sein. Alberto Contador liegt in der Gesamtwertung nur 8 Sekunden vor Andy Schleck. Noch zweimal müssen die Fahrer den Tourmalet hoch, zum Ersten heute Dienstag und dann am Donnerstag, von der schwersten Seite her. Der heutigen Etappe wollte Andy Schleck zu Beginn der Tour keine Bedeutung beimessen. Vielleicht hat er jetzt durch den Schicksalsschlag von gestern seine Meinung geändert.

Zum Schluss müssen einige Fragen gestellt werden: Wie konnte dieser Kettenabsprung passieren? Laut Saxo-Team könnte eine Unebenheit in der Straße der Auslöser gewesen sein. Oder stimmte was am vielleicht neuen Material nicht?

P.L.