CoronaReproduktionszahl wieder deutlich über eins

Corona / Reproduktionszahl wieder deutlich über eins
Maskenpflicht sowie Abstands- und Hygieneregeln gelten nach wie vor Foto: dpa/Sebastian Gollnow

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In den letzten Monaten hat sich unser Wortschatz stetig erweitert. Gefühlt sind wir alle zu Epidemiologen geworden. Das sind wir natürlich nicht wirklich. Dennoch wurden wir in die Lage versetzt, Pressekonferenzen und Nachrichten zu verfolgen, in denen ganz selbstverständlich mit Fachbegriffen wie „Verdopplungsquote“ und „Reproduktionszahl“ um sich geworfen wird.

Die Reproduktionszahl gibt an, wie viele Personen im Durchschnitt von einer infizierten Person angesteckt werden. Ein Wert von 2 bedeutet, dass jeder Infizierte im Schnitt zwei andere Person ansteckt. Als wichtige Marke galt deshalb die Reproduktionszahl 1, bei der jeder Infizierte „nur“ eine weitere Person ansteckt. Bei einem niedrigeren Wert, so hieß es, könne man per Kontaktverfolgung Infektionsketten aufspüren und die Lage im Griff behalten. Bei einem Wert darüber droht die Lage außer Kontrolle zu geraten, wenn nicht strenge Maßnahmen wie beispielsweise ein Lockdown verhängt werden.

Zuletzt war es still geworden um die Reproduktionszahl. Andere Zahlen sind in den Vordergrund gerückt. Insbesondere die in Deutschland relevante Marke von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner pro Woche. Diese politische Grenze hat direkte Auswirkungen auf das Leben der Menschen, da Deutschland zum Beispiel den Grenzverkehr zu Luxemburg einschränkt, wenn hier die 50er-Marke überschritten wird. Noch dazu sorgte die Marke für einen handfesten Konflikt zwischen Nachbarn, weil Deutschland dabei nicht berücksichtigt hatte, dass in Luxemburg auch im Ausland ansässige Menschen getestet werden.

Wie steht es nun um die Reproduktionszahl? In Luxemburg ist der Wert wieder – nach wochenlangem Auf und Ab – deutlich über der Einser-Marke. Derzeit liegt die effektive Reproduktionszahl Regierungsangaben zufolge bei 1,25. Zwischenzeitlich war sie sogar auf 1,54 angestiegen. Zum Vergleich: Anfang Juni lag sie noch bei 0,57.

Eine „alarmierende“ Entwicklung

Wissenschaftler sind über den Anstieg der Infektionen nicht überrascht. So meinte beispielsweise Dr. Alexander Skupin Mitte September im Tageblatt-Interview, dass er in gewisser Weise einen Anstieg erwarte. „Die nächsten zwei Wochen werden Aufschluss über das Ende der Urlaubszeit geben und zeigen, ob gesteigerte soziale Interaktionen zu einem weiteren Anstieg führen werden“, sagte Skupin damals. Um das Übertragungsrisiko zu senken, empfiehlt nicht nur die Luxemburger Regierung, Masken zu tragen, auf Abstand zueinander zu gehen und sich die Hände regelmäßig und gründlich zu waschen. All diese Maßnahmen können ihren Teil dazu beitragen, das Risiko einer Ansteckung zu senken.

Auch eine Teilnahme am Large Scale Testing kann dabei helfen, die Ausbreitung einzudämmen. Wird eine bis dahin unentdeckte Infektion erkannt, dann kann die erkrankte Person Schritte einleiten, um keine anderen Personen anzustecken. Zusätzlich können die Kontakte dieser Person ausfindig gemacht und getestet werden und sich im Fall der Fälle auch isolieren. Die infizierten Personen stecken dann im besten Fall niemanden mehr an und die Reproduktionszahl R kann ein wenig sinken.

Gesundheitsministerin Paulette Lenert nannte die aktuelle Entwicklung in Luxemburg alarmierend. Der Großteil der Infektionen kann nicht auf eine bestimmte Aktivität zurückgeführt werden. Anders als in anderen Regionen kann in Luxemburg keine Party, keine Hochzeit und kein Jodelkonzert mit 600 Teilnehmern (!) allein für den Anstieg der Infektionszahlen verantwortlich gemacht werden. Die Gesundheitsministerin erinnerte deshalb daran, dass die Devise „Bleift doheem“ immer noch gilt. Die Logik dahinter: Wer zu Hause bleibt, kann nicht zum Überträger des Coronavirus werden (bzw. nur Menschen aus seinem eigenen Haushalt anstecken).

„Bleift doheem!“

Augenscheinlich halten sich viele Menschen an diese Devise. Dies legen zumindest Daten des Internetkonzerns Google nahe. Der Konzern hat rezente Bewegungsdaten seiner Nutzer mit Informationen, die im Zeitraum vom 3. Januar bis zum 6. Februar 2020 gesammelt wurden, verglichen. Demnach halten sich die Menschen in Luxemburg zu 19% weniger im Einzelhandel, zu 16% weniger an Bahnhöfen und Haltestellen, zu 23% weniger an Arbeitsstätten und zu 9% mehr zu Hause auf. Die Daten deuten allerdings darauf hin, dass mehr und mehr Menschen an ihren Arbeitsplatz zurückkehren. Dass Parks öfter genutzt werden als in der Referenzperiode dürfte niemanden verwundern. Google selbst schreibt allerdings, seine Daten dürften weder zur medizinischen Diagnostik noch zu Prognose- und Behandlungszwecken genutzt werden.

Die Regierung veröffentlicht neben der Reproduktionszahl sowie den Zahlen der Neuinfizierten und Hospitalisierten seit einiger Zeit auch Karten, die Auskunft über die Situation in den unterschiedlichen Kantonen geben. Sie zeigen, dass die Zahl der positiven Fälle pro 100.000 Einwohner besonders in dicht bevölkerten Kantonen hoch ist, also dort, wo die Menschen mehr in Kontakt zueinander stehen (Luxemburg und Esch). Daneben ist aber auch der Kanton Diekirch betroffen, dessen Bevölkerungsdichte wesentlich niedriger ist.

Luxemburg bildet natürlich keine Blase. Auch in den Nachbarländern liegt die Reproduktionszahl wieder deutlich über 1. In Deutschland gibt es kein Bundesland, in dem sie sich unter der Einser-Marke befindet. In Belgien liegt die Reproduktionszahl in allen Provinzen über 1 – mit dem niedrigsten Wert in der Provinz Luxemburg. Auch in Frankreich liegt der Wert R wieder über 1.