DeutschlandReform-Theologe verliert Uni-Lehrbefugnis und sieht sich als Opfer konservativer Verbände

Deutschland / Reform-Theologe verliert Uni-Lehrbefugnis und sieht sich als Opfer konservativer Verbände
Zu liberal? Abdel-Hakim Ourghi wurde in Freiburg die Lehrbefugnis entzogen. Foto: privat

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Dem islamischen Reform-Theologen Abdel-Hakim Ourghi wird in Baden-Württemberg die Lehrbefugnis verweigert. Er betrachtet sich als Opfer konservativer Verbände.

Er leitet seit zehn Jahren den Fachbereich Islamische Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule im baden-württembergischen Freiburg, hat unter anderem das Standardwerk „Einführung in die islamische Religionspädagogik“ verfasst — und soll nun keine islamischen Religionslehrer mehr ausbilden dürfen: Abdel-Hakim Ourghi wurde von der „Stiftung Sunnitischer Schulrat“ die Erteilung der Idschaza (Lehrbefugnis) verweigert.

Dieser Stiftung hatte die von den Grünen geführte Landesregierung vor zwei Jahren die Oberhoheit über den islamischen Religionsunterricht übertragen, weshalb Ourghi seine Lehrbefugnis neu beantragen musste. Der Antrag wurde jedoch vor Kurzem abgewiesen. Begründung: Ourghis wissenschaftliche Ausbildung entspreche nicht den Vorstellungen der Stiftung.

Das will der Abgewiesene nicht auf sich sitzen lassen und hat gegen die Entscheidung berufen: Neben seiner einschlägigen Erfahrung als Leiter des Fachbereiches verweist er auf seine akademischen Abschlüsse: In seinem Herkunftsland Algerien habe er 1991 einen Abschluss in Philosophie gemacht und 2006 in Deutschland an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg in Islamwissenschaft promoviert. Die von der Stiftung genannten Grundanforderungen wären damit erfüllt. Diese sehen nämlich den „Nachweis des erfolgreich abgeschlossenen Lehramtsstudiums im Fach Islamische Theologie/Religionspädagogik oder Islamische Religionslehre bzw. eines gleichwertigen Abschlusses“ vor.

Rotes Tuch für Fundis

Ourghi ist überzeugt, dass es aber gar nicht um die formalen Voraussetzungen für eine Lehrtätigkeit, sondern um die Inhalte seiner Lehre geht. Denn der 53-Jährige kämpft für eine Reform des Islams im Geist der Aufklärung. 2016 gehörte er zu den Erstunterzeichnern der „Freiburger Deklaration“ säkularer Muslime aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Diese träumen „von einer Aufklärung, aus der eine muslimische Gemeinschaft erwächst, die sich als integralen Bestandteil der europäischen Gesellschaft sehen will, die offen und neugierig gegenüber ihren Mitmenschen, der europäischen Kultur und den Herausforderungen der Moderne ist“. Ein Jahr darauf veröffentlichte er „40 Thesen für einen reformierten Islam“ und wurde in Berlin Mitbegründer der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, deren Imamin Seyran Ates wegen zahlreicher Morddrohungen unter Polizeischutz steht. 2018 erschien sein Fundis ebenfalls erregendes Buch „Ihr müsst kein Kopftuch tragen — Aufklären statt verschleiern“.

Es hat Jahre gedauert, bis ich lernte, dass die Juden nicht die Feinde der Muslime sind

Abdel-Hakim Ourghi, Dem Reform-Theologen wurde in Freiburg die Lehrbefugnis entzogen

Zuletzt hatte er sich auch dem Thema Antisemitismus in einer Weise angenähert, die nicht allen Muslimen gefällt: „Mit dreiundzwanzig Jahren kam ich als indoktrinierter Antisemit nach Deutschland. Unsere Sozialisation in unseren Herkunftsländern wollte uns in den Zustand des unsterblichen Hasses gegen die Juden versetzen“, so Ourghi. Es habe Jahre gedauert, „bis ich lernte, dass die Juden nicht die Feinde der Muslime sind“. Dies sei nicht in Algerien oder einem anderen muslimischen Land, sondern erst in Deutschland geschehen.

Ourghi betrachtet sich als Opfer konservativer Islam-Verbände, die auch in der baden-württembergischen Stiftung tonangebend sind. Die staatliche Kooperation mit solchen Dachverbänden sei „eine Gefährdung unseres friedlichen Zusammenlebens“, so Ourghi zum Tageblatt. „Die Stiftung möchte mich daran hindern, dass meine liberale Auffassung von Theologie gelehrt wird.“

Seitens der Stiftung gibt es keine Äußerung zu den Vorwürfen. Stiftungsgeschäftsführer Amin Rochdi will „aus datenschutz- und persönlichkeitsrechtlichen Gründen“ keine Stellungnahme abgeben. Ein Vorstandsmitglied warf allerdings inzwischen das Handtuch: Der in Innsbruck und Wien lehrende Islam-Theologe Zekirija Sejdini, legt diese Funktion – offiziell aus zeitlichen Gründen – zurück. Abdel-Hakim Ourghi mutmaßt, dass Sejdini „um seinen Ruf fürchtete“.

J.C. Kemp
30. Juni 2021 - 9.26

Was hat Gotteskunde (=Theologie) überhaupt an einer Uni zu suchen?