QuergelesenPère Laforgues beschwerliche Kanufahrt ins Indianerland

Quergelesen / Père Laforgues beschwerliche Kanufahrt ins Indianerland
Im theologischen Abenteuerroman „Schwarzrock“ von Brian Moore tritt um 1640 Pater Laforgue seine gefährliche Kanureise in die Wildnis an, um zwei im Gebiet der Huronen tätige Patres abzulösen

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René Oth zu Brian Moores theologischem Abenteuerroman „Schwarzrock“ über den Zusammenprall zwischen Christentum und indianischer Glaubenswelt

In den Jahren 1550 bis 1700 lernten die Küsten-Algonkins im Osten Nordamerikas weiße Händler kennen, die Eisenwaren, Perlen und Alkohol gegen Biberpelze tauschten. Auch machten die Indianer erstmals Bekanntschaft mit Infektionskrankheiten, die die weißhäutigen Kaufleute einschleppten und denen die Indigenen zu Tausenden zum Opfer fielen. Um die traditionelle Kultur der Küstenstämme war es endgültig geschehen, als diese unter dem starken Druck protestantischer Gemeinschaften christliche Denkweisen und Moralvorstellungen annehmen und auf ihren Glauben an die irdische Wiedergeburt, die „Wiederfleischwerdung“ nach dem Tod, verzichten mussten.

Brian Moore
Brian Moore Foto: Twitter/Irish History Bitesize

Jesuiten und Puritaner auf Seelenfang

Als französische Offiziere, Waldläufer und „schwarzröckige“ Jesuitenpatres von Norden, von Kanada her, bis ins Ohio-Tal vorzustoßen begannen, passten sie sich nach und nach den Sitten und Gebräuchen der Rothäute an, brachten für deren Lebensweise Verständnis auf und lebten häufig in herzlichem Einvernehmen mit ihnen. Die Franzosen, die oft in Algonkin-Stämme einheirateten, rüsteten diese mit Feuerwaffen aus, unterwiesen sie militärisch und spornten sie zu Raubzügen gegen die stets nach Westen vorrückende englische Besiedlung an. Die „Schwarzen Väter“, die den Indianern ihre Freuden und Lustbarkeiten – nicht immer ohne Ekel und Selbstüberwindung – gönnten und ihr Brauchtum achteten, behandelten die Ureinwohner ganz anders als die steifen, unnahbaren, bibelwütigen englischen Puritaner, die mit eiserner Strenge und – wenn nötig – mit Feuer und Schwert die Verbreitung des Christentums erzwangen. 

In diesen historischen Kontext hat Brian Moore seinen großen Klassiker, den derzeit neu bei Diogenes veröffentlichten theologischen Abenteuerroman „Schwarzrock“ (*), angesiedelt. Um 1640 tritt Pater Laforgue seine gefährliche Kanureise in die Wildnis an, um zwei im Gebiet der Huronen tätige Patres abzulösen. Laforgue hat noch gar keine Erfahrung im Umgang mit den „Wilden“, wie die Franzosen die Indianer nennen, die ihrerseits die „Schwarzröcke“ als Dummköpfe ansehen, weil diese nicht am Handel mit Pelzen interessiert sind, sondern nur darauf bestehen, ihnen einen Gott zu bringen, der ihnen nichts bedeutet und den sie partout nicht haben wollen. „Beiden Seiten ist dieselbe Einstellung gemein: ein Gefühl kultureller Überlegenheit gepaart mit moralischer Verachtung“, schreibt Julian Barnes schlüssig in seinem Nachwort.

 Foto: Tabletop Deutschland

Zwischen Algonkins und Irokesen

Auf der unsagbar beschwerlichen Fahrt in die Wildnis, auf der Pater Laforgue es mit der Feindschaft der Wilden aufnehmen muss und auch mit der derben indianischen Sinnlichkeit konfrontiert wird, gerät er mit den ihn begleitenden Algonkins in die Gefangenschaft der sinistren Irokesen, die ihnen furchtbare Marter auferlegen. Nachdem er rituellen Kannibalismus erlebt und unsägliches Leid erduldet hat, wird er befreit und gelangt bis zur Huronenmission Ihonatiria, dem Ziel seines Streifzugs, wo er auch nur Verzweiflung, Krankheit und Kummer antrifft.

Obwohl Brian Moores Roman historisch bis in alle Einzelheiten recherchiert ist, sind dem Autor doch einige Schnitzer unterlaufen. In seinem Werk erweisen sich die Algonkins als sehr beschlagen in der Traumdeutung, was der geschichtlichen Realität nicht entspricht. In Wirklichkeit waren es gerade die Irokesen, die sich zu feinfühligen Psychologen entwickelt hatten. Obgleich sie sich oft als blutige Schlächter zeigten, wandten sie schon 200 Jahre vor Freud eine auf Träumen basierende Psychotherapie an. Sie wussten von der Existenz des Unterbewusstseins, kannten die Kraft unbewusster Triebe, verfügten über eine moderne Traumdeutung und über hellseherische Fähigkeiten.

Im Roman „Schwarzrock“ steht der Begriff der Missionierung im Mittelpunkt und mit ihm die dornige Frage, ob überhaupt eine Glaubensrichtung das Recht hat, Andersgläubige zu bekehren und deren Seelen einzusammeln
Im Roman „Schwarzrock“ steht der Begriff der Missionierung im Mittelpunkt und mit ihm die dornige Frage, ob überhaupt eine Glaubensrichtung das Recht hat, Andersgläubige zu bekehren und deren Seelen einzusammeln Foto: Wikipedia

Verwerfliche Missionierung

Père Laforgues Glaube wird auf der langen Reise durch das unerforschte Land empfindlich auf die Probe gestellt. Obwohl er zuletzt tief daran zweifelt, ob er überhaupt die Indianer taufen soll, ringt er sich doch dazu durch, diese „verlorenen Seelen“ zu retten. Brian Moores theologischer Roman gewinnt auch an Aktualität, weil der in seinem Glauben und seiner Menschenliebe schweren Belastungen ausgesetzte Pater sich folgerichtig die Frage stellt, ob er durch die Bekehrung der Ureinwohner, die in einer ganz anderen Welt leben, sich nicht kulturell an ihnen vergeht, auch wenn der heute aktuelle Ausdruck „Ethnozid“ (kultureller Mord) im Buch selbst nicht gebraucht wird, was ja einen Anachronismus darstellen würde.

Im Roman „Schwarzrock“ steht der Begriff der Missionierung im Mittelpunkt und mit ihm die dornige Frage, ob überhaupt eine Glaubensrichtung das Recht hat, Andersgläubige zu bekehren und deren Seelen einzusammeln – mit der „jesuitischen“ Rechtfertigung „Der Zweck heiligt die Mittel“. Dass heute missionarische Tätigkeiten vielerorts auf Ablehnung stoßen, ist deshalb nur allzu verständlich. Diese Fragestellung ist omnipräsent im Buch, auch wenn sie oft nur andeutungsweise auftaucht. Dass für die Indianer bereits jeder zaghafte Bekehrungsversuch eine inakzeptable Zumutung darstellt, hat Julian Barnes in seinem Nachwort zu Brian Moores Erzählung schön und treffend zum Ausdruck gebracht: „Einem Indianer, der sich freiwillig oder unter Druck bekehren lässt, bieten sich erschreckende Aussichten: ein von Weißen bevölkertes und nur Weißen dienendes Paradies, in dem die Indianer auf ewig von ihren Traditionen, ihrer Geschichte und Mythologie – und voneinander – abgeschnitten sind. Die Unterwerfung unter die Schwarzröcke bedeutet letztlich Selbstauslöschung.“

Lesetipp

(*) Brian Moore: „Schwarzrock“, Diogenes-Verlag, Zürich 1987 und 2020, 286 Seiten, gebunden mit vierfarbigem Schutzumschlag, 24,00 Euro, ISBN 978-3-257-07145-0