FußballOlivier Thill verlässt Ufa: „Bin überzeugt, dass ich etwas Besseres finden kann“

Fußball / Olivier Thill verlässt Ufa: „Bin überzeugt, dass ich etwas Besseres finden kann“
Olivier Thill kehrt Russland in der kommenden Woche den Rücken Foto: Jeff Lahr

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Abgeschoben in die zweite Mannschaft, mit dem Appell, sich auf Klubsuche zu begeben: FLF-Nationalspieler Olivier Thill hat unruhige Wochen hinter sich, die am Samstag mit der Vertragsauflösung in Ufa endeten. Wie es jetzt für den 23-Jährigen weitergeht, erzählte er dem Tageblatt in einem sehr persönlichen Interview.

Tageblatt: Mit welchen Gefühlen endete das Kapitel in Ufa am Wochenende?

Olivier Thill: Für mich überwiegen letztlich die positiven Aspekte. Klar, es ist schwierig, plötzlich ohne Verein dazustehen, aber für mich war es die beste Wahl. Ich hoffe, dass ich schnell etwas Neues finde und wieder einen Schritt nach vorne machen kann. Ich freue mich sehr darauf, nach Luxemburg zurückzukommen und jetzt wieder Zeit mit meiner Familie, meiner Frau, meinem Sohn und meinen Freunden zu verbringen. Zwei Monate vor der Geburt unseres Sohnes ist meine Frau nach Luxemburg zurückgekehrt, da wir wollten, dass er dort zur Welt kommt. Die Bedingungen sind im Krankenhaus oder bezüglich der Sprache besser. Aufgrund von Corona war es ihr danach nicht mehr möglich, nach Russland einzureisen, da sie hier keinen Arbeitsvertrag hat und kein Visum besitzt. Deshalb kamen mir die Spiele mit der Nationalmannschaft entgegen, so konnte ich sie wenigstens dort sehen. Ansonsten lief es nur über Facetime …

Es gibt sicherlich auch negative Aspekte?

Ja … Ich habe eben keinen Verein mehr. Dabei fühlte ich mich hier wohl. Es ist schade, dass es so endete. Trotzdem kann ich sagen, dass ich mir nicht viele Gedanken darüber mache, da ich überzeugt bin, im Winter einen neuen Klub zu finden. Deshalb muss ich mich fit halten. 

Wann hat sich erstmals angedeutet, dass Sie keine Rolle mehr in den Plänen des Klubs spielen würden?

Vor einem knappen Monat hat es damit begonnen, dass sie zwei meiner Mitspieler und mich zu einem Gespräch bestellt haben. Sie teilten uns mit, dass es wohl besser wäre, uns nach anderen Vereinen umzusehen, da Ufa finanzielle Probleme habe. Ich habe ihnen dann geantwortet, dass ich das machen würde, ’nur hättet ihr mir das auch zu einem früheren Zeitpunkt sagen können’. Es war spät in der Transferperiode, die meisten Vereine hatten den Spielbetrieb bereits aufgenommen und ihre Kader standen fest. Am Anfang verlangten sie zudem Geld für meinen Transfer. Es war also alles andere als einfach, wegzukommen. Danach haben sie Druck gemacht, mich in die zweite Mannschaft geschickt und dafür gesorgt, dass ich nicht mehr zufrieden war – nur damit ich freiwillig gehen würde. Jetzt habe ich das Beste daraus gemacht. 

Ist dieser Umgang mit Profispielern eine der Lehren, die Sie in diesem Business gezogen haben?

Diese Erfahrung wünsche ich niemandem. Für mich persönlich spielt das keine große Rolle, denn es beschäftigt mich wirklich nicht, wie sie mich behandelt haben. Ich bin ein ruhiger Typ. Mir ging es in dieser Phase hauptsächlich darum, keine Fehler oder Dummheiten zu machen, die ihnen das Recht geben würden, meinen Vertrag aufzulösen. Es sind Dinge, die im Fußball passieren, auch wenn sie nicht schön sind. Man lernt daraus und wird stärker. 

Nehmen Sie es dem Klub trotzdem übel?

Im Endeffekt ist es mir egal, da sie keine Rolle in meinem Leben spielen. Ob ich ihnen morgen noch mal über den Weg laufe oder nicht: Es macht mir nichts aus. Ich stelle mir keine Fragen. Wären es Freunde oder Familie, wäre es etwas anderes. Es ist schade, ich hatte Kollegen und viele Mitarbeiter, die mir nahestanden. Aber die ganz oben … werde ich nicht zum Kaffee nach Hause einladen.

Ist Corona an den finanziellen Sorgen schuld?

Definitiv. Es hat die Sache nicht vereinfacht. Corona hat hier einen großen Einfluss. Die Zahlen sind zuletzt extrem in die Höhe geschnellt. Schlagartig kamen täglich zwischen 15.000 und 20.000 Fälle dazu. Bei uns im Team waren alle infiziert – bis auf drei Spieler, von denen ich einer bin. Das Problem ist, dass vieles vertuscht wird. Phasenweise war es sehr schlimm, was ich miterleben musste. Ich bin froh, dass mir das erspart blieb, vor allem wegen meiner schwangeren Frau. Ich war nicht glücklich, wie mit dem Virus umgegangen wurde. Ich selbst passe auf vieles auf und werde das auch in Zukunft tun.

Sie sind mit 21 alleine nach Russland aufgebrochen. Wie hat Sie diese Erfahrung verändert?

Es war eine große Umstellung. Ohne Mutter, Vater oder Freunde … Es hat meine Freundin und mich sehr verändert. Wir sind selbstständig und reifer geworden. Selbst kochen, waschen, … das war eine richtig gute Erfahrung. Ich spreche Russisch und habe einen anderen Teil der Welt gesehen. Wir Luxemburger neigen ja manchmal dazu, uns zu beschweren. Nach zwei Jahren in Ufa weiß ich: Wir können uns glücklich schätzen. Wenn man sieht, wie die Menschen hier leben, welche Mittel sie haben, wie die Krankenhäuser und Schulen aussehen … Das ist ein Riesenunterschied. Dann versteht man auch, welches Glück man im Leben hat.

Wir haben unter dem aktuellen Trainer in den letzten 12 Monaten nur darauf geschaut, Punkte zu bekommen – egal wie. Wir haben nur verteidigt und hatten nie den Ball.

Olivier Thill, Nach der Vertragsauflösung in Ufa

Und auf sportlicher Ebene?

Ich habe viel im physischen Bereich gearbeitet. In den ersten Monaten habe ich richtig gespürt, dass ich auf dem Platz große Fortschritte gemacht hatte. Das Niveau war ganz anders. In meinem ersten Jahr hatten wir drei verschiedene Trainer, es kam keine Kontinuität rein. Jetzt sage ich mir, dass ich seit gefühlt zwölf Monaten stagniere. Weder der Trainer noch das Spielsystem haben mir etwas gebracht. Ich bin froh, dass ich ein neues Kapitel beginnen kann. Mit einem neuen Coach und einer anderen Spielphilosophie: Wir haben unter dem aktuellen Trainer in den letzten zwölf Monaten nur darauf geschaut, Punkte zu bekommen – egal wie. Wir haben nur verteidigt und hatten nie den Ball. Meine Qualitäten liegen aber gerade in Ballbesitz, doch in Ufa war das nicht oft der Fall. Insgesamt habe ich mich weiterentwickelt, aber trotzdem will ich noch weiter dazulernen. 

Wie sehen die kommenden Wochen aus?

In einer Woche werde ich nach Luxemburg zurückkehren. Ich habe bereits mit Thomas Gilgemann (Sportdirektor des Progrès Niederkorn) telefoniert, sodass ich mich dort fit halten werde und ein wenig individuell arbeiten kann. 

Dort freut man sich bestimmt auf Ihre Rückkehr, auch wenn es nur fürs Training ist?

Thomas hat mir schon berichtet, dass man mir das Trainingsmaterial bereitgelegt hat. Das ging ganz schnell. Ich hatte es mir erwartet. Es ist ja auch mein Verein.

Ändert Ihr Standort etwas bei der Klubsuche?

Nein, überhaupt nicht. Es gibt ja Leute, die sich für mich um die Vereinssuche kümmern. Ich finde zudem, dass es für mich leichter ist, da ich frei bin. Es muss kein Verein für einen Transfer zahlen. Mit 23 bin ich ja noch relativ jung und Nationalspieler. Ich bin überzeugt, dass ich etwas Besseres als Ufa finden kann. Es ist zwar aufgrund von Corona schwierig, aber ich mache mir keine Sorgen, dass ich einen Klub finden werde, bei dem ich glücklich werde. Allerdings gehe ich davon aus, dass ich bis Dezember warten muss. 

Gibt es bereits Ideen oder Kontakte? Wohin soll die Reise gehen?

Nein. Ich konzentriere mich jetzt erst einmal darauf, gesund zu meiner Familie zurückzukehren und diese gemeinsame Zeit zu genießen. Bei der Wahl schließe nichts aus und habe keine Präferenzen. Ich bin niemand, der beispielsweise kategorisch ausschließt, nach Frankreich oder irgendwo anders zu gehen. Ich bin offen für alles, hoffe aber, dass sich schnell ein paar Türen öffnen. 

Anderes, kurioses Thema: Ausgerechnet an dem Wochenende, an dem Ihr Ende bei Ufa bekannt wurde, feierte Ihr Bruder Sébastien sein Profidebüt für den russischen Ligakonkurrenten Tambow. Wie haben Sie diesen Moment erlebt?

Ich habe das Spiel im Livestream verfolgt. Ich bin wirklich überglücklich für ihn. Es lief ja auch richtig gut mit der Torvorlage beim Debüt. Es ist schade, dass ich selbst nicht mehr in der gleichen Liga bin, aber es gibt Schlimmeres. Aber diese Dinge muss man als Fußballer akzeptieren. Ich freue mich für ihn, dass er diesen Schritt gewagt hat. Es sieht gut aus, der Klub ist zufrieden mit ihm. Leider sind sie vor meiner Abreise nicht mehr in ihrer Stadt und es gibt keine guten Flüge, sodass ich ihn nicht mehr besuchen kann.

Wie waren die Kritiken nach seinem Debüt?

Er hat mich gleich nach dem Spiel angerufen, nachdem er bereits mit dem Trainer und dem Präsidenten gesprochen hatte. Sie haben ihm positives Feedback gegeben und ihm mitgeteilt, dass er am Mittwoch beim Pokalspiel in der Startelf stehen wird. Ich hoffe, dass es für ihn so weitergeht. 

Steckbrief

Olivier Thill
Geboren am 17. Dezember 1996
Position: zentrales Mittelfeld
Bisherige Vereine: Rodange, Fola (Jugend), Rodange, Progrès Niederkorn, Ufa (RUS)
Nationalspieler: 27 Spiele, 2 Tore