Tour de France 2021Mythos Mont Ventoux: Zweimal über den „Riesen der Provence“

Tour de France 2021 / Mythos Mont Ventoux: Zweimal über den „Riesen der Provence“
40 Jahre nach seinem Tour-Erfolg kehrte Charly Gaul 1998 im „Maillot jaune“ mit Petz Lahure (rechts) auf den Mont Ventoux zurück Foto: privat

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Zum 17. und 18. Mal steht am 7. Juli 2021 bei der Tour de France der Mont Ventoux im Streckenplan. Auf dem Gipfel wurden bisher zehn Ankünfte gewertet. Sechsmal wurde der „kahle Riese“ während einer Etappe überquert. Erster Sieger auf dem mythischen und mystischen Berg war Charly Gaul im Jahr 1958.

Die Tour-Fans dürfen sich freuen. Nach den Alpenetappen rollt die Rundfahrt Richtung Provence, wo sie am Mittwoch, dem 7. Juli, Kurs auf den Mont Ventoux nimmt. Dieser muss gleich zweimal erstiegen werden. Die Fahrer erreichen den Fuß des Bergs in Sault, einem niedlichen Ort im Département Vaucluse, der 650 m über dem Meeresspiegel liegt und 1.400 Einwohner zählt. Sault, die Heimat des Poeten Jean Giono, gilt als „Hauptstadt“ des Lavendels.

Der Ventoux, und das wissen alle, die schon einmal in der Provence waren, ist ein Unikum in einer herrlichen Landschaft. Niemand weiß, woher sein Name stammt. Die einen meinen, „Ventoux“ hätte etwas mit dem gallischen Wort „Vintur“ (Sieg) zu tun, andere wiederum führen den Namen ganz einfach auf das französische „vent“ (Wind) zurück.

Steinwüste

Der 1.912 Meter hohe Bergriese hat etwas Sonderbares an sich. Drückt die Sonne und ist es heiß, können die Konkurrenten auf den ersten Kilometern zwar im Schatten der Bäume hochfahren, später aber macht die Flora einer Steinwüste Platz, in der kein Grashalm mehr wächst. Bis zum Gipfel knallt die Sonne den Fahrern auf den Schädel. Schutz gibt es keinen mehr.

Der erste Ventoux-Anstieg am 7. Juli 2021 führt über 24,3 km von Sault auf den Gipfel, dann geht’s talwärts nach Malaucène und via Bedoin nochmals 15,7 km den Berg hoch. Der zweite Anstieg ist identisch mit demjenigen vom 13. Juli 1958, als Charly Gaul beim Zeitfahren zum Scheitel des „Géant de la Provence“ mit 31 Sekunden Vorsprung auf Federico Bahamontes gewann. Bei seinem Husarenritt fing Gaul neben den vor ihm gestarteten Franzosen Louison Bobet und Jean Bergaud auch den Belgier Jean Adriaenssens ein und ließ sie in der drückenden Hitze stehen.

Federico Bahamontes, der „Adler von Toledo“, war 1958 der Einzige, der den Abstand zu Gaul, dem „Engel der Berge“, einigermaßen in Grenzen halten konnte. Der Luxemburger gewann mit 31 Sekunden Vorsprung auf den Spanier, während der Franzose Jean Dotto als Etappendritter bereits 2’53“ Rückstand hatte. Jacques Anquetil (Platz 7) büßte 4’09“ ein, Louison Bobet (10.) gar 4’53“. Einen Rang vor dem dreimaligen Tour-Gewinner (1953, 1954, 1955) klassierte sich mit Jempy Schmitz ein zweiter Luxemburger (9. mit 4’53“ Rückstand auf Gaul).

Wegen der großen Hitze hatte Gauls Verpfleger Ferre ihm eine Tasche in die Rückenpartie des Trikots nähen lassen, die mit Eisstücken gefüllt war. Den Radfreaks sei verraten, dass der Luxemburger damals mit einem doppelten vorderen Kettenrad von 44 und 49 Zähnen sowie Hinterradübersetzungen von 15, 17, 19, 23 und 26 Zähnen fuhr, die ihm Mechaniker Mario Ottusi zusammengebaut hatte. Gaul deklassierte die Konkurrenz, doch machte sich zwei km vor dem Ziel, als er vom Heißhunger befallen wurde, die Angst breit. Auf den letzten 1.500 m verringerte sich Gauls Vorsprung gegenüber Bahamontes schnell um 50 Sekunden, doch war der Sieg dem Luxemburger nicht mehr zu nehmen.

Nach Charly Gaul siegten auf dem Ventoux Raymond Poulidor (FRA/1965), Eddy Merckx (BEL/1970), Bernard Thévenet (FRA/1972), Jean-François Bernard (FRA/1987), Marco Pantani (ITA/2000), Richard Virenque (FRA/2002), Juan-Manuel Garate (ESP/2009), Christopher Froome (GBR/2013) und Thomas De Gendt (BEL/2016).

Die Etappe von 2016, die in Montpellier startete, führte allerdings nur bis zum „Chalet Reynard“. Weil der Mistral oben mit einer Stärke von über 100 km pro Stunde blies, hatte Veranstalter ASO schon morgens beschlossen, das Ziel aus Sicherheitsgründen auf rund 6 km unterhalb des Gipfels zu verlegen.

Erstmals seit 1994

Auch am 7. Juli 2021 wird die Mont-Ventoux-Etappe nicht oben nahe dem Observatorium gewertet. Unter der Regie des Département Vaucluse werden bis zum Oktober 2021 Instandsetzungsarbeiten auf und um den Gipfel ausgeführt, sodass es unmöglich ist, einen der Tour angemessenen Zielbereich einzurichten. Das Erreichen des höchsten Punkts ist für den ersten Fahrer demnach nicht gleichbedeutend mit dem Etappensieg, denn der Führende muss danach noch die 22 km lange Abfahrt nach Malaucène (230 m über dem Meeresspiegel, 3.000 Einwohner) meistern. Wer oben allerdings mit Vorsprung an der Spitze passiert, hat beste Chancen, unten auch den Siegerstrauß in Empfang nehmen zu dürfen.

Bisher fuhren erst sechs Fahrer als Erste über den Mont Ventoux, ohne dass dort die Ankunft stattfand: Lucien Lazaridès (FRA/1951), Jean Robic (FRA/1952), Louison Bobet (FRA/1955), Julio Jimenez (ESP/1967), Gonzalo Aja (ESP/1974), Eros Poli (ITA/1994).

* Seine traurigste Stunde erlebte der Mont Ventoux am 13. Juli 1967, als der Engländer Tom Simpson im oberen Teil des Bergs erschöpft vom Rad fiel und noch an der Unglücksstelle verstarb. Später stellte sich heraus, dass er gedopt war. Ein Gedenkstein rund 2,5 km unterhalb des Gipfels erinnert an den schrecklichen Vorfall.