BGL LigueMichel Witte nach seinem Treffer gegen Jeunesse: „Das war nicht einstudiert“

BGL Ligue / Michel Witte nach seinem Treffer gegen Jeunesse: „Das war nicht einstudiert“
Michel Witte hatte maßgeblichen Anteil daran, dass die Etzella weiter ungeschlagen in ihrem „Stade Deich“ bleibt Foto: Wildson Alves

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Ein Fußballspiel dauert eben nicht nur 90 Minuten: Michel Witte, der Ettelbrücker Torwart, kam am Tag nach seinem ganz besonderen Treffer gegen die Escher Jeunesse auf seine Emotionen, den Transfer und eine ganze Menge Kurznachrichten zurück. 

Die Nachspielzeit läuft. Es ist dunkel in Ettelbrück geworden – und der Eckball ist wohl die letzte Offensivaktion, die der Heimmannschaft beim Stand von 0:1 gegen Jeunesse Esch noch bleibt. Etzella-Torwart Michel Witte sieht aus seiner Hälfte für einen Moment ungeduldig zu, sucht dann den Blickkontakt zu Trainer Neil Pattison. „Ich habe ihn gerufen und gefragt, ob ich mitgehen darf. Er antwortete: ‚Ja, geh!’“ Der Rest ist Geschichte und gehört zu den Momenten, die den Reiz des Fußballs ausmachen. 

Am Morgen danach verschickt der 21-Jährige das unscharfe Handyvideo, das von der Ersatzbank aufgenommen wurde, mit einem Augenzwinkern: „Man sieht zwar nicht alles, aber das ist nicht so schlimm.“ Auch die Familie, die in Karlsruhe lebt, hat sich dank des Ausschnitts zumindest ein kleines Bild vom Ausgleichstreffer machen können. „Der Ball wurde irgendwie abgefälscht und kam auf mich zu. Ich habe mit der Brust angenommen und einfach draufgehalten. Das war nicht einstudiert.“ 

Zwei Minuten nach dem Treffer ging er zum Stürmer und sagte: ‚Ich hab’ jetzt schon ein Tor mehr als du auf dem Konto‘

Claude Schumacher, Torwarttrainer der Etzella

Danach brechen alle Dämme. Auf dem Video sieht man davon nichts mehr: Die Kamera zeigt auf die Tartanbahn, während die Jubelschreie einen indirekten Einblick in die Gefühlslage liefern. „Ich glaube, es war uns am Ende allen egal, wer das Tor gemacht hat“, lacht Witte, „obwohl sie schon etwas überrascht waren.“ Da ist es auch nicht ungewöhnlich, dass Angreifer Patrick Stumpf ein paar Späßchen einstecken muss. „Zwei Minuten nach dem Treffer ging er zum Stürmer und sagte: ‚Ich hab’ jetzt schon ein Tor mehr als du auf dem Konto’“, resümiert Torwart-Coach Claude Schumacher. 

Poker mit gutem Ende

Die beiden Deutschen kennen sich über einen Spielerberater. Der Rest – Mannschaft, Liga, Stadien – ist Witte bei der Ankunft in der Patton-Stadt völlig unbekannt. „Wir haben unseren gesamten Torwartkader ausgewechselt und waren auf der Suche nach Ersatz. Und wie das dann so läuft … saß er dann irgendwann im Büro für das Gespräch“, blickt Schumacher zurück. „Es hätte auch schiefgehen können.“ Denn aufgrund der Corona-Einschränkungen war es nicht möglich, den 21-Jährigen vor der Unterschrift des Dreijahresvertrags zu testen. „Pokern“, nennt es der Torwart-Coach. „Mit einem Einsatz, der sich gelohnt hat.“ Witte weiß dieses (fast) blinde Vertrauen zu schätzen. „Ich war schon ein wenig überrascht, andererseits hat man mit einer Ausbildung in Karlsruhe und Stuttgart auch eine gute Vita vorzuweisen. Der Trainer hat ja auch ein paar Onlinevideos gesehen und mir sofort vertraut. Das gibt mir ein Gefühl der Sicherheit.“

Das Gesamtpaket, das der 1,93 Meter große Schlussmann mitbringt, hat den Ettelbrücker Trainerstab überzeugt. „Die Basis, die Größe, die technischen Fähigkeiten und seine Leaderfigur“, fasst Schumacher zusammen. „Es macht Spaß, mit gut ausgebildeten Keepern zu arbeiten. Es wird schwer, etwas zu finden, bei dem er sich verbessern kann. Das ist eigentlich nur noch Feinschliff.“

Der Manuel-Neuer-Typ

Sowohl die Karlsruher als auch die Stuttgarter Ausbildungsjahre haben sich gelohnt. „Ich hätte es fast nicht besser können. Teilweise gab es zwei Trainer, die sich nur um mich gekümmert haben“, blickt der Deutsche zurück. Besonders die technischen Anforderungen hebt er immer wieder hervor. „Man lernt eben mitzuspielen wie ein zusätzlicher Feldspieler. Manuel Neuer ist ein Beispiel dieser modernen Schule, während es bei Oliver Kahn damals noch auf andere Dinge ankam.“ Das vielversprechende Talent durchläuft sowohl die U17- (KSC) als auch die U19-Bundesliga (VfB), bevor er in Stuttgart erstmals in der Regionalliga Spielpraxis sammelt. Der vorletzte Transfer zu BFC Dynamo entpuppt sich dagegen als Fehlentscheidung. Nach nur drei Einsätzen wird er in Berlin ausgemustert und sucht das Weite.

Ich sehe es als Sprungbrett. Es ist wichtig, dass ich überhaupt spiele. Ich habe ja noch ein paar Jahre Zeit.

Michel Witte, Ettelbrücker Torwart

In Ettelbrück findet er, wonach er gesucht hat: „ein familiäres Umfeld und Spielpraxis“. Denn der Traum von einer größeren Karriere ist bei Witte noch nicht geplatzt. „Ich sehe es als Sprungbrett. Es ist wichtig, dass ich überhaupt spiele. Ich habe ja noch ein paar Jahre Zeit.“ Und mit diesem Treffer hat er zumindest in Luxemburg, bei einigen Kollegen und bei der Familie für etwas Aufruhr gesorgt. Nachdem die ersten Nachrichten auf dem Display erscheinen, folgt für Witte trotz der ganzen Euphorie eine ruhige Nacht in seiner Trierer Wohnung: „Ich hab’ zwar ein bisschen länger gebraucht als sonst, aber ich war platt vom ganzen Tag. Wichtig ist, dass wir uns jetzt wieder schnell auf das Spiel gegen Racing konzentrieren. Es war ja auch nur ein Unentschieden und kein Sieg.“

Viel Informationen über den nächsten Gegner hat Witte noch nicht. Genau wie gegen Jeunesse wird ihm sein Torwarttrainer Claude Schumacher die nötigen Tipps kurzfristig mit auf den Weg geben. „Gestern lag das Hauptaugenmerk vor allem auf dem 20er (Xenitidis). Er weiß ganz genau, worauf ich aufpassen muss.“ Den Rest kann Witte eigentlich ganz gut selbst einschätzen. „Ich bin beidfüßig und spiele gerne mit, zudem sehe ich mich als jemanden, der seinen Strafraum beherrscht.“ Aussagen, die Schumacher bestätigt. „Es ist beeindruckend, dass er in seinem Alter schon solche Kommandos gibt.“ Jetzt weiß also auch Patrick Stumpf, was Witte gegen den RFCU Lëtzebuerg von ihm erwartet. Ansonsten wird der Schlussmann der Ettelbrücker wohl keine Probleme haben, seinem Freund das Videomaterial vom Mittwochabend unter die Nase zu reiben.  

Steckbrief

Michel Witte
Geboren am 22. März 1999, Deutscher
Position: Torwart
Größe: 1,93 Meter
Bisherige Vereine: Karlsruher SC, VfB Stuttgart (Jugend), VfB Stuttgart II, BFC Dynamo (alle D), Etzella Ettelbrück (seit 2020)