Rote Zone KalabrienMafia-Misswirtschaft zwingt Region trotz weniger Corona-Fälle in die Knie

Rote Zone Kalabrien / Mafia-Misswirtschaft zwingt Region trotz weniger Corona-Fälle in die Knie
Kalabriens Bürgermeister können die Entscheidung aus Rom nicht nachvollziehen Foto: dpa/Roberto Monaldo

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Kalabrien gehört zu den Regionen mit den geringsten Corona-Infektionszahlen Italiens – und ist dennoch eine „rote Zone“. Weil das Gesundheitswesen auch wegen der mächtigen ’Ndrangheta am Boden liegt. Lokalpolitiker protestieren gegen die Auflagen aus Rom, doch die Realität ist bedrohlich.

Italienweit infizieren sich zuletzt täglich mehr als 20.000 Menschen neu mit dem Coronavirus. In der südwestlichen Region Kalabrien jedoch lediglich nur wenige Hundert. Von den 51.306 im Zusammenhang mit Covid-19 Verstorbenen entfielen auf die Region nur 243. Die Pandemie – das zeigten die dramatischen Bilder des Frühjahrs – wütete vor allem im italienischen Norden.

Dennoch musste die Regierung Giuseppe Contes Kalabrien am 19. November zur „Zona Rossa“, zur „roten Zone“, einstufen. Die Begründung Roms für diesen Schritt: Das Gesundheitswesen Kalabriens ist einfach in einem zu desolaten Zustand. Hervorgerufen durch Misswirtschaft und die nahezu uneingeschränkte Unterwanderung durch die kalabrische Mafia ’Ndrangheta.

Wo immer im Süden Geld fließt – und öffentlichen Bereichen wie dem Gesundheitswesen werden beträchtliche Summen aus dem Staatsfonds bereitgestellt –, mischt die ’Ndrangheta mit. In der Konsequenz wurden bereits vor mehr als zehn Jahren von Rom Kommissare in den Süden geschickt, die nicht nur unterwanderte und korrupte Gemeindeverwaltungen auflösten, sondern eben auch Gesundheitseinrichtungen verwalteten. Doch statt zu sanieren, wurde der Bereich eingeschrumpft: Heute fehlen in der Region allein 28 Krankenhäuser und Ambulatorien, die in den vergangenen Jahren von den Anti-Mafia-Kommissaren geschlossen wurden. 3.700 Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger, die irgendwie im Verdacht standen, mit der Mafia zu kooperieren, wurden entlassen.

Patient Kalabrien in schlechtem Zustand

Eine Verbesserung der Lage ist derzeit nicht in Aussicht. Sollte der verhängte Lockdown andauern, ist zu befürchten, dass sich der Zustand des Patienten Kalabrien noch deutlich verschlechtern dürfte. Bislang ist die Covid-Pandemie im Südwesten Italiens noch glimpflich verlaufen. In der Lombardei mit einer fünfmal größeren Bevölkerungszahl lag die Zahl der Neuinfektionen am Dienstag bei 4.886 Fällen, die Gesamtzahl der mit Covid Verstorbenen ist zehnmal so hoch als in Kalabrien.

Doch ein einziger Hotspot, so Beobachter, könnte ausreichen, um das Gesundheitswesen in den Kollaps zu treiben. Von den 9.000 Intensivbetten, die Italien besitzt, liegen nur 146 im Südwesten des Landes. Und obwohl 60 Prozent des Bruttoinlandproduktes der Region in das Sozialwesen investiert werden, zeichnet sich hier keine Verbesserung ab. Denn Kalabrien, so Statistiken der vergangenen Jahre, erwirtschaftet nur ein Pro-Kopf-BIP von 17.000 Euro, in der Lombardei liegt der Vergleichswert bei 34.000 Euro.

Und von den öffentlich investierten Geldern sahnt die ’Ndrangheta deutlich ab: Vom Krankenhausbau über die Verwaltung bis hin zur Versorgung hat die kalabrische Mafia ihre Hände im Spiel. Dabei werden nicht nur Staatsmittel kassiert, sondern auch erhebliche Summen aus den illegalen Geschäften – von Erpressung über Drogen- bis hin zum Waffenhandel – gewaschen. Schätzungen zufolge setzt die ’Ndrangheta bis zu 94 Milliarden Euro jährlich um. Das entspricht etwa einem Viertel des Bruttosozialprodukts von Österreich.

Neuer Kommissar soll’s richten

Giuseppe Conte hat zu Wochenbeginn den bisherigen Leiter der römischen Gesundheitsbehörde, Narciso Mostarda, zum neuen Kommissar des kalabrischen Gesundheitswesens ernannt. Der längst überfällige Akt beendete den „Reigen der Kommissare“, wie der Mailänder Corriere della Sera den vierfachen Wechsel an der Spitze der Behörde allein 2020 benannte.

Anfang des Monats musste Conte den Kommissar Saverio Cotticelli fristlos entlassen. Der pensionierte Carabinieri-General hatte versäumt, einen Corona-Notfallplan für die Region auszuarbeiten. Sein potenzieller Nachfolger Giuseppe Zuccatelli hatte den Nutzen von Nase-Mund-Schutzmasken infrage gestellt. Ein dritter Kandidat, der ehemalige Rektor der Sapienza-Universität Rom, Eugenio Gaudio, zog sich bereits 24 Stunden nach seiner Nominierung aus „privaten Gründen“ zurück.

Conte erlitt nicht nur bei der Benennung eines neuen Kommissars diverse Rückschläge, auch die Regionalpolitiker protestierten heftig gegen eine „Bevormundung“ aus Rom. Regionalpräsident Antonino Spirli erklärte, Kalabrien zur „roten Zone“ zu erklären, bedeute den Tod vieler Menschen: „Die Menschen werden bei uns verhungern!“ Es verwundert nicht, dass der Lega-Politiker – die Partei steht landesweit in Opposition zur Regierung – sich gegen jede Kontrolle aus Rom wehrt. Ein Angebot der Hilfsorganisation Emergency, dem Zivilschutz bei der Einrichtung von 14 Feldlazaretten zu helfen, lehnte Spirli drastisch ab: „Gino Strada in Kalabrien? Nur über meine Leiche …“ Gino Strada, ein Friedensaktivist, leitet die Hilfsorganisation und gilt als erklärter Lega-Feind.

So bleibt zu hoffen, dass der nun entsandte römische Experte Mostarda es schaffen wird, das Gesundheitswesen in Kalabrien zu reformieren. Angesichts langjährig beobachteter Realität der nahezu uneingeschränkten ’Ndrangheta-Macht ein fast nicht lösbares Unterfangen.