AnalyseLuxemburg braucht ein neues Wirtschaftsmodell

Analyse / Luxemburg braucht ein neues Wirtschaftsmodell
Luxemburgs Premierminister besucht das Werk von DuPont in Contern. Während der Krise war man stolz, auch ein Unternehmen zu haben, das medizinische Güter herstellt. Doch würde man ein solches Investment heute noch wollen? Foto: DuPont

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Heute vor fünf Jahren stellte sich Jeremy Rifkin der Luxemburger Presse. Das ganze Land sollte neu gedacht und nachhaltig umgebaut werden. Menschen und Unternehmen wurden in die Überlegungen mit einbezogen. Fünf Jahre danach ist nur wenig übriggeblieben. Die hintergründigen Probleme jedoch, die zu der Initiative geführt hatten, sind geblieben. Sie haben sich sogar verschärft.

„Wir wollen die Zukunft gestalten und nicht vermeiden“, sagte Wirtschaftsminister Etienne Schneider vor fünf Jahren. „Es geht nicht darum, das alte Modell umzubauen, sondern darum, ein völlig neues zu schaffen.“ Doch Rifkin ist in Vergessenheit geraten. Nur vereinzelte Projekte wurden umgesetzt. Die Zahl der neu geschaffenen Jobs ist weiter explodiert – seit September 2015 sind mehr als 65.000 neue Arbeitsplätze hinzugekommen. Die Staus auf den Straßen haben sich nur Corona-bedingt leicht verbessert. Nach wie vor muss Luxemburg den Großteil seines Stroms importieren, satte 84,1 Prozent im Jahr 2019. Ein neues Wirtschaftsmodell ist nicht erkennbar.

Der neu geschaffene Reichtum im Land schafft es nicht mehr, die Bevölkerung zu begeistern. Das liegt hauptsächlich daran, dass durch das rezente Wachstum der Staat zwar reicher wird, der einzelne Bürger jedoch nur noch die negativen Seiten zu spüren bekommt. Die Regierenden hingegen sehen sich verpflichtet, dieses Wachstum weiter voranzutreiben. Es gilt, die steigenden Ausgaben des Sozialsystems durch steigende Einnahmen zu finanzieren. Alternativ müssten irgendwann Leistungen gekürzt oder Beitragszahlungen erhöht werden – beides politisch unerwünscht.

Die Regierung versucht, die nationale Wirtschaft zu diversifizieren, um die Abhängigkeit (des von der Bevölkerung wenig geliebten und verstandenen Finanzplatzes) zu verringern. Wird jedoch angekündigt, irgendwo ein neues Werk anzusiedeln, sei es zur Herstellung von Steinwolle oder Nahrungsmitteln oder zur Speicherung von Daten, regt sich der Widerstand.

Symbolisch für die festgefahrene Situation kann der Beobachter die steigende Verschuldung des Luxemburger Staates sehen. Trotz der wirtschaftlich guten Situation wird die Summe, die von der zukünftigen Generation zurückbezahlt werden muss, immer höher. Allein in den letzten fünf Jahren sind die Schulden (2014 bis 2019) um mehr als 20 Prozent gestiegen. Mit der Covid-19-Krise wird sie 2020 noch weiter steigen. Hinzu kommen werden für die Jugend ebenfalls die Kosten einer alternden Gesellschaft, der Druck von immer niedriger werdenden Anfangsgehältern und hierzulande zudem eine der europaweit höchsten Quoten bei der Jugendarbeitslosigkeit.

Knackpunkt Grenzgänger

Derweil steigt die Zahl der Grenzgänger immer weiter an, in den letzten fünf Jahren um satte 34.000. Trotz Corona hat ihre Anzahl im August ein neues Allzeitrekordhoch erreicht. In den Regionen um Luxemburg steigen die Bevölkerungszahlen.

Wie fest das aktuelle Luxemburger Modell auf den Beinen steht, hat nun zuletzt die Corona-Krise gezeigt. Jeder der zu Beginn der Krise den Premierminister sah, der verzweifelt nachdachte, was passieren würde, wenn die Grenzen für die Grenzgänger geschlossen würden, dem konnte angst und bange werden. Inmitten der Gesundheitskrise hätten die Krankenhäuser – aus Mangel an Personal – die Türen schließen müssen. Man sah einen Premierminister, dem vor Verunsicherung fast die Worte fehlten. Staatlich bezahlte Hotelzimmer mussten dem unverzichtbaren Personal zur Verfügung gestellt werden, damit es sich nicht täglich mit Landesgrenzen auseinandersetzen muss.

Glücklicherweise kam es nicht zum Schlimmsten. Für die Pendler aus den Nachbarländern blieben die Grenzen geöffnet. Geschlossen und mit Waffengewalt bewacht wurden die Grenzen trotzdem. Wer in Luxemburg wohnte, war auf der gegenüberliegenden Seite nicht mehr erwünscht. Luxemburgs große Nachbarländer dachten nur noch populistisch national. Wenn es um die Lösung grenzüberschreitender Probleme ging, hieß es schon immer: Paris ist weit weg. In der aktuellen Krise hat sich gezeigt: Berlin ist noch viel weiter entfernt. Die Nachbarländer gaben Luxemburg ganz klar zu spüren: Wir brauchen euch nicht.

Vom Verteidiger der offenen Grenzen der EU war derweil nur lautes Schweigen zu hören. Initiativen um die Situation zu verbessern und um langfristig dafür zu sorgen, dass so etwas nie wieder vorkommt: Fehlanzeige. Die Covid-19-Krise ist die erste Krise seit Jahrzehnten, in der die EU nicht wuchs – Europa ist geschrumpft.

Knackpunkt Immobilienpreise

Dann die ewig steigenden Immobilienpreise: Während Jahrzehnten versprechen Regierungen, das Thema prioritär zu behandeln. Doch aufeinanderfolgende Regierungen haben mit ihren Maßnahmen nur die Nachfrage weiter gefördert und so die Preissteigerungen weiter angefeuert. Die hohen Preise werden immer mehr zum Problem. Bereits seit Jahren stellen sie nicht mehr nur eine finanzielle Hürde für junge Familien und Normalverdienende dar, von denen sich Tausende veranlasst sehen, ins nahe Ausland zu flüchten. Immer mehr werden sie auch zu einem strukturellen Problem für die Luxemburger Volkswirtschaft.

Mehr und mehr Unternehmen werden, nachdem der Gründer in Rente geht, nicht mehr weitergeführt – das Werksgelände ist mehr wert als das mit Arbeit verbundene Weiterführen des Geschäftsbetriebs je einbringen könnte. Zudem stehen immer mehr Geschäftsräume leer. Doch wer kann schon Tausende Euro Miete monatlich zahlen – einfach nur für eine Verkaufsfläche? Die durch die hohen Mieten ebenfalls höheren Preise treiben derweil den preisbewussten Verbraucher zum Einkaufen ins Ausland. Auch halten die Immobilienpreise viele Fachkräfte davon ab, ins Land zu kommen. Trotz der höheren Gehälter lohnt sich der Umzug für sie nicht. Die Klagen der Wirtschaft über Fachkräftemangel werden jedes Jahr lauter.

Das Betreiben von privaten Betrieben wird so immer schwieriger. Egal ob für Geschäfte, Fabriken, Hotels oder Campingplätze. Mit Immobilienspekulation lässt sich jedoch gut Geld verdienen. Und das praktisch mit staatlicher Garantie.

Sonderrolle für den Finanzplatz

Gut durch die Corona-Krise geholfen hat dem Großherzogtum der Finanzsektor. Die Rückgänge waren deutlich weniger ausgeprägt als beispielsweise im Handel, der Industrie und im Bauwesen. Doch in den kommenden Jahren dürfte der Druck auf den Finanzplatz wieder zunehmen. Man erinnert sich: Als die großen Länder nach der Finanzkrise plötzlich viel Geld benötigten, wurde das Bankgeheimnis ausgehebelt. Mit Truppen wurde gedroht und gestohlene Datenträger wurden gekauft. Nach der Corona-Krise werden diese Länder wieder viel Geld benötigen. Manche Luxemburger Regelungen könnten unter Druck geraten.

Doch ein Land braucht Einnahmen. Die Steuern müssen die Ausgaben des Staates decken können. Die Milliardeneinnahmen aus dem E-Commerce sind ausgegeben. Benzin verkaufen ist auch nicht mehr erwünscht. Ein Staatsfonds mit Zukunftsreserven, wie er etwa in Norwegen besteht, wurde in Luxemburg nicht angelegt.

Die Kernfrage für das neue Luxemburger Modell lautet: Wo sollen die Steuern der Zukunft herkommen? Eine funktionierende Privatwirtschaft wird gebraucht. Einst war Luxemburg ein Land mit einer starken privaten Stahlindustrie. Dann wurde es zum Finanzplatz. Heute sind staatliche Unternehmen die größten Arbeitgeber des Landes. Investiert wird nur noch, wenn der Staat die Kosten übernimmt. Doch schlussendlich muss der Staat von der Wirtschaft mehr Steuern erhalten, als ihn der Zuzug der Unternehmen kostet. Am Ende müssen die Rechnungen aufgehen.

Nun wird Luxemburg wohl bald wieder auf Covid-Risiko-Listen landen. Hoffentlich werden die Partner- und Nachbarländer nicht wieder auf die Idee kommen, Grenzen zu schließen und mit verschärften Maßnahmen zu drohen. Sicher ist das aber nicht. Dem aktuellen Luxemburg bleibt nur das Prinzip Hoffnung.

Das gegenwärtige Modell basiert total auf offenen Grenzen. Fast alles, was hierzulande produziert wird, ist für den Export bestimmt – von den Stahlprodukten bis zu den Finanzdienstleistungen. Was verbraucht wird, wird importiert. Das hat auch einen guten Grund: Wir leben in einem europäischen Binnenmarkt.

Europa ist geschrumpft

Doch die Krise lehrte anderes: Glücklicherweise hatte Luxemburg auf dem Höhepunkt der Krise seine nationale Luftfrachtgesellschaft Cargolux. Ohne sie wäre es wohl viel schlimmer gekommen. Ohne sie wäre die Verbindung nach China blockiert gewesen. Wie sonst wäre medizinisches Material, das in Nachbarländern beschlagnahmt wurde, hergekommen? Auch die Luxair ist die wohl einzige Garantie für Verreisende, im Zweifelsfall wieder zurück nach Hause zu kommen. Glücklicherweise waren diese Gesellschaften nicht zu Teilen von multinationalen Konzernen verkommen.

Zudem erinnern die Grenzschließungen an Regeln aus der Vergangenheit. Früher waren manche Jobs, die von strategischer Wichtigkeit waren, an eine Residenz-Klausel geknüpft. Sollten solche Regeln im neuen Europa wieder notwendig werden? Ein Land muss sicherstellen, dass vor allem im Krisenfall alle notwendigen Institutionen (von IT-Sicherheit über Krankenhäuser bis hin zu Polizei und Feuerwehr) einsatzbereit sein können.

Die Corona-Krise hat Europa verändert. Leider. Man kann sich nicht mehr auf offene Grenzen verlassen. Doch eine neue Pandemie, eine neue Infektionswelle oder einfach eine Krise anderer Art werden wieder passieren. Bis dahin wäre es gut, wenn das Land vorbereitet wäre, einen Plan hat, was die Versorgung angeht. Sich nicht wieder von unilateralen Entscheidungen überraschen lässt.

Ein großes neues Rifkin-Projekt braucht es dafür nicht. Gebraucht werden vor allem günstigere Preise für Land und mehr Wohnraum. Beides wäre mit einer Veränderung der Besteuerung erreichbar. Etwa mit einer gestaffelten Grundsteuer, wie unter anderem Gewerkschaften sie vorgeschlagen haben: ein Wohnhaus steuerfrei – und dann je mehr Immobilienbesitz, desto mehr Steuern. Steuern sollten das Sammeln von Bauland unattraktiv machen. Eine rezente Studie hat gezeigt, wie ungerecht die Verteilung hierzulande ist: 159 Personen besitzen mehr als ein Viertel des verfügbaren Baulandes.

Mit dem Bau neuer Wohnungen könnte Luxemburg dann auch seine Abhängigkeit von Arbeitskräften aus der Grenzregion reduzieren. Aus den Corona-Statistiken werden die Grenzgänger bereits ausgeklammert – aus der Wirklichkeit kann man sie nicht so einfach herausrechnen. Theoretisch müsste von heute auf gestern Wohnraum für mindestens 100.000 Menschen geschaffen werden. Die neuen Einwohner würden hierzulande arbeiten, leben … und Steuern zahlen.

24. September 2015: Der damalige Wirtschaftsminister Etienne Schneider stellt den US-Ökonomen Jeremy Rifkin der Presse vor.
24. September 2015: Der damalige Wirtschaftsminister Etienne Schneider stellt den US-Ökonomen Jeremy Rifkin der Presse vor. Foto: Editpress-Archiv/Fabrizio Pizzolante
fillt_iech_emol
25. September 2020 - 1.14

Mais jidfereen versteet ganz gudd wofir dass d'Loyers esou héich sinn, wann éch méngem Propriétair muss bis zu 49% Loyer méi bezuelen, wäll hien déen der Steierverwaltung muss integral iwwerweisen. Wofir dénkt keen Politiker drun fir ze proposéieren d'Loyers ab 2021 non-imposabel ze maachen, ann d'office op den 1/1/2021 all Loyer per Gesetz ëm 50% ze reduzéieren. Do hätt mol keen Propriétair eppes dergéint.

Realist
24. September 2020 - 15.07

Nomi: Da kascht d'Appartement eben "nëmme nach" 800.000 Euro, amplaz 900.000. Da si mer gerett. Dovun awer mol ofgesinn: Ass de Rifkin tatsächlech nach ëmmer Thema zu Lëtzebuerg??

viviane
24. September 2020 - 13.33

Jo mir hätte gären Industrie, awer nëmme wa se kee Waasser brauchen, kee Kaméidi, kee Stëbs maache, keen Damp, keng Camionen, kee Verkéier... Am Fong hätt mer am Léifsten auslännesch Betriber déi just Steiergelder iwwerweisen, wéi Amazon a Paypal. Mä déi hunn och hir Nimby-Géigner hei am Land.

Nomi
24. September 2020 - 10.15

Wann den Lokatif mei' bestei'ert gett, dann gett keen Lokativ mei' gebaut, an dann gett de Wunnungsproblem nach mei' gro'uss . Deen net selwer bau'en kann, kann och net mei' lo'unen ! Mei' Wunnungen durch mei' heich bau'en, dann geht Quote-Part vum Terrain drastesch eroof ! Bei 2x sinn et etwa 100 000€ wo'u een Appart mei' belleg gett !