UnternehmenLiberty Steel greift nach Thyssen-Stahlsparte

Unternehmen / Liberty Steel greift nach Thyssen-Stahlsparte
September 2019: Besuch von Sanjeev Gupta im Werk von Liberty Steel in Düdelingen Foto: Editpress/Julien Garroy

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Weltweit bleibt der Stahlmarkt in Bewegung. Nachdem ArcelorMittal seine US-Sparte verkauft hat, wird der britische Konzern Liberty Steel nun wohl die komplette Stahlsparte Thyssenkrupp erwerben. In Luxemburg ist der neue Stahlgigant bereits kein Unbekannter mehr. Seit etwas über einem Jahr ist er Besitzer des ehemaligen ArcelorMittal-Werks in Düdelingen.

Bereits seit einigen Jahren hat die weltweite Stahlbranche mit Überkapazitäten zu kämpfen. Die Fabriken könnten viel mehr herstellen, als aus der Wirtschaft nachgefragt wird. In der Kritik steht unter anderem China mit seinen hohen Produktionszahlen, hatte Michel Wurth beispielsweise zu Jahresbeginn vor der Presse erklärt. In den USA werden Importzölle auf Stahl erhoben. Auch in Europa wird nach Schutz für die hiesige Produktion gerufen. Vor allem da Kosten für CO2-Ausstöße den hiesigen Stahl im internationalen Vergleich noch weiter verteuern.

Für die bereits mit einem schwierigen Umfeld kämpfende Stahlindustrie war die Corona-Krise daher kein Glücksfall. Die Nachfrage, die bereits deutlich unter den Produktionsmöglichkeiten der Fabriken lag, war noch weiter eingebrochen. Die großen Konzerne suchen weltweit nach Lösungen. Das größte Unternehmen der Branche, ArcelorMittal, hatte Ende September angekündigt, seine US-Sparte an den US-Konzern Cleveland-Cliffs zu verkaufen und dort Minderheitsaktionär zu werden.

In Luxemburg selbst hat der Betrieb angekündigt, 570 Arbeitsplätze abbauen zu wollen. Noch vor zehn Jahren war der Konzern mit mehr als 6.000 Mitarbeitern der größte private Arbeitgeber des Landes. Nach Jahrzehnten an der Spitze des Rankings begann ArcelorMittal ab 2016, zurückzufallen. Erst auf den zweiten Platz, 2017 auf den dritten, 2018 auf vierten und 2019 auf den fünften. Bis das Ranking dieses Jahres veröffentlicht wird, dürfte die Firma also noch weiter zurückgefallen sein.

Das neue, aufstrebende Unternehmen, das in diesem schwierigen Umfeld seine Chance sieht, ist Liberty Steel aus Großbritannien. Liberty Steel ist mittlerweile in zehn Ländern tätig, zählt rund 30.000 Mitarbeiter und verfügt über eine Produktionskapazität von mehr als 18 Millionen Tonnen Stahl. Der Konzern sieht sich als zehntgrößten Stahlproduzenten der Welt (ohne China). Gegründet wurde die Unternehmensgruppe 1992 von dem in Indien geborenen britischen Geschäftsmann Sanjeev Gupta. Er baute den Konzern auch durch Übernahmen aus, darunter sowohl Werke von Tata Steel Europe sowie von ArcelorMittal.

Ankündigung sorgt für Jubel und Entsetzen

Nun greift die britische Liberty Steel nach der Stahlsparte von Thyssenkrupp, schreibt die Nachrichtenagentur Reuters. Liberty habe bei dem Essener Konzern ein erstes, nicht bindendes Angebot für die verlustschreibende Sparte mit rund 27.000 Mitarbeitern hinterlegt, teilten die Briten am Freitag mit. Thyssenkrupp wolle die Offerte nun sorgfältig prüfen – und gleichzeitig weiter Gespräche mit anderen potenziellen Partnern führen, erklärte ein Sprecher.

An der Börse sorgte die Offerte für Jubel, bei den Arbeitnehmervertretern für Entsetzen. Während der Aktienkurs von Thyssenkrupp am Morgen zeitweise um mehr als 23 Prozent in die Höhe schoss, ging die IG Metall auf die Barrikaden. „Das ist genau das, wovor wir gewarnt haben. Die Politik muss jetzt handeln“, sagte IG-Metall-NRW-Chef Knut Giesler laut Reuters. Bei einem Verkauf des Stahlgeschäfts an Liberty drohe eine Zerschlagung von Thyssenkrupp Steel Europe und der Verlust vieler Arbeitsplätze. Am Vormittag demonstrierten Stahlkocher von Thyssenkrupp in Düsseldorf für einen Staatseinstieg bei der Stahlsparte.

Die britische Liberty Steel will bei Politik und Gewerkschaften für ihren Plan einer Übernahme der kriselnden Stahlsparte von Thyssenkrupp werben, berichtet Reuters weiter. Alle beteiligten Parteien, auch Vertreter der Arbeitnehmer und der Politik, seien zu Gesprächen eingeladen, sagte der Chef des Liberty-Mutterkonzerns GFG Alliance, Sanjeev Gupta. Er wolle bei einer Übernahme auch privates Geld investieren und sei ein langfristig orientierter Investor. Durch einen möglichen Zusammenschluss beider Stahlkocher könnten diese den Herausforderungen der europäischen Stahlindustrie besser begegnen, warben die Briten. Veränderungen müssten „partnerschaftlich mit Mitarbeitenden gestaltet werden“.

Dank der vielen Zukäufe ist der neue Konzern auch bereits in Luxemburg tätig. Als erforderte wettbewerbsrechtliche Bedingung, um das italienische Stahlwerk Ilva kaufen zu dürfen, hatte der Luxemburger Stahlkonzern ArcelorMittal vor einigen Jahren unter anderem zugestimmt, sein Werk in Düdelingen zu verkaufen. Seit Juli 2019 ist dieses nun offiziell Teil von Liberty Steel. „Diese Aktivitäten werden ein Schlüsselelement unserer globalen Stahlstrategie sein, um ein nachhaltiges Stahlunternehmen mit einer vollständig integrierten Wertschöpfungskette zu schaffen“, sagte das Unternehmen damals zum Kauf der Fabriken.

Zuständig für das europäische Stahl-Geschäft von Liberty Steel ist der gebürtige Escher Roland Junck
Zuständig für das europäische Stahl-Geschäft von Liberty Steel ist der gebürtige Escher Roland Junck Foto: Editpress/Isabella Finzi

In der Person von Roland Junck hat die Unternehmensgruppe eine weitere Verbindung zu dem Großherzogtum. Der Luxemburger ist seit April 2020 Präsident und Interims-Geschäftsführer für die europäischen Aktivitäten der Liberty-Steel-Gruppe. Bekannt wurde er, als er nach der Übernahme von Arcelor durch Mittal Steel zum ersten Geschäftsführer der Gruppe ernannt wurde. Sein Nachfolger wurde Lakshmi Mittal. Später war er Geschäftsführer der ebenfalls im Rohstoffbereich tätigen Firma Nyrstar, gefolgt von einer Rolle als Verwaltungsratspräsident von British Steel.

Der gebürtige Escher hatte seine Karriere 1980 bei der Arbed begonnen. „Ich zähle noch zu der Generation, die am Stahl hängt“, erklärte er 2012 in einem Gespräch mit dem Tageblatt. „Es ist fast wie ein katholischer Orden.“ Doch das Werk, in dem er als junger Ingenieur in Düdelingen begann, gibt es heute nicht mehr. Zur Frage, wie die Luxemburger Stahlbranche im Jahr 2030 aussehen wird, sagte er damals: „Das hängt von vielen Faktoren ab. Es werden zwei Arten von Produkten hergestellt: Massenwaren und spezialisierte Produkte. (…) Die spezialisierten Produkte, die bleiben interessant. Aber: Die Konkurrenz wird immer härter. Wenn sich an den Kosten nichts ändert und sich der Markt nicht erholt, dann wird es schwierig.“

Grober J-P.
20. Oktober 2020 - 10.33

Wie geht es eigentlich den Liberty-ern in Düdelingen? Ist unheimlich still geworden! Bin immer wieder überrascht wie Gupta, Mittal, Abramowitsch und Co. so schnell zu Geld gekommen sind.