EschLetzter Gemeinderat für Henri Hinterscheid: Von „Téitschen“ und „Carcassen“

Esch / Letzter Gemeinderat für Henri Hinterscheid: Von „Téitschen“ und „Carcassen“
Hinterscheid ist überzeugt, dass sich seine Partei verjüngen muss, weshalb er nun Platz macht Foto: Editpress/Julien Garroy

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Die Gemeinderatssitzung vom Freitag war seine letzte. Henri Hinterscheid (LSAP) zieht sich aus der Lokalpolitik zurück. Nach 20 Jahren im Gemeinderat, davon 15 als Schöffe. Der heute 66-Jährige war demnach in den letzten beiden Jahrzehnten maßgeblich an der Entwicklung von Esch beteiligt. 

„Mäi Papp huet ëmmer gesot: Et kann een nokucken, mee et kann ee sech och engagéieren.“ Diesen Satz hat Henri Hinterscheid nicht vergessen. Sein Vater, der 2017 verstorbene Gewerkschaftsführer Mathias, alias Mett, zeigte dem Sohn den Weg. Auch wenn sie politisch nicht immer einer Meinung waren, wie Henri Hinterscheid betont. Jedenfalls wollte er sich engagieren, was auch an den gesellschaftlich aufregenden Zeiten Anfang der 1970er lag. Die 68er-Bewegung schwappte mit etwas Verspätung übers Land über und die Jugend lehnte sich gegen den Luxemburger Erzkonservatismus auf. Da er die KPL nicht als demokratische Linke sah, führte ihn der Weg zur LSAP, den damals linken Flügel der 1971 gespaltenen sozialistischen Partei. 

Das lokalpolitische Engagement begann in Sanem, die Familie lebte damals in Beles. Zurück in Esch fand sich der Name Henri Hinterscheid 1993 erstmals auf der LSAP-Liste der Gemeindewahlen. Auch 1999 schrammte er knapp am Einzug in den Gemeinderat vorbei. Doch bei den Neuwahlen 2000, durch Ady Jungs „Buergermeeschter-oder-näischt“-Haltung ausgelöst, zog Henri Hinterscheid in den Gemeinderat ein. Zwei Jahre später wurde er Schöffe. „Es war eine spannende Zeit, weil die Rekonversion von Belval begann. Die Lokalpolitik hatte zuvor eine eher retrograde Sicht. Man trauerte der Eisenindustrie nach, die ja lange für den Reichtum von Esch verantwortlich war. Doch durch die damalige Verjüngung der Partei unter Lydia Mutsch änderte sich das.“   

„Téitsch am Ego“

Ähnlich ist die Lage heute. Hinterscheid ist überzeugt, dass sich seine Partei verjüngen muss, weshalb er nun Platz macht. Und wieder warten auf Esch große Herausforderungen. Die Industriebrachen „Terres-Rouges“ und Arbed Schifflingen werden in neue Stadtviertel umgewandelt, nur dass die LSAP nicht mehr am Ruder sitzt. „Der Machtwechsel vor drei Jahren war schon eine große Enttäuschung. Vielleicht waren wir uns unserer Sache zu sicher“, blickt Hinterscheid zurück. „Wéi d’Téitsch am Ego bis debosseléiert wor, hunn ech erëm entdeckt, wat Liewen ass“, konnte Hinterscheid dem Machtwechsel zumindest privat dank der hinzugewonnen Zeit etwas Positives abgewinnen. Er musste plötzlich nicht mehr von Generalversammlung zu Generalversammlung rennen.

Trotzdem ist er überzeugt, dass die schwarz-blau-grüne Koalition in Esch nur ein Intermezzo ist: „Il me reste plus qu’à vous souhaiter à Vous, aux membres du Collège échevinal, et du Conseil communal, de toujours prendre les meilleures décisions pour notre belle et fière Cité eschoise, et à mes Camarades du Parti socialiste que l’actuel interrègne ne perdurera pas trop longtemps!“, endet sein Rücktrittsschreiben aus dem Gemeinderat. Typisch Hinterscheid, wie sein Gemeinderatsrats- und Partei-Kollege Mike Hansen weiß: „Seine Art und Weise wird fehlen. Heng hat eine direkte Art. Wenn etwas gesagt werden muss, dann sagt er es. Gleichzeitig ist er aber stets hilfsbereit, im Politischen wie im Privaten.“ Ein weiterer Weggefährte, Dan Codello, erinnert sich an so manche Anekdote. Beispiel: „Manuel Cardoni war damals Direktor des Schwimmbads. Er kam zu Heng und zu mir als Personalschöffe, um zwei bis drei zusätzliche Schwimmmeister zu fordern. Heng nahm seinen Taschenrechner und kam nach einiger Zeit zum Resultat, dass er in Wirklichkeit 1,3  Schwimmmeister zu viel hätte. ‚Man’ hatte verstanden und schlich davon.“ 

Mike Hansen, der nun wie seine Kollegen für Hinterscheid politisch in die Bresche springen muss, ist sich jedenfalls bewusst, dass nun „ganz viel Fachwissen verloren geht“. Und jemand, der nah an den Menschen dran war. Hinterscheid vertraut dem Nachwuchs, für ihn rückt jetzt der Vizepräsident der LSAP-Lokalsektion, Stéphane Biwer, in den Gemeinderat nach. „Nein, ich mache mir keine Sorgen um die nächsten Wahlen“, sagt Hinterscheid, „die neue Generation ist fest in Esch verwurzelt. Das sind alles Leute, die wissen, was Politik ist. Sie müssen sich jetzt in die Dossiers einarbeiten. Jedenfalls haben die Jungen Blut geleckt. Und sie wissen, dass sie sich ihren Sitz verdienen müssen.“ 

Nicht spritzig genug

Er selbst hätte nicht gewusst, ob er bei den Kommunalwahlen 2023 mit dann fast 70 Jahren noch „spritzig genug“ gewesen wäre. Und besser man erneuert sich in der Opposition als an der Macht. „Denn das kann schief ausgehen“, so Hinterscheid. Der aktuellen Koalition stellt er kein gutes Zeugnis aus: „Uns hat man immer vorgeworfen, dass nichts geschieht, dass es zu langsam vorangeht. Genau diese Erfahrung muss jetzt die CSV machen. Ich nenne nur das Beispiel neue Sporthalle. Jetzt müssen sie in den nächsten drei Jahren zeigen, dass sich was bewegt.“ Kein gutes Haar lässt er am Koalitionspartner „déi gréng“: „Einer der Koalitionäre ist nicht aktiver als in der Koalition zuvor. Und die Escher Grünen haben definitiv die Gelegenheit verpasst, sich zu verjüngen.“ 

Schöffe ab 2002 (v.l.n.r.): Felix Braz, Vera Spautz, Henri Hinterscheid und Lydia Mutsch
Schöffe ab 2002 (v.l.n.r.): Felix Braz, Vera Spautz, Henri Hinterscheid und Lydia Mutsch Foto: Editpress-Archiv

Sein bestes Wahlergebnis fuhr Hinterscheid bei den Kommunalwahlen 2005 ein, als er hinter Lydia Mutsch zweiter auf der LSAP-Liste wurde. Das Resultat konnte er 2011 nicht wiederholen, sodass Vera Spautz den Bürgermeisterposten übernahm, als Mutsch in die Regierung wechselte. „Es war nie mein Ziel, Bürgermeister von Esch zu werden, ich hätte es zwar gemacht, war aber nie darauf fokussiert“, sagt Hinterscheid. Enttäuscht sei er vielmehr, dass er es als Sportschöffe nicht fertiggebracht habe, ein neues Fußballstadion auf „Terres-Rouges“ zu bauen. Und dass er François Bausch nicht davon überzeugen konnte, eine Tram im „Minett“ zu bauen, so der ehemalige TICE-Präsident. Genau diese Tram kommt jetzt auf Initiative der Regierung. Dass Esch wieder eine Passerelle habe, daneben die Jugendherberge, ist eine große Genugtuung für ihn. Auch dass die beiden unterirdischen Parkhäuser allen Unkenrufen zum Trotz gebaut wurden, verbucht er als Erfolg. Und natürlich das Viertel „Nonnewisen“ mit seinem erschwinglichen Wohnraum.

Jetzt müssen sich andere den Kopf zerbrechen. Henri Hinterscheids letzte Amtshandlung wird eine Trauung sein. Deshalb gilt sein Rücktritt nicht sofort, sondern zum 9. November. Er löst damit ein Versprechen an seine Frau Danielle ein. Die Braut ist deren Patenkind. „Dann wird erst einmal abgeschaltet.“ Und nach Corona auch wieder gereist und dem großen Hobby, dem Tauchen, gefrönt. „Zudem sind da noch meine Vereinsaktivitäten. Außerdem will ich weiter viel lesen und möglichst in Form bleiben.“ Fitness, Fahrrad und Spazieren, „dat, wat d’Carcasse nach hirgëtt“, wie er es ausdrückt. Vor 19 Jahren hat Hinterscheid mit dem Rauchen aufgehört und danach mächtig an Gewicht zugelegt. Davon ist heute nicht mehr viel zu sehen: „Mein Arzt sagte mir damals, wenn du stur genug bist, mit den Zigaretten aufzuhören, dann bist du danach auch stur genug, die dadurch zugenommenen Kilos wieder abzunehmen.“

en ale Sozialist
24. Oktober 2020 - 9.59

Schade eigentlich, dass es nie zum Bürgermeisterposten gereicht hat.