Kunst auf allen EbenenWie „Social Distancing“ sich in Luxemburgs Theatersäle einschleicht

Kunst auf allen Ebenen / Wie „Social Distancing“ sich in Luxemburgs Theatersäle einschleicht
Der Saal des „Grand Théâtre“ in Luxemburg-Stadt wird zum „Café-Théâtre“ Foto: Nora Schloesser

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Literatur, Musik, Theater und Kunst lassen uns Menschen die Welt um uns herum für einen kurzen Moment vergessen. Kultur dient zur Ablenkung und Unterhaltung, sie fördert die Weiterbildung und bewegt zum Denken. Vorrangig nützt sie allerdings auch der Verarbeitung von Krisen- und Umbruchzeiten. Demnach beeinflusst auch die aktuelle sanitäre Krise die Texte von heute und morgen. In „Intérieur Nuit/Extérieur Kate“ von Lola Molina und „Contraction_s“ von Nathalie Ronvaux soll der Ausnahmezustand, in dem sich die ganze Welt zurzeit befindet, auch nicht zu kurz kommen.

Nach wochenlanger Isolation kann er sie endlich wiedersehen – seine erste große Liebe Kate (Katharina Bintz). Trotz der immer noch bestehenden Ausgangsbeschränkungen gelingt es dem 16-jährigen Pierre (Etienne Halsdorf) letztlich doch, wenn auch nur für kurze Zeit, in der Nähe seiner geschätzten Kate zu verweilen. „Intérieur Nuit/Extérieur Kate“ erzählt, unter der Regie von Marion Rothhaar, die Geschichte von Pierre und seiner Familie, die sich, wie alle anderen auch, aufgrund der akuten Pandemie im März 2020 in soziale Abgeschiedenheit begeben müssen. Über mehrere Wochen gerät der Alltag von Pierres Familie immer deutlicher durcheinander. Unregelmäßigkeit, Langeweile, vor allem aber Angst und Kummer prägen den Alltag von Célia (Brigitte Urhausen), ihrem Mann Mathias (Valéry Plancke) und deren beiden Kindern. Während Célia um ihre schriftstellerische Karriere bangt, Mathias nach und nach die Nerven verliert, ist Pierres einzige bedeutende Sorge seine von ihm getrennte Kate.

Während einige Szenen zum Lachen und Schmunzeln einladen, da sie den typischen Alltag vieler Menschen während der Ausgangsbeschränkung auf humorvolle und sarkastische Weise veranschaulichen, wie etwa das tägliche Sporteln oder Brotbacken, bewegen andere Momente umso mehr zur inneren Ergriffenheit. Wenn der Vater nachts mit seinem Sohn im Zimmer zu lauter Musik tanzt, was die beiden auf bestimmte Weise zusammenschweißt, oder die Mutter, gegen die Anweisung des Vaters, beschließt, ihren Jungen um Mitternacht zu seiner großen Liebe zu fahren, dann erwecken solche Szenen beim Publikum sowohl Rührung als auch Freude. Besonders Valéry Plancke sticht in seiner Rolle als zum Teil sehr aufbrausender Familienvater durch seine authentische Performance heraus. Der Text von Lola Molina zeigt nicht nur, wie facettenreich das Leben der Menschen während der Isolation war, sondern auch, wie Umbruchzeiten Menschen und Familien umso näher zusammenbringen können.

„Intérieur Nuit/Extérieur Kate“ erzählt die Geschichte einer Familie im Lockdown
„Intérieur Nuit/Extérieur Kate“ erzählt die Geschichte einer Familie im Lockdown Foto: Bohumil Kostohryz

In „Contraction_s“, ein „huis clos“ bestehend aus drei Personen, überzeugen Valérie Bodson, Larisa Faber und Max Thommes unter der Regie von Stéphane Ghislain Roussel ebenso wie die Schauspieler aus „Intérieur Nuit/Extérieur Kate“. Während der szenischen Lesung verwandelte sich die Bühne in ein Krankenhaus, in welchem sich zwei Krankenpfleger*innen beziehungsweise Ärzt*innen und eine Patientin an die Corona-bedingten sanitären Maßnahmen und Kontaktbeschränkungen halten müssen. Das Phänomen „Social Distancing“ und das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes wird somit sogar auf der Bühne inszeniert. Die bewegenden Mono- und Dialoge des Textes von Nathalie Ronvaux, welche die Ängste und den sich verschlechternden Seelenzustand der Menschen während der aktuellen Pandemie thematisieren, zeugen von äußerlichster Aussagekräftigkeit und Tiefsinnigkeit. Sowohl der Inhalt der Texte als auch die schauspielerische Leistung von Bodson, Faber und Thommes sind dabei mehr als nur berührend. Während der eine sich nach menschlicher Nähe sehnt, sein Körper nach Wärme und Geborgenheit ruft, versucht die andere, sich akribisch an die strengen Hygienemaßnahmen zu halten und ihre Laune mit positiven Gedanken und guten Hoffnungen hochzuhalten. Die dritte namenlose Figur auf der Bühne leidet hingegen unter der Trennung von ihrem Sohn, den sie aufgrund der strengen sanitären Regeln nicht sehen kann. Ergreifend, erschütternd und abgerundet mit dem Lied „New World Coming“ von Mama Cass hinterlässt das Stück tiefe Spuren im Gemütszustand des Publikums.

Ganz im Kontext von „Social Distancing“ hat die luxemburgische Künstlerin Trixi Weis das „Grand Théâtre“, in welchem die Stücke von Lola Molina/Marion Rothhaar und Nathalie Ronvaux/Stéphane Ghislain Roussel aufgeführt wurden, in ein „Café-Théâtre“ umgewandelt. Unter Einhaltung der Hygienebeschränkungen können sich die Besucher*innen an ganz unterschiedlich gestalteten Tischen, Stühlen und Sofas platzieren und mit einem frischen Getränk und einer kleinen Knabberei den Abend in vollen Zügen genießen. Die Bühnengestaltung, die von Julie Conrad angefertigt wurde, rundet mit einem schlichten, aber eleganten Design das Gesamtbild eines kunstvollen Abends ab.

Acht Texte an vier Wochenenden – Eine Zusammenarbeit des „Mamer Kinneksbond“ und der Theater der Stadt Luxemburg

Die szenischen Lesungen in französischer Sprache „Intérieur Nuit/Extérieur Kate“ und „Contraction_s“ bilden die ersten beiden Texte von sechs weiteren mehrsprachigen Stücke, die in Zusammenarbeit des „Mamer Kinneksbond“ und der Theater der Stadt Luxemburg entstanden sind. An den kommenden Wochenenden werden weitere Lesungen auf Luxemburgisch, Deutsch, Französisch und Englisch im „Mamer Kinneksbond“ und im „Grand Théâtre“ aufgeführt.