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Analyse / Kneipenproxy Kloertext
Wie einseitig ist die Gästewahl in Caroline Marts „Kloertext“?

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„Dat diskutéiere mer elo mat dësen Invitéen“: Mit diesen Worten beginnt Caroline Mart alle 14 Tage die weitreichendste Politiktalkshow Luxemburgs. Der erste „Kloertext“ im jungen Jahr über Meinungsfreiheit und soziale Medien verlief konsensual. Sven Clement, Charles Goerens, die Anwältin Valérie Dupong und Editpress-Direktor Jean-Lou Siweck waren sich einig: Meinungsfreiheit ist das Recht, seine Meinung im Rahmen festgelegter Grenzen äußern zu dürfen. Oder wie Goerens sagte: „Einfach mam Pifffaass iwwert anerer ze fueren ënnert der Invocation vun der Meenungsfräiheet geet net.“

Ob der DP-Politiker Goerens in den „Kloertext“ eingeladen wurde aufgrund seiner Expertise in puncto soziale Medien oder um die Suspendierung von Monica Semedo zu bewerten, war allerdings nicht ganz klar. Denn auch Mart – wie andere ihrer RTL-KollegenInnen – rührte kräftig in der Causa Semedo. Wie viel ein Journalist zur „Kloertext“-Debatte beitragen kann, zeigte dabei die Teilnahme von Jean-Lou Siweck.

Als jemand, der das politische Geschehen über Jahrzehnte aus nächster Nähe verfolgt, konnte er das Profil der DP-Europaabgeordneten einordnen („Semedo konnte aufgrund von Sympathiewerten in die Politik quereinsteigen, nicht aufgrund von langjährig erworbener Kompetenzen“) und den weiteren Verlauf des Vorfalls einschätzen: Wähler strafen seltener politische als persönliche Fehltritte ab. Journalistinnen können Insiderwissen aus den politischen Kreisen in den „Kloertext“ einschleusen, Analysen liefern, Geschehen kommentieren – ganz ohne die Wählerstimmen der Zuschauer im Hinterkopf zu bedenken.

Vielleicht hatte Mart mit dieser Gästewahl auf eine Kritik des Journalisten Diego Velazquez reagiert; er ärgerte sich im Winter 2020 über das einseitige Gästeprofil des „Kloertext. Am 15. Oktober war eine reine Politikerrunde anwesend beim Thema „Blo-Rout-Gréng gëtt sech eens, Oppositioun gesäit dat aanescht“ sowie auch einen Monat zuvor unter dem Episodentitel „Steier-(On)-Gerechtegkeet“. Diese Konstellation veranlasste den Wort-Journalisten dazu, auf Twitter zu behaupten, der „Kloertext“ sei schnarch und fragte, weshalb nicht parteifernere Gäste eingeladen werden.

Mart erläutert in einem Interview (forum Nr. 333), sie orientiere sich an ausländischen Formaten und wolle neutrale Kenner in die Sendung einladen, allerdings bleibe es schwierig, Personen zu finden, die bereitwillig vor der Kamera ihre Analysen mitteilen. Zwar ist es seit dem Bestehen der Uni.lu leichter geworden, Experten zu unterschiedlichen Themen zu finden; doch ein Problem bleibt: das der Sprache. Die Kosmopolitinnen der Uni können häufig nicht in einem luxemburgischen Format mitdiskutieren. Jedoch hat sich die Moderatorin gegen ein multilinguales Setting entschieden, um jedwedes Stocken und Missverständnisse im Verlauf der Debatte zu vermeiden.

Aus informierten Kreisen heißt es zudem, Politiker*innen seien mehr als bereit, am „Kloertext“ teilzunehmen, einige würden sich gar selbst einladen. Und so kommt es womöglich, dass in der Runde diejenigen anwesend sind, die die RTL-Bühne auch suchen.

Tatsächlich fungiert das „Kloertext“-Studio wie eine Werbeplattform für Politiker. Alex Bodry, der seit 1982 politisch aktiv ist, hat mit unterschiedlichen Medienformaten Erfahrungen gesammelt und festgestellt, dass auf RTL-Tele-Auftritte die meisten Reaktionen folgen, „vor allem in den Monaten vor den Wahlen“, ergänzt er. „Neben RTL-Tele hat RTL-Radio den größten Impakt auf Politikerkarrieren, dann das Wort, aber nicht zu unterschätzen sind Medien, in denen politische Inhalte kaum eine Rolle spielen, wie Lëtzebuerg Privat und die sozialen Medien – leider“, sagt der LSAP-Politiker.

Sven Clement jedenfalls konnte sich in diesem ersten „Kloertext“ 2021 als Datenschutz-Experte präsentieren, indem er auf die fahrlässigen Abgeordnetenkollegen verwies, die über WhatsApp Vertrauliches austauschen, die Monopolstellung der Tech-Unternehmen erläuterte oder indem er erwähnte, dass er die Datenspeicherung seines Mobiltelefonanbieters überprüfte. Dieser Fernsehauftritt wird ihm in Zeiten von Digital Learning und Home-Office Wählerstimmen einbringen.

Differenzen statt Inhalte?

In der Pandemie avancieren politische Fernsehdebatten zu einem Proxy für das eigene zivilgesellschaftliche Dasein. Großer Gewinner ist dabei das Talkformat Markus Lanz. Im Corona-Jahr schalteten im Schnitt 20 Prozent mehr ein als im Vorjahr. Da die Sendung dreimal pro Woche läuft, wird zeitnah über das Pandemie-Geschehen berichtet. Was die über einstündige Sendung bietet, sind Corona-Erläuterungen und ein kontroverser Austausch, jedoch ohne Gezanke. In Zeiten von Lockdown, geschlossenen Kinos und Kneipen und unzähligen Ungewissheiten über das Virus schalten debattenhungrige Polit-Talkshows ein.

Vor allem der monotonale Epidemiologe und SPD-Politiker Karl Lauterbach nutzt die Sendezeit, um Befunde zu erläutern. Er war der zweithäufigste Lanz-Gast im Jahr 2020. Nachdem Karl Lauterbach Dauergast bei Lanz wurde, fragte ihn ein Online-Zuschauer in der Politsendung jung und naiv, wo er seine Energie für Talkshows beziehe; gehe es bei dem Format nicht um Differenzen, statt um Inhalte? „Finde ich nicht, ich gehöre nicht zu den Talkshow-Kritikern“, antwortet Lauterbach. Talkshows seien nicht nur Show, sondern auch ein Zeitfenster, in denen Politiker sich als Mensch zeigen können, jenseits aufwendig vorbereiteter Reden. Überdies sei er dankbar für die vielen Gelegenheiten, sich mit seinem Fachwissen an die Öffentlichkeit zu wenden.

Bodry ist wie Lauterbach kein Talkshow-Kritiker. Vor allem „die gute Mischung trägt zur Lebendigkeit und Buntheit einer Debatte positiv bei“. Doch er kritisiert Konstellationen, in denen ausschließlich Politiker anwesend sind: „Unter Politikern kennen wir unsere jeweiligen Positionen – herausfordernder ist es, auf andere Gesichter und Ansichten zu stoßen.“ Seien jedoch zu viele Teilnehmer im Studio anwesend, bleibe wenig Zeit, ein Argument und Positionen zu vertiefen. Insofern seien Zusammensetzungen mit nur zwei weiteren Diskutanten häufig ergiebiger – da kommt es „zu einer richtigen Debatte, einem echten Schlagabtausch“, meint Bodry.

Themenblöcke durchpeitschen

Ein öfters eingeladener Politiker sagte gegenüber dem taz-Journalisten Peter Unfried, bei Lanz habe man „mehr Zeit, um Gedanken wirklich auszuformulieren und werde nicht ständig unterbrochen“. Nur wenn man schwadroniere oder das Parteiprogramm runterrattere, „da gehe der Moderator sofort dazwischen“. Und in diesem entschleunigten Diskussionsklima konnten die Zuschauerinnen ihrerseits während des Corona-Jahres miterleben, wie Virologen, Journalisten und Politikerinnen ihre Erkenntnisse mitteilten, revidierten oder aushandelten. Die Hälfte von Lanz’ Fragen schienen dabei in ihrer affirmierten Unwissenheit direkt von der Straße zu stammen: „Erklären sie mir mal …, was heißt das jetzt …“.

Caroline Mart hingegen pflegt einen anderen Stil im „Kloertext“. Sie peitscht ihre minutiös geplanten Themenblöcke durch und ihre Fragen hören sich stets an wie ein Crashkurs zu den jeweiligen Episoden-Titeln. Sie vermittelt ihren Zuschauerinnen: Hier sitzt eine, die sich eingelesen hat. Das muss sie auch, denn sie ist auf sich allein gestellt, wie sie in dem forum-Interview erklärt: „Je suis une rédaction à moi toute seule.“ Während der Aufnahmen des „faux direct“ behält sie denn auch Chefinnen-mässig die Zeit im Blick und will ihren Gästen vorzugsweise kurze Antworten abringen, was der Gesprächsrunde eine gewisse Hektik injiziert.

Und vor allem Politiker will sie in ihrer Bahn behalten, sie unterbricht mit „nee, hei geet et jo elo net dorëms“, „dat war net d’Fro“. Bei Gästen aus der Zivilgesellschaft will sie gelegentlich das im Vorfeld Besprochene wie auf Knopfdruck abrufen: „Dir hat mir um Telefon gesot … Kënnt Dir dat nach eemol widderhuelen?. Das Oberlehrerinnenhafte ist allerdings nicht unbedingt störend, es verleiht der Moderatorin den Nimbus des Professionellen: Mart hat ihre eigene Sendung fest im Griff und mäandriert nicht mit ihren Gästen nach Honolulu und zurück.

Erfrischend unideologisch

Vielen Linken ist oder war Lanz verdächtig: ein Schönling vom Privatfernsehen, der neoliberale Positionen verteidige. Aber es stellte sich heraus, dass Lanz bei Personen jeglichen Polit-Lagers scharf nachhakt; er stellt drei-, viermal die gleiche Frage. Deshalb findet ihn Maxim Biller erfrischend unideologisch; er sei ein Fragesteller ohne Agenda.

Der ehemalige Moderator des Politikergesprächs „Zak“, Friedrich Küppersbusch, konzediert, Lanz sei „good cop und bad cop in einer Person“, genau das mache einen ausgezeichneten Interviewer aus. Auch Caroline Mart scannte man auf ihre politische Position ab, ihr Vater Marcel Mart war ein DP-Regierungsmitglied. Bisher wurde allerdings noch kein Vorwurf der DP-Affinität laut, viel eher wird ihr immer wieder vorgeworfen, die Sprechzeit ihrer Gäste nicht ausgeglichen zu bemessen.

Die Lanz-Show und der „Kloertext“ sind nicht nur aufgrund des Moderationsstils und der Sendekadenz unterschiedlich gestrickt, auch ihre DNA ist anders gewachsen. Mart schneidert den „Kloertext“ als Debatten-Show, in der Themen nicht personenorientiert behandelt werden und die inhaltliche Kontroverse die treibende Kraft ist. Lanz hat seine Sendung hingegen zu einem Hybrid zwischen Personality-Talk und Debatten-Show gezüchtet, d.h. er oszilliert zwischen personengebundenen Inhalten, die es beispielsweise Autoren ermöglichen, ihr neuestes Buch zu präsentieren, und politischen sowie gesellschaftlichen Kontroversen.

Aber nicht alle können wie Bodry und Lauterbauch gewinnbringendes Potenzial in Politik-Talks sehen. Gefragt, was die Medien tun können, um die Gesellschaft auf moralische rote Linien hinzuweisen, donnert es aus dem Bonner Philosophen Markus Gabriel: „An erster Stelle würde ich sagen, sofortige vollständige Umstrukturierung der sogenannten politischen Talkshows. Um ein krasses Beispiel aus dieser Corona-Pandemie zu nehmen […] besonders negativ sticht für mich Markus Lanz hervor.“ Eine straffe Polarisierung konstatiert Gabriel und behauptet „die Inszenierung des Virologen-Streits über den ganzen Sommer, in Form von Duellen und so weiter, war das genaue Gegenteil einer gemeinsamen Suche nach dem richtigen Weg“.

Dem gabrielischen Geplapper von inszenierten Duellen und heftigen Polarisierungen muss man nicht zustimmen. Aber Gabriel hat recht, wenn er darauf hinweist, dass Debatten-Sendungen nicht zum Zwecke der Unterhaltung, Quote und des Konflikte willens Zoff schüren sollen. Das passiert bereits ungebändigt in den sozialen Netzwerken, ein Problem, das Mart in ihrer ersten Sendung 2021 diskutieren wollte und so zur „Suche nach dem richtigen Weg“ beitrug.