ItalienGewalt gegen Häftlinge in Gefängnissen erschüttert das Land

Italien / Gewalt gegen Häftlinge in Gefängnissen erschüttert das Land
Italiens Ministerpräsident Mario Draghi wollte nach der Veröffentlichung der schockierenden Bilder aus den Gefängnissen des Landes keine Zeit verlieren und ließ umgehend eine Justizreform ausarbeiten  Foto: dpa/Pool Ansa/Lap/LaPresse via ZUMA Press/Riccardo Antimiani

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Wenige Tage nachdem die veröffentlichten Videos von Polizeigewalt in den italienischen Gefängnissen die Gesellschaft erschüttert hatten, beeilten sich die politisch Verantwortlichen, wieder einmal eine Justizreform auf den Weg zu bringen. Doch die Gesetzesvorschläge, die weniger Haft und alternative Strafvollzugsmaßnahmen vorsehen, stoßen auf heftigen Widerspruch bei Staatsanwälten und Antimafiaermittlern.

Nach den verstörenden und bedrückenden Bildern von Polizeigewalt, die die italienische Zeitung Domani veröffentlicht hatte, handelt die Politik: Ministerpräsident Mario Draghi und seine Justizministerin Maria Cartabia besuchten das Gefängnis Francesco Uccella in Santa Maria Capua Vetere, einem Vorort von Caserta. Dort hatten am 6. April 2020 teils vermummte Beamte der Gefängnispolizei auf wehrlose Häftlinge eingeschlagen. Teils entkleidet, mussten die Gefangenen in würdelosen Haltungen vor den Beamten knien, immer wieder schlugen Gummiknüppel auf Köpfe und Körper, wurden die Malträtierten mit Fußtritten gequält.

Draghi und Cartabia zeigten sich erschüttert von den Zuständen und sicherten den Häftlingen zu, Abhilfe und würdigere Bedingungen in den Haftanstalten zu schaffen. Die rechtspopulistischen Politiker Matteo Salvini (Lega) und Giorgia Meloni (Fratelli d’Italia, FdI) stellten sich hingegen deutlich hinter das Gefängnispersonal. Diese Position dürften sie inzwischen wohl aufgeben, denn nach den ersten Veröffentlichungen aus dem Gefängnis bei Neapel meldeten sich weitere Betroffene aus anderen Haftanstalten mit Anzeigen. Inzwischen liegt der ermittelnden Staatsanwaltschaft Videomaterial von mehr als 20 Stunden vor, das Gewaltszenen, sexuellen Missbrauch und Vergewaltigungen sowie sonstige Verletzungen der Menschenwürde dokumentiert. Mit einer neuen Justiz- und Strafvollzugsreform soll nun diesen skandalösen und menschenunwürdigen Zuständen begegnet werden.

Haft nur bei schwerer Kriminalität

Seit langem bereits berichten ehemalige Häftlinge, Strafvollzugsbeamte und die Medien von den unhaltbaren Zuständen in den italienischen Gefängnissen. Die meisten von ihnen sind hoffnungslos überfüllt, die hygienischen Zustände stinken wortwörtlich zum Himmel. So war in dem erst 1990 erbauten Gefängnis in Santa Maria Capua Vetere noch nicht einmal eine Leitung für fließendes Wasser eingebaut worden.

Viele Zellen sind überbelegt. Möglichkeiten zur Resozialisierung – Arbeitsmöglichkeiten, Bildung, Kultur oder Freizeit – sind nur eingeschränkt vorhanden. Die jetzt angedachte Reform soll zunächst jedoch vor allem eine Reduzierung der Haftplätze anvisieren. Ministerin Cartabia, vor ihrer Berufung ins Amt erste Frau an der Spitze des hiesigen Verfassungsgerichts, will Haft nur noch für Schwerstkriminelle anordnen. Andere Gesetzesverstöße sollen mit Strafen wie Hausarrest, elektronischer Fußfessel oder sozialen Diensten belegt werden. Strafen, die eine Haftzeit bis zu einem Jahr vorsehen, sollen in die genannten Modelle umgewandelt werden. Auch die Option, längere Strafen im offenen Vollzug abzusitzen – und dabei soziale Dienste wie beim Roten Kreuz oder der Misericordia abzuleisten, soll es geben. Zudem soll (wieder einmal) die Prozesszeit deutlich verkürzt und Verfahren vereinfacht werden.

Gesetzentwurf stößt auf Kritik

Die geplante Reform – noch ist kein Gesetzestext den parlamentarischen Gremien zur Abstimmung vorgelegt – stößt bereits auf heftige Kritik. Sprecher des Nationalen Richterbundes ANM erklären, der Gesetzentwurf sei geradezu „eine Einladung zur Kriminalität“. Insbesondere die vorgesehenen stark verkürzten Verjährungsfristen stoßen auf die Kritik der Juristen. So sollen Verfahren in erster Instanz spätestens in drei Jahren, Appellationsverfahren in zwei Jahren und ein Prozess vor dem Kassationsgericht, der obersten Rechtsinstanz, nach einem Jahr beendet sein – bereits ein Tag der Fristüberschreitung führt unverzüglich zur Verjährung und zum Verfahrensende. Dies sei, so die Meinung der Richter, angesichts oft komplizierter Verstrickungen besonders bei Ermittlungen im Bereich der organisierten Kriminalität nicht einzuhalten und stelle daher eine gefährliche Rechtsunsicherheit dar.

Graue Eminenzen als Väter der Reform

Italienische Medien erinnern daran, dass bereits 2009 ein Vorstoß zur Prozessverkürzung unternommen wurde. Damals entwarfen Justizminister Angelino Alfano und Rechtsanwalt Niccolo Ghedini einen Gesetzentwurf, der vor allem die Prozesse gegen Ghedinis Mandanten, den Ministerpräsidenten und Pdl-Chef Silvio Berlusconi, verhindern und ihn so vor Strafverfolgung schützen sollte. Das Gesetz konnte seinerzeit gegen den Widerstand der Demokratischen Partei nicht durchgesetzt werden, Berlusconi musste sich zumindest in einem Verfahren verantworten und galt seither als vorbestraft.

Umso erstaunlicher, dass die aktuelle Reform, die einer Kopie des Alfano-Ghedini-Projektes ähnelt, nun die Zustimmung der Pd erhält. Richter und Staatsanwälte betrachten zumindest mit gemischten Gefühlen, was sich da im Strafrecht anbahnt. Mehr Rechtssicherheit erwarten sie derzeit von der Reform nicht. Und ob sich die Lage in den Gefängnissen danach bessert, ist eher fraglich.

Romain
21. Juli 2021 - 15.54

Es wurde keiner gezwungen Straftaten zu begehen um dann in den Knast zu kommen. Die Leute die da einsitzen haben selber Schuld.