FußballF91-Präsident Gerry Schintgen: „Der Verein hat jetzt mehr Autonomie“

Fußball / F91-Präsident Gerry Schintgen: „Der Verein hat jetzt mehr Autonomie“
Der 55-jährige Gerry Schintgen ist bereits seit 45 Jahren im Düdelinger Fußball tätig – als Spieler, Präsident der Jugendkommission, Stadionsprecher und inzwischen F91-Präsident Foto: privat

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Erst verließ Flavio Becca den F91 Düdelingen im Sommer endgültig in Richtung Hesperingen, dann legte wenige Monate später auch Präsident Romain Schumacher sein Amt nieder. Mit Stadionsprecher Gerry Schintgen an der Spitze des Fusionsvereins hat die Ära nach dem Mäzenatentum ein neues Gesicht bekommen – das Identifikation und eine starke Bindung zur Jugendakademie repräsentieren soll. 

Tageblatt: Sie sind nun seit Oktober Präsident des F91 Düdelingen. Mit welchen Aufgaben haben Sie sich seit der Amtsübernahme beschäftigen müssen?

Gerry Schintgen: Es gab zwei Dinge, auf die wir uns konzentriert haben. Zum einen haben wir uns immer wieder an die Entscheidungen der Regierung, des Sportministeriums und der FLF angepasst. Ich bin seit Oktober Präsident und in dieser Zeit gab es nur zwei Begegnungen, darunter ein Heimspiel. Danach ging es wie gesagt darum, viel mit dem Trainerstab zu sprechen, um uns jedes Mal an die Regelungen zu halten. Andererseits stand aber auch der finanzielle Aspekt im Fokus. Wir haben uns mit den Spielern zusammengesetzt und über die Gehälter gesprochen. Der gesamte Kader hat daraufhin eingewilligt, im Dezember auf zehn Prozent des Lohns zu verzichten. Die Situation ist nicht schön, aber wir können nichts daran ändern. Uns ergeht es ja nicht anders als den andern Klubs: Wir haben keine Heimspiele, also keine Einnahmen. Die Kosten laufen weiter, aber es kommt nichts rein. 

Erschwerend kommt hinzu, dass wir bis heute nur die staatlichen Hilfen für Spieler und Personal bekommen, die einen Arbeitsvertrag haben. Allerdings sind das in unserem Fall nur die wenigsten. Alle anderen haben einen „contrat louage d’ouvrage“, für die bis dato keine finanzielle Unterstützung der Regierung vorgesehen ist. Diese Löhne zahlt der Verein aus eigener Tasche. Momentan sind von den 30 Spielern im Kader nur fünf von den Entschädigungen betroffen. Zudem sind drei Personen vom F91 eingestellt: ein Platzwart, eine Reinigungskraft und ein Verantwortlicher für die sozialen Netzwerke.

Um bei den Finanzen zu bleiben: Es ist ein offenes Geheimnis, dass das Budget des F91 sich mit dem Abgang von Investor Flavio Becca drastisch verkleinert hat. Welche Einsparungen mussten gemacht werden?

Vergleicht man das Budget mit dem aus dem vergangenen Jahr, wurde es um 30 Prozent gekürzt. Es betrifft in erster Linie die erste Mannschaft. Im Jugendbereich hatten wir nie mehr Trainer als wirklich nötig. Das war bei dem Spielerpersonal anders. Dort wurden also die größten Einsparungen vorgenommen. 

Wie viel Becca steckt denn noch im F91 Düdelingen?

Außer den Spielern, die unter seiner Ära verpflichtet worden sind, eigentlich nichts mehr. Der Trainerstab wurde komplett erneuert, der medizinische ebenso. Es gab viele Ab- und Zugänge. 

Es kann nicht das Ziel eines Ausbildungszentrums sein, dass man junge Spieler jahrelang betreut – sie dann bei anderen Klubs in der BGL Ligue und der Ehrenpromotion auflaufen und wir nichts davon haben

Gerry Schintgen, F91-Präsident

Inwiefern betrifft das auch das Image des Vereins?

Mir ist aufgefallen, dass nach der Ära Becca eine Art von positiver Stimmung in Düdelingen aufkam, die besagte: „Wir haben unter ihm viel erreicht, das ohne ihn nicht möglich gewesen wäre. Das weiß jeder. Aber wir versuchen jetzt, mit kleineren Mitteln an diese Resultate anzuknüpfen.“ Es wäre vermessen zu behaupten, dass unser Ziel lautet, wieder eine Gruppenphase der Europa League zu erreichen. Aber wir wollen zeigen, dass wir mit weniger Mitteln trotzdem oben mitspielen können. In der nächsten Saison wird es in dieser Hinsicht ein weiteres Zeichen geben. Wir wollen noch mehr Leute aus unserer Akademie einbauen. Derzeit stammen fünf Spieler des 30-Mann-Kaders aus den eigenen Reihen.

Ich könnte mir vorstellen, dass es im nächsten Jahr bereits doppelt so viele sein werden. Es kann nicht das Ziel eines Ausbildungszentrums sein, dass man junge Spieler jahrelang betreut – sie dann bei anderen Klubs in der BGL Ligue und der Ehrenpromotion auflaufen und wir nichts davon haben. Das hat auch einen Einfluss auf die Stimmung und wird uns helfen, wieder mehr Zuschauer für einen Stadionbesuch zu motivieren. Man hat es bereits zu Beginn der Saison bemerkt. Es kamen Menschen zurück, die die Epoche vorher nicht interessiert hat. Man spürt, dass ein Sinneswandel im Stadion wie auch in der Stadt Düdelingen stattgefunden hat.

War es der bewusste Wunsch, diesen Umbruch zu provozieren und auch an der Spitze des Klubs ein neues Gesicht zu platzieren?

Wir hatten keine andere Wahl. Mit den Budgetkürzungen mussten wir andere Wege einschlagen, die nur über lokale Spieler und lokale Sponsoren gehen können. Wir möchten wieder auf die Düdelinger Menschen zugehen und sie ins Boot bekommen. Für mich ist es unheimlich wichtig, dass mein Vorgänger Romain Schumacher noch immer im Vorstand vertreten ist. Er verfügt über riesige Erfahrung im nationalen Fußball. Er macht uns immer wieder darauf aufmerksam, dass wir uns in den nächsten Wochen konkrete Gedanken über die nächste Saison machen müssen. Er war immer das Bindeglied zwischen dem Klub und dem Sponsor Becca. Das hat sich jetzt geändert. Der Verein hat jetzt mehr Autonomie. 

Wenn am Ende des Jahres ein Loch zu stopfen war, dann hat Flavio Becca sich darum gekümmert. Jetzt wissen wir, dass wir kein Loch aufreißen dürfen. 

Gerry Schintgen, F91-Präsident

Zum sportlichen Teil. Vor der Saison stand vor allem Swift Hesperingen im Fokus, doch den besten Start erwischte der F91. Was waren die Gründe des Erfolgs?

Erst einmal der exzellente Rahmen um das Ganze, mit einem hervorragenden Trainerstab und dem guten Draht zu den Spielern. Wir haben eine Reihe von qualitativ guten Spielern behalten können, die sich voll reinknien. Die Chemie passt einfach. Hinzu kommt, dass wir auch etwas Glück hatten und einige Spiele knapp gewonnen haben, die auch mit einem Unentschieden hätten enden können. In Hostert hat man gesehen, dass wir verdient verloren haben. Trotzdem bin ich positiv gestimmt, denn es geht jetzt wieder bei null los. Ich brenne darauf, dass wir am 7. Februar wieder durchstarten können. Ich hoffe wirklich, dass diese Saison zu Ende gespielt werden kann und es einen würdigen Meister gibt. 

Um bei der langen Zwangspause zu bleiben: Passt man seine Saisonziele aufgrund der Tatsache, dass es wieder bei null beginnt, neu an?

Die Pause nervt in dem Sinn viele Menschen, dass ihnen Fußball verwehrt bleibt. Wie es letztlich weitergeht … Es gibt haufenweise Szenarien. Es bleiben uns zwischen dem 7. Februar und Ende Mai noch 22 Begegnungen. Das ist ein Mammutprogramm. Da muss man abwarten, was kommt. Mit unserem A-Kader verfolgen wir trotzdem das klare Ziel, mindestens eine Qualifikation für den Europapokal zu erreichen – und sogar mehr, wenn es möglich sein sollte. Ich möchte aber hinzufügen, dass auch den Kindern der Sport fehlt. Die Jugendlichen tun mir leid. In unserem „Centre de formation“ werden im Schnitt jedes Jahr 400 Kinder und Jugendliche betreut. Das ist ein großer Aufwand, mit einem Trainerstab von über 25 Personen. 

Sie haben noch keinen Neuzugang angekündigt. Bleibt es dabei?

Wenn wir noch den einen oder anderen Spieler ausleihen könnten, der nicht sehr viel Praxis bekommt, wäre das durchaus vorstellbar. Stand heute gibt es keine Pläne für Verpflichtungen. Wir sind von einem 40-Mann-Kader auf 30 zurückgegangen und sind sehr zufrieden. Unserer Meinung nach sind alle Posten gut besetzt. Zudem wollten wir keine zusätzlichen Ausgaben tätigen. Früher war das Budget nie ein Thema. Es gab Einnahmen durch den Europapokal und Sponsoren. Wenn am Ende des Jahres ein Loch zu stopfen war, dann hat Flavio Becca sich darum gekümmert. Jetzt wissen wir, dass wir kein Loch aufreißen dürfen. 

Ryan Klapp nach Niederkorn

Der 28-jährige Ryan Klapp ist auf dem Weg nach Niederkorn. Offiziell bestätigt hat der F91 den Abgang seines Flügelspielers zwar noch nicht – doch die anstehende Pressekonferenz des Progrès (heute um 17.30 Uhr) dürfte Klarheit bringen. Wie wort.lu gestern berichtete, unterschrieb Klapp einen Vertrag über zweieinhalb Jahre.