Paul Philipp wird 70„Es war nie mein Plan, Präsident zu werden“

Paul Philipp wird 70 / „Es war nie mein Plan, Präsident zu werden“
Das Interview fand gestern in seiner Heimat Beggen statt Foto: Editpress/Claude Lenert

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FLF-Präsident Paul Philipp ist heute 70 Jahre alt geworden. Vor seinem Geburtstag hat sich das Tageblatt mit dem mächtigsten Mann des luxemburgischen Fußballs zum Interview in seiner alten Heimat Beggen getroffen. Ein Gespräch über vergangene Tage und neue Ziele.

Tageblatt: Welche Erinnerungen kommen hier im Stade Henri Dunant hoch?

Paul Philipp: Angefangen mit dem Fußball habe ich im alten Beggener Stadion, Stade Emile Metz-Tesch. Ich war zehn Jahre alt. Neben dem Fußball habe ich auch Leichtathletik betrieben. Mit 13 Jahren war ich sogar einmal luxemburgischer Crossmeister in meiner Alterskategorie. Auch Hochsprung und Weitsprung gehörten zu den Disziplinen, die ich mochte. Rückblickend haben diese Jahre mir nicht geschadet. Im Stade Henri Dunant habe ich 1984 mein Debüt als Spielertrainer gegeben. Gleich in der ersten Saison wurden wir Meister und Pokalsieger. Fairerweise muss man sagen, dass damals in der Mannschaft sechs oder sieben Nationalspieler waren – deshalb war das Double nicht so schwer zu erreichen. Das Stade Henri Dunant stellt eigentlich den Beginn meiner zweiten sportlichen Karriere dar.

Sie haben rund 54 Jahre Sport auf höchstem Niveau hinter sich. Welche Karriere ging mehr in die Knochen: die als Spieler, Trainer oder Funktionär?

Am schönsten waren auf jeden Fall die Jahre als Spieler. Man muss sich um nichts kümmern. Das merkt man aber erst, wenn man seine aktive Laufbahn beendet hat und eine andere Richtung einschlägt. Als Trainer hat man eine große Verantwortung und sehr viel Stress. Das war schon teilweise sehr heftig. Vor allem, wenn man für eine Mannschaft verantwortlich ist, die nicht so oft gewinnt – und das war ja bei mir der Fall als Trainer der Nationalmannschaft. Präsident zu sein ist noch etwas ganz andere. Eigentlich war es nie mein Plan, Präsident zu werden. Ich wollte Trainer sein und habe in den letzten beiden Jahren in Belgien meine Lizenz gemacht, um mich auf diese Aufgabe vorzubereiten.

Immer im Hintergrund war Ihre Frau. Wie geht sie mit diesem Vollzeit-Job um?

Ohne meine Frau wäre das nicht möglich gewesen. Man braucht einen Parnter, der akzeptieren kann, dass man nur sehr wenig zu Hause ist. Damals, als wir uns kennenlernten und ich nach Belgien gewechselt bin, hat sie noch bei der Steuerverwaltung in Luxemburg gearbeitet und ist oft zu meinen Spielen nach Brüssel gekommen. In meinem dritten und letzten Vertragsjahr haben mich der damalige Präsident von Union Saint-Gilloise und Trainer Guy Thys ins Büro zitiert, um mit mir Bilanz zu ziehen. Sie haben mich gefragt, wer denn die Frau sei, die immer zu den Spielen kommen würde und mich später im Gespräch darauf hingewiesen, dass es doch an der Zeit wäre, endlich zu heiraten. Kurz darauf hat meine Frau ihren Job in Luxemburg aufgegeben und ist nach Brüssel gezogen. Später hat sie dort für die Europäische Kommission gearbeitet. Als ich in Liège und Charleroi unter Vertrag stand, bin ich an jedem Tag von Brüssel aus zu den Trainings gependelt. Auch damals war ich nicht sehr oft zu Hause.

1968 zogen Sie aus, um in Belgien Karriere zu machen. Wie war das Profitum im Vergleich zu heute?

Es ist kein Vergleich zu heute. Heute gibt es Trainer und Spezialisten für jeden Bereich. Damals gab es einen Arzt und einen Co-Trainer. Es wurde nicht bis ins letzte Detail gearbeitet – auch weil die Kenntnisse dafür fehlten. Von der Intensität her war das damalige Trainingsvolumen aber vergleichbar mit dem von heute. Es wurde mehr Kondition gebolzt. Das macht man heute nicht mehr. Damals entwickelten sich die Spieler auch nicht so gut weiter, weil nur selten auf die Individualitäten eingegangen wurde. Damals war es wichtig, viel im anaeroben Bereich zu arbeiten. So wollten viele den Charakter der Spieler stärken, damit diese über ihre Grenzen hinausgehen. Beim Standard Liège war aber auch schon damals alles sehr professionell. 

Ihr erster Trainer bei Standard Liège hat sich anscheinend in Ihr Gedächtnis gebrannt.

Eine Szene vergesse ich nie. 1974 war Cor van der Hart unser Trainer beim Standard. Der war Co-Trainer unter Rinus Michels gewesen und hatte gerade mit den Niederlanden das WM-Finale gegen Deutschland verloren. Beim Trainingsstart standen wir alle in einer Reihe und wurden von einem Mitarbeiter des Vereins nacheinander unserem neuen Trainer vorgestellt. Ich hatte ihn gebeten, zu sagen: Paul Philipp, Union Saint-Gilloise. Er vergaß dies allerdings und sagte, dass ich aus Luxemburg komme. Als der Coach fast schon beim nächsten Spieler war, drehte er sich um und fragte, ob man in Luxemburg überhaupt Fußball spielen würde. 

1995 entfachten Sie eine neue Euphorie um die Nationalmannschaft durch Siege gegen Malta und Tschechien. Was war der emotionalste Moment in dieser Zeit?

Der fand eigentlich schon ein paar Jahre davor statt. Nachdem wir im Oktober 1990 dem damaligen amtierenden Weltmeister nur 2:3 unterlegen gewesen waren, entwickelte sich eine Euphorie um die Nationalmannschaft. Vier Monate später fand in Brüssel ein Testspiel gegen Belgien statt. Als wir vor dem Aufwärmen das Stadion betraten, waren dort 6.000 Luxemburger, die uns lautstark anfeuerten. Diesen Moment werde ich nie vergessen und er hat gezeigt, dass man auch hierzulande etwas bewegen kann.

Als wir vor dem Aufwärmen das Stadion betraten, waren dort 6.000 Luxemburger, die uns lautstark anfeuerten. Diesen Moment werde ich nie vergessen und er hat gezeigt, dass man auch hierzulande etwas bewegen kann.

Paul Philipp über das Länderspiel 1991 in Belgien

Sechs Jahre später wurden Sie als Nationaltrainer entlassen. Davon haben Sie jedoch aus der Presse erfahren. Wie kam es dazu?

Wenige Tage nach der 2:6-Niederlage gegen Jugoslawien in Belgrad wurde mein Vertrag aufgelöst. Kurz davor hatten wir jedoch 0:1 gegen die Färöer Inseln verloren. Bereits zu diesem Zeitpunkt gab es Gerüchte, dass es Gespräche zwischen der FLF und dem damaligen färingischen Trainer Allan Simonsen gegeben hatte. Am Tag nach dem Spiel gegen Jugoslawien hat mich Tageblatt-Journalist Jos. Tompers angerufen und mir mitgeteilt, dass der Verband mich entlassen habe. Die FLF hatte mir zu diesem Zeitpunkt noch nichts gesagt. Es war keine erstaunliche Entscheidung, aber eigentlich hatte ich mit dem Verband abgemacht, dass wir uns treffen würden, um eine Bilanz zu ziehen.

Der damalige FLF-Präsident Henri Roemer war für Ihre Entlassung zuständig. Drei Jahre später gewannen Sie eine Kampfabstimmung gegen ihn und wurden neuer Vorsitzender des nationalen Fußballverbandes. War es eine Genugtuung?

Nein, das würde ich nicht sagen. Ich bin eigentlich nicht davon ausgegangen, dass Henri Roemer noch einmal zur Wahl antreten würde. Bei der ersten außerordentlichen Generalversammlung hatte der Vorstand keine Zustimmung bekommen und deshalb musste eine zweite Versammlung her. Ich ging davon aus, dass er sich zurückziehen würde und einige Leute haben mich in diesem Zeitraum überredet, die Präsidentschaft zu übernehmen.

Was bewog Sie dazu, nach Ihrer sportlichen Karriere das Präsidentenamt anzustreben?

Damals haben mich einige Leute darauf angesprochen. Irgendwann hat sich eine Mannschaft gebildet, die Spaß an der Sache hatte. Es war fast wie in der Politik. Drei oder vier Jahre früher hätte ich mir niemals vorstellen können, als Präsidentschaftskandidat anzutreten.

Nur ein Jahr nach Ihrer Wahl wurde Allan Simonsen als Trainer entlassen und durch Guy Hellers ersetzt. Nach vielen Reibungen und der berühmten E-Mail-Affäre, die im Tageblatt veröffentlicht wurde, ging auch er 2010. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Für Simonsen war das Ende seiner Zeit wie eine Erlösung. Er hatte aber auch kein Spielermaterial zur Verfügung. Guy Hellers hat danach Disziplin eingeführt. Aber er hatte eine sehr starke Meinung und man konnte sich eigentlich fast nicht erlauben, eine andere Meinung zu haben. Durch seinen Charakter und Willen hat er Karriere als Spieler beim Standard Liège gemacht. Aber auf einmal wurden die Reibereien zu stark. Irgendwann hat er dann seinen Rücktritt erklärt. Bis heute weiß ich jedoch nicht, wer den E-Mail-Verkehr zwischen mir und Hellers geleakt hat.

2010 übernahm Luc Holtz das Traineramt. War er eigentlich nur als Übergangslösung vorgesehen?

Ja. Er war jung und wir haben ihm schlussendlich eine Chance gegeben. Aber auch er musste sich bewusst sein, dass es Geduld braucht, um eine neue Generation aufzubauen. Ich hätte damals als Trainer ein paar junge Spieler einbauen müssen, habe den Moment jedoch verpasst. Als Holtz 2010 angefangen hat, trug die nationale Fußballschule ihre ersten Früchte. Nach und nach ist er in seine Aufgabe hineingewachsen. Als Trainer hatte ich es nicht leicht mit ihm. Wenn man ein Gespräch mit ihm suchte, hat er immer auf den Boden gestarrt. Als Trainer der Nationalmannschaft wurde er erwachsen und bei diesem Prozess hat auch seine Frau mitgeholfen.

Als Trainer der Nationalmannschaft wurde er erwachsen und bei diesem Prozess hat auch seine Frau mitgeholfen

Paul Philipp über Nationaltrainer Luc Holtz

Sie sind seit Jahrzehnten das bekannteste Gesicht des nationalen Fußballs. Können Sie privat eigentlich noch ein paar ruhige Minuten verbringen?

Man gewöhnt sich dran, auf der Straße angesprochen zu werden. Durch die Champions-League-Übertragung ist mein Bekanntheitsgrad noch einmal gestiegen. Der Umgang ist aber angenehmer als damals, als ich Trainer war. So viele Spiele haben wir damals nicht gewonnen und die Leute haben damals nicht immer verstanden, warum ich keine vier Stürmer aufgestellt habe. Wenn ich in Luxemburg bin, gehe ich eigentlich nur zu den Fußballspielen und zur FLF nach Monnerich. Deshalb wird mir das eigentlich nie zu viel.

Manche sagen, der markante Schnauzer und die immer gleiche Frisur würden zur Erkennung beitragen. Sind Sie beratungsresistent in puncto Stil?

Ich will auf keinen Fall was Neues probieren. Es reicht ja schon, dass die Farbe sich im Laufe der Jahre verändert hat. Ich lasse das alles auf mich zukommen und mache mir keine Gedanken um einen Haarschnitt. Aber ich bin mir bewusst, dass diese Erscheinung auch Wiedererkennungswert hat.

In 56 Jahren Fußball hatten Sie viele Wegbegleiter. Wer sind Ihre Vertrauenspersonen, wenn es um wichtige Themen geht?

Meine Frau an allererster Stelle. Sie versteht nichts von Fußball und es ist wichtig, dass ich nicht noch zu Hause über Fußball reden muss. Leider hatte ich als Trainer keinen großen Trainerstab, mit dem ich mich austauschen konnte. Und wenn ich mal irgendeinen um Rat gebeten habe, dann hat er mich in meiner Meinung bestätigt. Das hat mir zu dem Zeitpunkt in den Kram gepasst, hat mich aber nicht weitergebracht. Mit dem ehemaligen Teamarzt Dr. Robert Huberty habe ich mich regelmäßig über die Spieler unterhalten. Er hat bis 2.00 Uhr in der Nacht operiert und danach noch bis 3.00 Uhr mit mir über Fußball geredet. Heute als Funktionär habe ich einen sehr guten Draht zu sämtlichen Mitgliedern des FLF-Verwaltungsrates.

Auf diesem Weg haben auch wahrscheinlich viele Menschen Sie enttäuscht. Was werden Sie nie vergessen?

Es gab einige Enttäuschungen, aber die habe ich sehr schnell überwunden. Es bringt nichts, zu lange über Sachen nachzudenken. Wenn man Erfolg hat, kommen viele Freunde hinzu, wenn nicht, wird es leerer um einen herum. Das habe ich in den letzten Jahren als Nationaltrainer gemerkt.

Welche Ziele und Träume verfolgen Sie noch in den nächsten Jahren?

Kurzfristig wünsche ich mir, dass wir die Länderspiele gegen Zypern und Aserbaidschan gewinnen und in die Division B der Nations League aufsteigen. Dann hoffe ich, dass das neue Nationalstadion noch im kommenden Frühjahr bezogen werden kann. Es sieht allerdings nicht unbedingt danach aus. Ein wichtiger Moment bei der FLF ist der Wechsel auf dem Posten des Sportdirektors. Manuel Cardoni wird diese Aufgabe von Reinhold Breu übernehmen und wir hoffen, dass wir weiterhin Talente herausbringen können. Ein Traum wäre es, irgendwann mit Luxemburg an einer EM oder WM teilzunehmen.

2022 steht eine neue Präsidentenwahl an. Werden Sie wieder antreten?

Wenn die Wahlen heute wären, würde ich wieder antreten. Aber eigentlich mache ich mir jetzt noch keine Gedanken darum. Ich habe keinen Karriereplan, sondern will einfach ein Projekt nach dem anderen angehen.

Morgen (heute; d.Red.) steht Ihr 70. Geburtstag an. Wie werden Sie feiern?

Ich werde die Champions League auf RTL kommentieren. Mehr ist meines Wissens nicht geplant. Ein schönes Geschenk wäre es jedoch, wenn Lydie Polfer mir mitteilen würde, dass das Stadion bald fertig ist.

Steckbrief

Name: Paul Philipp
Geboren am 21.10.1950 in Dommeldingen
Vereine als Aktiver: Avenir Beggen, Union Saint-Gilloise, Standard Liège, Union Saint-Gilloise, Sporting Charleroi (alle B), Avenir Beggen
Station als Trainer: Luxemburg (1985 bis 2001)
A-Länderspiele: 54 (vier Tore)
Länderspiele als Trainer: 87