Theater„Es ist trotzdem Unfug“: Peter Shaffers „Amadeus“ in einer Inszenierung von Jacques Schiltz und Claire Wagener

Theater / „Es ist trotzdem Unfug“: Peter Shaffers „Amadeus“ in einer Inszenierung von Jacques Schiltz und Claire Wagener
Für das 25-jährige Jubiläum des Künstlerkollektivs „Independent Little Lies“ wird der Theaterklassiker „Amadeus“ aufgeführt Foto: Boshua

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Wer die Arbeiten von Jacques Schiltz und Claire Wagener kennt, wird zunächst verwirrt sein: Ihre Inszenierung von Peter Shaffers „Amadeus“ ist ungewohnt linear und melancholisch. Das liegt weniger daran, dass sich die beiden „Agitatoren“ beruhigt hätten und ein Repertoire an klassischen Alterswerken anpeilen würden, sondern erklärt sich dadurch, dass in Zeiten der Pandemie die geplante Satire auf den hiesigen Kulturbetrieb unpassend gewirkt hätte. Diese (relative) Ernsthaftigkeit tut dem Stück trotz einiger Längen meist gut.

Beim verfrühten Ableben berühmter Persönlichkeiten sind die Spekulationen um einen unnatürlichen Tod nicht nur unumgänglich, sie stellen stets auch einen fruchtbaren Nährboden für die Fiktion dar. Bereits vor Laurent Binets „La septième fonction du langage“, in dem der Autor hinter Roland Barthes’ Unfall vor dem Collège de France einen Mord verdächtigte, hatten sich nicht nur Schriftsteller mit dem Tod Mozarts beschäftigt.

Zu Beginn des Stücks liest Schauspielerin Elsa Rauchs eine ellenlange Liste der von Medizinern erwähnten möglichen Todesursachen vor, der Verweis auf widersprüchliche Diagnosen stellt eine der subtileren Anspielungen auf den pandemischen Kontext dar. Nachdem die Liste möglicher Erkrankungen erschöpft scheint, wird die Möglichkeit eines Mordes erwähnt. Und wie in jedem guten (oder weniger guten) Kriminalroman stellt sich unweigerlich die Frage: Cui bono?

Die Textvorlage für Jacques Schiltz und Claire Wagners erste gemeinsame Regiearbeit seit ihren „Agitateurs“ im Théâtre du Centaure ist so bekannt wie beliebt: Peter Shaffers „Amadeus“ erzählt die Geschichte der Rivalität zwischen den Komponisten Antonio Salieri und Wolfgang Amadeus Mozart.

Italiener Salieri fristet ein sorgloses Dasein als anerkannter Hofkomponist für den österreichischen Kaiser Joseph – bis zum Tag an dem Mozart, dieses „kichernde Kind“, das auf schon fast postmoderne Weise die niedere Kunst des Billard-Spiels ebenso schätzt wie die hohe Kunst der Musik, in Wien eintrifft und die musikalischen Machtstrukturen zu Hofe unwillentlich ins Wanken bringt.

Eingebettet in eine Rahmenhandlung – ein aufgewühlt-resignierter alter Salieri (Marc Baum) sitzt im Schaukelstuhl, blickt auf sein Leben zurück, philosophiert über die Musik, kritisiert die „dürftigen Opern“ Beethovens und ärgert sich über Gott, der ihn als „Schutzheiligen der Mittelmäßigen“ auserkoren hat – schälen sich die einzelnen Szenen der Rivalität zwischen den beiden Musikern aus dem (etwas zu langatmigen) Monolog heraus und wirken wie einzelne polyfone Kompositionen oder Tableaus: Nachdem er einem ersten Mozart-Konzert beigesessen hat, bekommt der junge Salieri (Max Thommes) es mit der Angst zu tun, die Partituren, die er danach einsieht, beruhigen ihn allerdings – dieser Geniestreich war wohl nur Zufall.

Als Mozart (Anouk Wagener) sich allerdings aufmacht, die Wiener Musikszene mit seiner Unbeschwertheit und seinen wagemutigen, andersartigen Projekten zu entstauben, fokussiert Salieri sein (bescheidenes) Talent auf Manipulation und Intrigen – was Salieri Mozart nicht verzeihen kann, ist, dass dieser ihm die eigenen Charakterschwächen nicht nur vor Augen führt, sondern sie geradezu aus ihm herauskitzelt.

Feste und Feuerwerk

Fast schon ironisch mutet es an, dass ein Stück über künstlerische Rivalität pandemiebedingt konkurrenzlos ist – kurz vor der Uraufführung meint Regisseur Jacques Schiltz dazu nur knapp: „Ganz gleich, wie es läuft, es wird so oder so heute die beste Premiere Europas sein.“

Wer die Regiearbeiten von Schiltz und Wagener kennt, wird sich zunächst über die ernste, melancholische, lineare Inszenierung wundern und sich fragen, ob es die Musik Mozarts oder der Text Shaffers war, die oder der den beiden eine solche Ehrfurcht eingeflößt hat, dass die metatextuellen Vexierspiele, die Wortwitze und die zahlreichen Anspielungen an die hiesige Kulturszene ein wenig abhandengekommen sind. Auch Bühnenbild und Video (Anne Schiltz) kommen klassisch-elegant daher.

Anfangs wollten Schiltz und Wagener effektiv „eine trashige Satire über den Kulturbetrieb in Luxemburg anlegen“. Seit März sind die kleingeistigen Rivalitäten jedoch Geschichte, der hiesige Kultursektor zeigt sich solidarisch, weswegen man sich auf eine einfachere Gestaltung, eine minimalistischere Herangehensweise besann – ganz im Sinne Mozarts, dessen Partitionen immer exakt so viele Noten wie nötig hatten (ganz gleich, wie überschwänglich und verspielt sie wirkten).

Somit richtet die Regie den Fokus auf den Text, die Musik, die Schauspieler und deren Zusammenhalt: Anouk Wagner überzeugt als schelmisches, unreifes und unverschämtes Wunderkind, das mit der zukünftigen Ehefrau (Rosalie Maes) herumtollt, Max Thommes und Marc Baum ergänzen sich vorzüglich als zweiköpfiges Scheusal, am besten (und albernsten) ist Dominik Raneburgers Kaiser, der seine hoheitliche Ignoranz und seine königliche Willkür in einen übertriebenen Akzent (ein Schiltz-Trademark) und gestelzte Gesten einpackt – und somit das bis zu seinem Auftritt etwas steife Schauspiel majestätisch und flapsig durchbricht.

Gen Ende kommt sie dann doch noch, die Albernheit, der man im Programmheft abgesagt hat: Unter Jhang Bermes’ musikalischer Leitung spielt und singt jeder der jungen Musiker in einem anachronistischem Mozart-Medley darauf los, was das Zeug hält. Im Zentrum stehen plötzlich ein Saxofon, ein Akkordeon und die Comedian Harmonists aus Düsseldorf. Gleichzeitig wird der alte Salieri unter den Requisiten begraben, während man ihn mit Partituren füttert – in dieser bescheuert-allegorischen Szene wird mit allen verstaubten, konservativen Kunstformen abgerechnet (was die Hymne an musikalische Komplexität im Epilog verdeutlicht).

Klar wird, dass sich Schiltz und Wagener an die Seite der künstlerischen Freiheit stellen – das vermittelt diese postmodern-dadaistische Nonsens-Szene durchaus, der Eleganz einer klaren, klassischen Regiearbeit hat sich das Regie-Duo dennoch teilweise verschrieben. Trotzdem: Ihr „Amadeus“ funktioniert, ist einfallsreich inszeniert, gut gespielt und hat ausreichend lustige und tiefgründige Momente, um einen anspruchsvollen Theaterabend auszumachen. Das alberne Pendant dazu können uns die beiden ja dann nach der Pandemie nachreichen.

Weitere Termine: am 3. und 4.12 im CAPE, am 5.,6.,8.,10.,12.12 im Carré Hollerich