RusslandErst Flugumleitung, dann Festnahme – wie sich um Nawalnys Rückkehr ein wahrer Krimi entfaltet hat

Russland / Erst Flugumleitung, dann Festnahme – wie sich um Nawalnys Rückkehr ein wahrer Krimi entfaltet hat
Nawalny vor dem Abflug: Vielen Journalisten war es gelungen, trotz der Corona-Reisebeschränkungen ein Ticket für den Flug DP936 zu buchen Foto: AFP/Kirill Kudryavtsev

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Der Kreml-Kritiker wusste, dass er nach seiner Ankunft in Moskau nicht mit Gnade rechnen kann. Doch nur in seiner Heimat kann er als Oppositionsfigur relevant bleiben. Eine riskante Rechnung.

Alexej Nawalny wusste, dass ihn nach seiner Landung am Sonntagabend in Moskau die harte Reaktion des russischen Staates erwarten würde. Bis zuletzt hatte er die Vorbereitungen des Sicherheitsapparates hinsichtlich seiner Heimkehr hämisch kommentiert. Auch noch kurz vor seinem Abflug in Berlin, als sich Nawalny, umringt von mitfliegenden Journalisten, zu seinem Sitzplatz in Reihe 13 durchkämpfte, sagte er: „Die Staatsmacht hat Angst.“

Dieser Eindruck verstärkte sich tatsächlich im Laufe des Abends: Nawalnys Flug wurde kurz vor der geplanten Landung am Airport Wnukowo auf den Flughafen Scheremetjewo umgeleitet. In den Norden der Stadt. Wo, anders als im südlichen Wnukowo, keine Unterstützer auf ihn warteten. Man stelle sich vor: Eine Flugumleitung – wegen eines einzigen Passagiers.

Nach der Landung stieg Nawalny aus dem Flugzeug aus, entschuldigte sich bei den anderen Passagieren für die Unannehmlichkeiten, und sagte ruhig: „Ich habe keine Angst. Ich gehe jetzt zur Passkontrolle und fahre danach nach Hause.“ Doch daraus wurde zunächst nichts: Polizeibeamte nahmen Nawalny mit. Die Details waren zunächst nicht klar. Doch die Androhung einer Festnahme nach Ankunft hatte schon seit ein paar Tagen im Raum gestanden.

Kontrollverlust am vorgesehenen Flughafen

Um Nawalnys Rückkehr hatte sich am Sonntagabend ein wahrer Krimi entfaltet. Den Behörden war es nicht gelungen, die Lage am Flughafen Wnukowo zu kontrollieren. Das Sicherheitsaufgebot dort war beträchtlich. Ein von Nawalny-Fans einberufener Willkommens-Event war für illegal erklärt worden. Dennoch erschienen Hunderte, die sich nicht abschrecken ließen. Im Laufe des Abends wurden dutzende Menschen festgenommen – unter ihnen auch die Nawalny-Verbündete Ljubow Sobol. Die Sicherheitskräfte drängten die Menge schließlich aus dem Gebäude – draußen herrschten Temperaturen von -22 Grad Celsius. Dann kam es zu einer Spontankundgebung im Freien.

Wachpersonal hatte schon tagsüber Personen kontrolliert, die das Flughafengebäude betreten wollten. Nur Menschen mit Flugticket sollten vorgelassen werden. Unterstützern und auch Journalisten wurde der Zugang verwehrt.

Nawalny am Sonntagabend bei der Passkontrolle – kurz darauf wurde der Oppositionspolitiker festgenommen
Nawalny am Sonntagabend bei der Passkontrolle – kurz darauf wurde der Oppositionspolitiker festgenommen Foto: AFP/Kirill Kudryavtsev

Die russischen Sicherheitsbehörden haben viel getan, damit dem aus Deutschland zurückkehrenden Kreml-Kritiker bei seiner für 19.20 Uhr Ortszeit geplanten Landung kein feierlicher Empfang bereitet werden würde. Bilder eines von seinen Anhängern umringten Nawalny sollte es aus Moskau keine geben. Ebenso wenig feurige Reden, Jubel oder gar Anti-Putin-Agitation. Die Staatsanwaltschaft hatte vorab einen von Nawalny-Fans einberufenen Willkommens-Event für illegal erklärt. Ein paar Mitstreiter schafften es dennoch bis ins Flughafeninnere, das größtenteils von offenbar extra herangekarrten Verehrern einer mittelmäßigen russischen Popsängerin gefüllt war – die Behörden versuchten es also mit allen Tricks.

Es schien, als habe der Kreml die Lektionen aus der Geschichte gelernt. Als im April 1917 Lenin nach einer achttägigen Zugreise quer durch Europa nach Petrograd zurückkehrte, wurde er auf dem Finnischen Bahnhof von einer begeisterten Menge empfangen. Lenins Rückkehr nach Russland war eine Fahrt in die Revolution. Nawalnys Rückkehr in die Heimat ist eine Reise in die Repression.

Auf Nawalny warten mehrere Strafverfahren

Den Oppositionspolitiker erwarten mehrere Strafverfahren, die ihn abermals für längere Zeit hinter Gitter bringen könnten. Festgenommen werden könnte er jederzeit. Nawalny droht die Wiederaufnahme eines früheren Verfahrens, weil ihm der Verstoß gegen seine Bewährungsauflagen vorgeworfen wird. Ende Januar will ein Moskauer Gericht entscheiden, ob die Bewährungsstrafe in eine reale Freiheitsstrafe umgewandelt wird. Zudem wird gegen ihn wegen angeblichem Betrug ermittelt.

Nawalny kann auf keine Nachsicht des Kreml hoffen. Der 44-Jährige dürfte schon bald mit Behörden-Terminen eingedeckt werden. Doch Nawalny geht dieses Risiko wissentlich ein. Er will kein Polit-Emigrant sein, kein YouTuber im sicheren Ausland. Nach seiner Vergiftung ist Nawalny in Russland bekannter denn zuvor. Er sucht die Konfrontation mit dem Kreml. Wenn es sein muss, hinter Gittern.

Sitzplatz in Reihe 13: Nawalny und seine Frau Yulia auf dem Weg nach Moskau
Sitzplatz in Reihe 13: Nawalny und seine Frau Yulia auf dem Weg nach Moskau Foto: AFP/Kirill Kudryavtsev

Nawalny hatte sich seit August 2020 in Deutschland aufgehalten, nachdem er auf einer Sibirien-Reise mit Nowitschok vergiftet und mit einem Krankentransport außer Landes gebracht worden war. Dank Behandlung im Berliner Spital Charité konnte er gesunden. Nach seiner Entlassung im September hielt er sich die meiste Zeit zur Genesung im Schwarzwald auf. Vor ein paar Tagen hatte der Oppositionspolitiker seine Rückkehr für Sonntag angekündigt.

Vor seinem Abflug wurde Nawalny vor dem Terminal 5 des Berliner Flughafens BER von Journalisten und Schaulustigen erwartet. Doch zu sehen bekamen ihn erst die Mitreisenden im Flugzeug, darunter viele Journalisten, denen es gelungen war, trotz der Corona-Reisebeschränkungen zwischen Russland und der EU, ein Ticket für den Flug DP936 zu buchen. Der 44-Jährige – in blauem Kapuzenpulli und grüner Jacke – wurde minutenlang von Reportern umringt. „Ich habe das Recht, nach Russland zurückzukehren“, sagte Nawalny. Und dann bat er die Passagiere, sich endlich hinzusetzen. „Sonst hebt das Flugzeug nicht ab.“

Beobachter
18. Januar 2021 - 16.30

Putin ist bei seinem Volk ziemlich beliebt und er hat Bildung und Kultur. Nawalny hat ja überhaupt keine Chance. Er sollte einfach in Westeuropa bleiben und sein Leben geniessen.

JJ
18. Januar 2021 - 9.48

Noch ein Märtyrer hinter Gittern. China,Korea,Russland alles dieselbe Soße.Regime die das Volk drangsalieren und jede Kritik im Keim ersticken.Aber ziviler Widerstand funktionniert.Ghandi hat es geschafft als 700 000 000 Menschen sich in den Streik begaben. Ok das waren damals die Briten.Die heutigen Diktatoren haben andere Methoden.Dennoch,ohne das Volk keine Regierung.

monopol scholer
17. Januar 2021 - 23.08

Und was wird Nawalny jetzt damit bewirken?