Ein Jahr nach dem TornadoDie meisten Schäden wurden behoben, doch die Erinnerung bleibt

Ein Jahr nach dem Tornado / Die meisten Schäden wurden behoben, doch die Erinnerung bleibt
Der Tornado verwüstete große Teile des Südwestens Luxemburgs Foto: Editpress/Anne Lommel

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Ein Tornado ist in Luxemburg ein seltenes Schauspiel. Vor einem Jahr jedoch fegte solch ein Wirbelsturm über den Südwesten des Landes hinweg und richtete erheblichen Schaden an. Über 600 Häuser wurden beschädigt und 19 Personen verletzt. Wie sieht die Lage ein Jahr danach aus?

In den Straßen von Käerjeng und Petingen sieht man auf den ersten Blick fast nichts mehr von der Katastrophe am 9. August 2019. Hier und da erinnern Gerüste an den Sturm, der eine Spur der Verwüstung hinter sich gelassen hatte. Wegen der Corona-Pandemie seien die Reparaturarbeiten leicht in Verzug geraten, berichtet der Petinger Bürgermeister Pierre Mellina (CSV). Mittlerweile seien die meisten der beschädigten Gebäude in seiner Gemeinde wieder instand gesetzt worden. Manche der Betroffenen würden die Reparaturarbeiten auch nutzen, um umfangreichere Änderungen vorzunehmen.

Von den rund 30 Häusern, die in Petingen als nicht bewohnbar eingestuft wurden, gelten noch immer 24 als solches, erklärt Mellina. Ein Hausinhaber habe sogar eine Verlängerung der Bescheinigung der Nicht-Bewohnbarkeit beantragt. Bei sieben Gebäuden seien die Renovierungsarbeiten in vollem Gange, bei 16 weiteren habe die Gemeinde keine Informationen. Sie wisse lediglich, dass dort im Augenblick niemand lebe.

Insgesamt mussten weit mehr als 100 Personen nach dem Sturm woanders untergebracht werden. Ein beschädigtes Haus in der rue de la Liberté wird abgerissen und das Grundstück in ein neues Bauprojekt integriert. Der Fußballplatz in Lamadelaine, die Garagen hinter dem Kulturzentrum „A Rousen“, die Bepflanzungen und die Straßenbeleuchtung in Petingen seien aber quasi zu 100 Prozent wiederhergestellt worden, berichtet Mellina. Das Innenministerium habe angekündigt, einen Teil der Kosten für die neuen Schilder, Bushäuschen, Bäume usw. zu übernehmen. Durch die Coronavirus-Krise hätten die Dossiers aber etwas Verspätung bekommen. Die Trümmer des Wirbelsturms waren auf dem Eucosider-Gelände gelagert worden. Inzwischen sei das Areal aber wieder geräumt worden. Die Reinigungsarbeiten hätte der Staat übernommen.

Schwer verletzten Opfern geht es besser

Auch in Käerjeng würden die Spuren des Wirbelsturms verschwinden, bestätigt Frank Pirrotte (CSV), der Erste Schöffe der Gemeinde. Alle beschädigten Häuser seien wieder bewohnbar, nur die Fassadenarbeiten an mehreren Gebäuden müssten noch beendet werden. Auch die beiden Frauen, die während des Tornados schwer verletzt wurden, befänden sich auf dem Weg zur Besserung. Bei einer der Betroffenen stünden noch chirurgische Eingriffe an. Damals, als der Sturm durch Käerjeng fegte, erlitt eines der Opfer einen Herzstillstand, während eine andere Bewohnerin an einer Bushaltestelle stand und durch die Wucht des Tornados mehrere Meter durch die Luft geschleudert wurde, während die Glasscheiben explodierten. Zudem wurde ihr die Brieftasche gestohlen, als sie mit zahlreichen Brüchen und Schnittwunden am Boden lag.

Was die öffentlichen Einrichtungen betrifft, seien sämtliche Schäden, vor allem am „Treff“, an der Sporthalle, am Fußballplatz und am „Dribbel“ behoben worden. Laut den beiden Politikern sei etwa drei Wochen nach der Katastrophe wieder Normalität in den Straßen der Gemeinden eingekehrt. Sie streichen die Solidarität hervor, die während dieser Zeit herrschte. Als Beispiel nannte Pirrotte die Putzaktion in seiner Gemeinde, an der über 600 Personen teilgenommen haben.

Infolge der Umweltkatastrophe wurde das EVAT (Emergency Volunteer Aid Team) aus der Taufe gehoben. Diese Gruppe von ehrenamtlichen Helfern will sich in Krisensituationen für ihre Mitmenschen einsetzen. Auch die vielen Spenden, die die betroffenen Gemeinden erhalten haben, müssen erwähnt werden. 1,1 Million Euro stünden ihnen zur Verfügung. Ein Begleitausschuss wurde vor einer Weile ins Leben gerufen, um die Verteilung der Spenden zu koordinieren, doch wegen der Pandemie gehe das Ganze mit Verspätung vonstatten. Bei Schäden an Häusern werden bis zu 70 Prozent bzw. maximal 50.000 Euro übernommen. Bei Fahrzeugen sind es 50 Prozent – der Höchstwert liegt hier bei 10.000 Euro. Der Sturm hatte auch den Friedhof von Petingen in Mitleidenschaft gezogen. Hier werden 70 Prozent der Kosten übernommen.

36 Dossiers befinden sich noch in Arbeit

In Petingen wurden insgesamt 89 Dossiers abgeschlossen und 398.650 Euro an die Opfer ausgezahlt. 24 sind noch offen. In Käerjeng, wo 246.903 Euro an Betroffene überwiesen wurden, konnten 40 Dossiers bereits ad acta gelegt werden und zwölf befinden sich noch in Arbeit.

Familienministerin Corinne Cahen (DP) hat den Gemeinden deshalb geraten, eine Finanzreserve anzulegen. Sie hebt jedoch auch die Effizienz der lokalen Behörden und die enorme Solidarität unter der Bevölkerung hervor, die dazu beigetragen hätten, wieder schnell zur Normalität zurückzukehren. Nun hofft man, dass alle Dossiers im September dieses Jahres ad acta gelegt werden können. Den Versicherungsgesellschaften wurden Schäden in Höhe von mehr als 100 Millionen Euro gemeldet. Dazu kamen die Entschädigungsanträge, welche die Opfer beim Familienministerium einreichen konnten. Erst wenn nach diesen beiden Etappen die Schäden immer noch nicht abgedeckt sind, können die Bürger Geld aus dem Spendentopf beantragen. Die Frist für das Einreichen der entsprechenden Anträge beim Sozialbüro der Gemeinde war verlängert worden.

„Die Versicherung kam nicht für den gesamten Schaden auf, das Ministerium auch nicht“, erzählt uns ein Betroffener aus Petingen, der die Gemeindeverantwortlichen für ihren Einsatz und die finanzielle Hilfe lobt. Bleibt Geld aus dem Spendentopf übrig, wird es in die öffentlichen Plätze und Parks investiert, erfahren wir von den Kommunen.

Solidarität ist in Corona-Zeiten geblieben

Die ersten Wochen nach der Katastrophe waren für die Beteiligten besonders anstrengend. Die Mitglieder der Rettungsdienste und die vielen freiwilligen Helfer hatten alle Hände voll zu tun, um die Schäden zu beseitigen. „Wir haben in den zwei Wochen danach nicht viel geschlafen“, berichtet Damien (30) aus Petingen. „Wenn wir aber sahen, wie dankbar die Leute waren, spornte das uns weiter an.“

Die zwei Wochen nach dem Sturm sei die härteste Zeit in seiner politischen Karriere gewesen, sagt Mellina. Die Menschen hätten das Engagement der Gemeinden zu schätzen gewusst. Vor allem die menschlichen Schicksale hätten sie bewegt, so Mellina und Pirrotte einstimmig. Die Betroffenen hatten viele Fragen, vor allem zu den Themen Ersatzwohnungen, Schule und Kinderbetreuung. „Aber was sagt man jemandem, der quasi alles verloren hat?“, sagt der Petinger Bürgermeister. Ab Mitte September 2019 sei es aber ruhiger geworden, als die Personen, die in Hotels untergebracht werden mussten, diese verlassen konnten und die Schule wieder anfing.

Inzwischen hat die Corona-Pandemie den Wirbelsturm aus den Köpfen verdrängt. Der Großteil der Schäden ist behoben und der Tornado für viele vor allem eine negative Erinnerung. Etwas Positives kann Pirrotte der Katastrophe doch abgewinnen: Man habe wichtige Erfahrungen dazu sammeln können, wie man im Falle einer weiteren Krise handeln kann. Auch die Solidarität unter der Bevölkerung sei nach dem Sturm gestiegen. „Die Leute können im Notfall sehr schnell wieder zusammenrücken“, meint Mellina.

Um an die Katastrophe zu erinnern, wird in Käerjeng in der Nähe des neuen Flüchtlingszentrums eine neue Straße auf den Namen „9 août 2019“ getauft. In Petingen schließt man ein solches Vorgehen nicht aus, aber zumindest nicht in nächster Zeit.

Grober J-P.
10. August 2020 - 9.42

36 Dossiers noch in Arbeit = 36 Dossiers zu viel.