/ Die Frau, die mit dem Royals abrechnet
Die 44-jährige Carrie Reichardt ist keine gewöhnliche Künstlerin. Im Gegensatz zu vielen angesagten Branchenkollegen wohnt sie weder in einem In-Viertel von London noch in einem schicken Loft. Reichardt hat sich im friedlichen Chiswick etwas ausserhalb des Zentrums niedergelassen. Mit ihrer Familie bewohnt sie ein traditionelles Arbeiterhaus, das, seit sie hier lebt, alles andere als typisch englisch aussieht. Schon von weitem sticht Reichardts farbiges Mosaik-Haus ins Auge, davor steht ein nicht weniger auffälliger Pick-up – auch mit bunten Mosaiksteinen verziert.
Die Hausherrin selber ist ebenfalls ein Kunstwerk. Rock, Stiefel, schwarzes T-Shirt, Mütze mit der Aufschrift „Art Terrorist“ sowie eine Halskette, die ein weibliches Geschlechtsteil darstellt, zieren die Frau. Das ganze Haus ist mit Kunstwerken gefüllt. Eine lebensgrosse Polizisten-Puppe trägt eine schusssichere Weste, „Metropolitan Peace“ steht darauf, aus der Weste ragt ein Schweinekopf. Skulpturen stehen in den Gängen, ein Gipsabdruck eines hingerichteten Häftlings hängt an der Wand, Katzen rennen durch das Haus. Auf Reichardts Gartenmauer wurden Graffitis gesprayt, in einem aufblasbaren Kinderschwimmbecken liegt ein Gummi-Leguan.
William ein Clown, die Queen mit Affengesicht
Auf dem Esstisch stehen Porzellan-Tassen und Teller. Kate- und William-Porträts schmücken die Tassen, andere Mitglieder der königlichen Familie, so etwa Diana und Charles, zieren die Teller. Allerdings hat sie das Geschirr verändert – upcycelt (aufgewertet) – wie es Reichardt nennt. Die Künstlerin hat den Prinzessinnen und Prinzen, den Königinnen und Königen Fratzen aufgemalt. Clown-, Toten- und Affenköpfe verdecken die Königsgesichter. Zudem pinselte die Künstlerin zum Teil nicht ganz jugendfreie Flüche auf das Porzellan. Mehrere hundert solcher Werke hat Reichardt hergestellt und die Kollektion „Mad in England“ getauft.
Mit „Mad in England“ ist ein Produkt aus Zorn und Wut entstanden. „Ich war ausser mir, als ich erfuhr, dass die Königsfamilie den Auftrag für das 16 000-teilige Hochzeitsgeschirr an eine Firma aus China vergeben hat“, sagt die dreifache Mutter. Da werde den Menschen ständig eingetrichtert, sie müssten England unterstützen, die Wirtschaft ankurbeln und dann falle den Blaublütern nichts Besseres ein, als ihr Porzellan im Ausland herstellen zu lassen. „Dumm, einfach nur dumm“, sagt Reichardt. Weil sich selbst die britische Presse nicht darüber empörte, begann die selbsternannte Kunstterroristin damit, altes Porzellan, das in England hergestellt wurde, zusammenzukaufen und zu „verschönern“. Ihr Endprodukt, die „Mad in England“-Kollektion, ist auf Etsy, eBay und in ausgewählten Läden erhältlich.
„Die Royals sollen verduften“
Reichardt wurde für ihre Kunst zum Teil wüst beschimpft. Galeristen erzählen ihr von aufgebrachten Leuten, die mit Stöcken gegen die Schaufenster schlagen, in welchen das „Mad in England“-Porzellan ausgestellt ist. Die Mehrzahl der Reaktionen seien jedoch positiv und die Ware verkaufe sich hervorragend. Dies bestätigt Reichardt in ihrer Meinung, dass die Zeit der Royals abgelaufen sei. Darauf angesprochen kommt sie richtig in Fahrt. „Diese Monarchie macht wirklich keinen Sinn mehr.“ Sie wünscht sich, dass der ganze Königs-Clan aus England verschwindet und irgendwo weit weg ein glückliches Leben führt. „Die braucht niemand mehr hier. Und das Geld, das das königliche Theater jährlich verschlingt, könnte weiß Gott sinnvoller eingesetzt werden.“
Zahlen, wie die geschätzten 38 Millionen Franken, die alleine für die Sicherheit rund um die Prinzenhochzeit ausgegeben werden, bringen die Anti-Royalistin auf die Palme. Sie hält die Massnahmen für übertrieben und glaubt nicht an eine reale Terror-Gefahr. Mit einer grossen Anti-Royal-Demonstration rechnet sie ebenfalls nicht. Ein paar Nackte, die die Hochzeit stören wollen, könnten sich am Freitag in Szene setzen, mehr werde wohl nicht geschehen.
„Ich wünsche nie jemandem etwas Schlechtes, sollte es aber am Freitag regnen – wie momentan vorausgesagt – macht mich das nicht unglücklich“, fährt sie fort. Dann schweift Reichardt etwas ab und spricht vom Wunsch einer weltweiten Revolution. Einer Revolution, bei welcher sich die Menschen gegen die grossen Konzerne auflehnen und ihr Leben aus den Fängen der Mächtigen und Reichen befreien. Rasch ist die politische Künstlerin wieder bei ihrem Lieblingsthema, der Königsfamilie. Sie schliesst die Diskussion mit den Worten: „Die Royals sollten eine solche Revolution einläuten, indem sie abdanken; es ist Zeit zu gehen.“
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