Folgen der KriseTelearbeit: Die erste Begeisterung ist verflogen – jetzt wird gerechnet

Folgen der Krise / Telearbeit: Die erste Begeisterung ist verflogen – jetzt wird gerechnet
Rund die Hälfte der Jobs in Luxemburg könnten auch von zu Hause aus erledigt werden, wird geschätzt Foto: AFP/Tageblatt-Archiv

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Die Corona-Krise hat ein Fenster in eine alternative Gegenwart geöffnet. Von heute auf morgen arbeitete ein gewaltiger Anteil der Beschäftigten von zu Hause aus. Die Wirtschaft lief weiter. Die Arbeit im Büro schien zu einem Relikt der Vergangenheit zu werden. Heute, etwa sechs Monate später, ist die Begeisterung wieder merklich abgekühlt. Nun legte der „Conseil économique et social“ (CES) ein Gutachten zum Thema vor.

Bereits vor der aktuellen Krise hatten sich viele Beschäftigte die Möglichkeit gewünscht, zumindest manchmal von zu Hause aus arbeiten zu dürfen. Doch 2019 konnten in Luxemburg, laut Eurostat, nur 11,6 Prozent der arbeitenden Bevölkerung diese Möglichkeit nutzen. Die Corona-Krise hat diese Situation dann radikal verändert. „Télétravail“ war plötzlich nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Laut einer Umfrage von Statec kamen bis zu 69 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung in den Genuss der Heimarbeit; 48 Prozent arbeiteten vollständig von zu Hause aus, 21 Prozent wechselten ab; nur noch 31 Prozent pendelten weiterhin täglich zu ihrem Arbeitsplatz.

Anfangs war die Freude groß. Viele Angestellte schätzten die neu gewonnene Flexibilität, die Freiheit, Arbeit und Freizeit selbst koordinieren zu können. Sie erkannten eine verbesserte Lebensqualität, konnten weniger Zeit am Arbeitsplatz und mehr Zeit mit der Familie verbringen. Das ewige Pendeln zur Arbeit und wieder zurück fiel weg. Auch die Unternehmen erkannten anfangs viele Vorteile in dieser „neuen Art“ der Arbeit. Einerseits schrumpften die Kosten (bspw. weniger Stromverbrauch), andererseits wurde eine Steigerung der Produktivität gemessen. Zudem konnten sich die Firmen als modern und familienfreundlich zeigen.

Heimarbeit kann helfen, die Lebensqualität der Mitarbeiter mit der Leistung des Unternehmens in Einklang zu bringen und neue gesellschaftliche Kompromisse zu ermöglichen, schreibt der CES in seinem Gutachten. Aber sie kann auch Risiken sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Arbeitnehmer beinhalten, so das Gremium weiter. Die negativen Seiten der „neuen Arbeitsform“ wurden oftmals erst nach einer gewissen Weile wahrgenommen.

Für den Arbeitnehmer im Home-Office gilt es, mit sozialer Isolation, Schwierigkeiten mit der Selbstmotivation sowie mit unsichereren Karriere- und Entwicklungsmöglichkeiten klarzukommen. Zusätzlich belasten oftmals eine erhöhte Arbeitsbelastung sowie ein Konflikt zwischen privater und beruflicher Zeit. Doch auch für den Arbeitgeber gibt es nicht nur Vorteile, etwa was Leistung, Produktivität und die Kontrolle angeht. Zudem wird die interne Kommunikation wie auch das Einarbeiten neuer Mitarbeiter deutlich erschwert. Hinzu kommen Fragen zu steuerlichen Auswirkungen oder der Datensicherheit.

Hohe finanzielle Verluste für Luxemburg

Doch die Folgen von mehr Telearbeit spüren nicht nur die Betroffenen und die Firmen: Die gesamte Volkswirtschaft wird getroffen, ist dem Gutachten des Wirtschafts- und Sozialrats zu entnehmen. Sowohl die lokale Wirtschaft als auch die nationalen Steuereinnahmen leiden. Vor allem die Einzelhändler und Restaurantbesitzer in Luxemburg-Stadt, die vom Verbrauch der dortigen Arbeitnehmer leben, hätten mit Umsatzeinbußen zu kämpfen, schreibt der CES. Es gebe auch keine Garantie, dass Heimarbeiter an ihrem Wohnort mehr konsumieren würden. Es könnte durchaus sein, dass sie sich mehr dem E-Commerce zuwenden.

Laut Schätzungen des Horeca-Sektors beträgt der tägliche Verbrauch eines Arbeitnehmers an seinem Arbeitsplatz etwa 25 Euro im Gastgewerbe und 15 Euro in anderen Unternehmen – also 40 Euro pro Tag. Wenn nun 40 bis 45 Prozent der 460.000 Erwerbstätigen einen Tag pro Woche im Home-Office verbringen würden, würde dies Mindereinnahmen von 350 Millionen Euro im Jahr bedeuten. Dieser Rückgang wiederum könnte zu einem Verlust von über 2.000 Arbeitsplätzen, 17 Millionen Euro an Sozialversicherungsbeiträgen, 10 Millionen Euro an Mehrwertsteuer und fast 6 Millionen an Steuern auf Gehältern führen.

Doch die öffentlichen Finanzen könnten noch weiter getroffen werden, warnt das Gremium. Wenn Grenzgänger mehr als eine gewisse Zahl Tage von zu Hause aus arbeiten, müssten sie einen Teil ihrer Steuern am Wohnsitz zahlen. Und selbst wenn der Staat großzügigere Schwellenwerte aushandeln könnte als die, die bisher gelten, so müsse damit gerechnet werden, dass solche Zugeständnisse von Nachbarstaaten nicht kostenfrei seien werden. Eine ähnliche Argumentation müsse zudem in Bezug auf die Sozialversicherungen angewandt werden. Ein richtiges Gleichgewicht zwischen Home-Office und den damit verbundenen Verlusten müsste gefunden werden, so der CES.

Hinzu kommt, dass die Heimarbeit, was die Verringerung der Verkehrsbelastung und der Staus angeht, nicht die gewünschte Wirkung gezeigt habe, schreibt das Gremium weiter. Zwar habe man eine zeitliche Verschiebung von Fahrten, was die Stadtzentren in den Hauptverkehrszeiten entlaste, festgestellt, jedoch habe sich aus einer Gesamtperspektive die Zahl der Reisen nicht verringert. Die von den Arbeitnehmern gewonnene Zeit werde zumindest zum Teil für andere Aktivitäten (z.B. Einkaufen fahren oder Kinder von der Schule abholen) genutzt. Die Auswirkungen auf die Verringerung der Luftverschmutzung seien gering.

Im Endeffekt sind die im CES versammelten Sozialpartner der Meinung, dass die derzeitige Vereinbarung das beste Instrument bleibe, um die Rahmenbedingungen zu regeln. Sie schlagen jedoch vor, den bestehenden Text weniger formalistisch und besser lesbar zu machen. Telearbeit soll freiwillig bleiben, sagen sie. Eine künftige Regelung solle kein Recht und keine Verpflichtung zur Heimarbeit vorsehen. Die Einführung von Telearbeit solle eine schriftliche bilaterale Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer, auf Basis einer doppelten Freiwilligkeit, voraussetzen.

MarcL
17. September 2020 - 12.54

Wem kann man denn ernsthaft erklären, dass er den täglichen Weg zum Büro in Luxemburg-Stadt auf sich nehmen muss, nur damit er geschätzte 800 EUR im Monat in Luxemburg-Stadt ausgibt? Ein Glück für die Horeca-Lobby, dass sich die dank Home-Office gewonnene Lebensqualität nicht in EURO auszudrücken lässt.