StandpunktDer Kampf für offene Gesellschaften geht in die nächste Runde

Standpunkt / Der Kampf für offene Gesellschaften geht in die nächste Runde
 Foto: AFP/Vano Shlamov

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Demokratie ist zurück auf der politischen Agenda. US-Präsident Joe Biden plant einen Demokratiegipfel und mein Briefkasten quillt über vor Einladungen zu Konferenzen über die Themen Demokratie und Menschenrechte.

Diese neue Aufmerksamkeit bedeutet aber nichts Gutes, sondern zeigt, wie stark die Demokratie und der Respekt für Menschenrechte in den letzten Jahren ausgehöhlt wurden. Nach einem Bericht der Organisation „Freedom House“ leben heute weniger als 20 Prozent der Weltbevölkerung in Gesellschaften, die als vollkommen frei bezeichnet werden können; das ist der niedrigste Anteil seit über einem Vierteljahrhundert. Viele Länder driften in den Autoritarismus ab.

Wir kennen die Gründe, warum die Freiheit bedroht ist. In vielen Ländern treiben zunehmende Ungleichheit und die Marginalisierung vieler Gruppen die Menschen rechts- (und in manchen Fällen linksextremen) autoritären Regimen in die Arme. Und während die Welt versucht, mit der rasanten technologischen Entwicklung und der wirtschaftlichen Umstrukturierung Schritt zu halten, bezweifeln viele, dass Demokratien sich noch anpassen und zukunftsweisende Politik machen können. Die ungenügende Reaktion vieler Demokratien auf die Pandemie hat diese Zweifel noch verstärkt.

Das sind schwere Zeiten für diejenigen von uns, die zutiefst davon überzeugt sind, dass freie Bürger mit demokratischen Rechten und dem Schutz des Rechtsstaats die absolut unverzichtbare Grundlage guten Regierens sind. Ich bin Präsident der größten privaten Stiftung in diesem Bereich. Wenn wir ehrlich sind, wissen wir, dass unser traditionelles Modell zur Förderung demokratischer Werte und Institutionen unter Druck steht.

Verlangen nach Freiheit

Die „Open Society Foundations“ (OSF) wurde in den 1980er Jahren mit der Überzeugung gegründet, dass die Menschen weltweit dringend nach Freiheit verlangen und immer mehr Regierungen demokratische Regeln und Normen akzeptieren. Dadurch konnten wir (in Partnerschaft mit lokalen Aktivisten) Regierungen durch eine Mischung aus Druck und Ermutigung dazu bringen, Menschenrechtsnormen und demokratische Verfahren zu respektieren.

Wir kämpften für Roma in Mittel- und Osteuropa, LGBTQI-Rechte in Afrika, ethnische Minderheiten in Süd- und Ostasien, Frauenrechte in Lateinamerika, den weltweiten Schutz von Migranten und Geflüchteten und glaubten an unsere historische Mission. Und daran, dass dank unserer Arbeit eines Tages alle Menschen umfassende Rechte und Chancengleichheit genießen würden.

Heute jedoch hebt die Flut der Menschenrechte nicht alle Boote, sondern droht, sie alle zu versenken. Diese plötzliche Umkehrung eines zwanzigjährigen Trends hin zu mehr Menschenrechten zwingt uns zum Umdenken.

Feinde der Gesellschaft

Unter dem Vorsitz ihres Gründers George Soros, der den Nationalsozialismus überlebt hat und vor dem Kommunismus aus seiner ungarischen Heimat geflohen ist, wird unsere Stiftung sich bestimmt nicht einfacheren Aufgaben zuwenden. Immerhin gründete Soros die Stiftung in einer Zeit, als Fortschritte im Bereich der Menschenrechte genauso schwer erreichbar schienen wie heute.

Also ist die Mission unverrückbar, unsere Methoden jedoch stehen zur Debatte. Wir müssen uns fragen, wie wir die Öffentlichkeit wieder für demokratische Normen und Menschenrechte begeistern können; wir müssen die Feinde der offenen Gesellschaft klarer identifizieren und überlegen, wie wir sie dazu bringen, ihre Verpflichtungen, wenn auch widerwillig, zu erfüllen.

In den 1980er-Jahren herrschten in Osteuropa erstarrte kommunistische Regierungen, die ihre Bevölkerung nicht mehr versorgen und überzeugen konnten. Heute ist die Lage komplizierter. Zwar ist die Freiheit erneut durch eine bipolare Welt in Gefahr. Bidens geplanter Gipfel für Demokratie ist auch ein Versuch, gleichgesinnte Regierungen, aber auch andere Akteure, gegen das autoritäre Regime des chinesischen Präsidenten Xi Jinping zu mobilisieren. Dabei besteht die Gefahr, dass Pragmatismus mehr zählt als Werte und sich Demokratien mit unbequemen Verbündeten arrangieren müssen.

Der Westen ist heute durch ein dichtes Netz aus Handel, Investitionen, Bildung und Technologie viel stärker mit China verbunden als dies bei der Sowjetunion je der Fall war. Dank einer Beziehung, die eher wirtschaftlich als militärisch ist, haben Demokratien viele unterschiedliche Optionen, mit denen sie Xis Regime zur Einhaltung bestimmter Verhaltensnormen im In- und Ausland drängen können. Die Spitzen auf beiden Seiten werden diesen Konflikt vor allem wirtschaftlich definieren, aber auch die Menschenrechte können zu den großen Gewinnern – oder Verlierern – gehören.

Soros nannte die Arbeit der OSF schon immer „politische Philanthropie“. Damit will er sagen, dass wir uns mit der allgemeinen Dynamik von Veränderungen beschäftigen und die richtigen Punkte finden müssen, bei denen wir im Kampf für unsere Ziele ansetzen können. Im Kalten Krieg wurden die Menschenrechte ausschließlich oder vorwiegend von starken Staaten verletzt. Heute ist die Welt voller mehrdimensionaler Gefahren für die Menschenrechte. Die unkontrollierte Macht internationaler Finanzakteure und Unternehmen verschärfen die Ungleichheit und die Geschicke einzelner Staaten haben sich dramatisch verändert. All dies schafft eine hochproblematische Lage. Die Welt wird immer ungleicher – und wütender.

Diese Wut wird durch die sozialen Medien verbreitet (und angeheizt), in denen Polarisierung, Beschimpfungen und Lügen das Vertrauen in alle Institutionen untergraben. Eine Technologie, die viele noch vor wenigen Jahren für einen Segen für die Bürgerrechte hielten, wird heute in vielen Fällen dazu genutzt, Gedanken zu manipulieren und Gesellschaften zu schließen.

Die vierjährige Präsidentschaft Donald Trumps hat in zahlreichen Regimen in aller Welt dankbare Nachahmer geformt und gefunden und die Krise des Rechtsstaats und der Menschenrechte beschleunigt. Präsidenten stehlen zusätzliche Amtszeiten, die Korruption von Amtsträgern wird zur Epidemie und Abkommen zwischen Staaten triumphieren über die Rechte Einzelner. Derzeit sind die Verteidiger der Menschenrechte und ihre Unterstützer in großen Teilen der Welt nicht willkommen.

Ein politischer Kampf

Allerdings sind böswillige Regierungen und die Globalisierung mit ihren ungewollten finanziellen und wirtschaftlichen Folgen nur ein Teil des Problems. Heute liegt das Augenmerk erneut auf dem tief verwurzelten institutionellen Rassismus in den USA und der ganzen Welt und der Tatsache, dass sich Benachteiligungen aufgrund von Rasse, Geschlecht, Religion oder Klasse oft gegenseitig verstärken. Viele sehen darin den Grund, warum der Kampf für Menschenrechte an seine Grenzen gestoßen ist. Nach Meinung der Opfer kratzen die Mittel der Menschenrechte nur an der Oberfläche, erreichen aber nicht die Wurzeln.

Der Kampf für Menschenrechte muss politischer werden: härter und klüger bei den Angriffen auf unterdrückerische Regime und viel eindeutiger auf der Seite der Unterdrückten. Wir müssen uns den wirklichen Problemen der Menschen zuwenden, über den engen Tellerrand der politischen Rechte hinausblicken und die tieferen Ursachen für wirtschaftliche und soziale Ausgrenzung bekämpfen.

* Mark Malloch-Brown war stellvertretender Generalsekretär der Vereinten Nationen und Co-Vorsitzender der UN Foundation. Heute ist er Co-Vorsitzender der Open Society Foundations.

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