Buchbesprechung Christine Wunnickes Roman „Die Dame mit der bemalten Hand“: Über Sprachwirrwarr, Übersetzungsprobleme und kulturelles Wissen

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Christine Wunnicke Foto: © Berenberg Verlag

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Christine Wunnickes jüngster Roman „Die Dame mit der bemalten Hand“ steht zu Recht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2020. Die deutsche Schriftstellerin entführt ihre Leser zurück in das 18. Jahrhundert und erzählt auf knappen 166 Seiten die Geschichte zweier Forschungsreisender: Den deutschen Mathematiker Carsten Niebuhr und den persischen Astrolabienbauer Musa al-Lahuri, genannt Meister Musa, verschlägt es im Jahre 1764 auf die indische Insel Elephanta – Teil des heutigen Weltkulturerbes –, wo sich auf Arabisch unterhalten und über Sternbilder diskutiert wird. Es ist ein Zufall, der die beiden zusammenführt.

Nach der Lieferung eines kunstvollen Astrolabiums an einen Kunden wollte der aus Jaipur stammende Meister Musa weiter nach Mekka reisen. Auf der Reise in Indien, in der Nähe von Bombay, gerät Musas Schiff allerdings in eine Windstille, weshalb er und sein Diener Malik an der nächstgelegenen Insel anlegen müssen. Dass die beiden dort mehr erwartet als nur ein Haufen Ziegen, Affen, Vögel und jede Menge Gestrüpp, konnten sie nicht ahnen. Der bremische Carsten Niebuhr ist ebenfalls auf Reisen. Zusammen mit seiner Forschungsgruppe, aus der er als einzig Überlebender noch zu der Insel Elephanta gelangt, soll er im Auftrag des dänischen Königs und des Göttinger Orientalisten Johann David Michaelis die Gegenden in Arabien und Vorderasien erkunden. Ziel der Expedition ist es, Beweise für die Richtigkeit der Landschafts- und Menschenbeschreibungen, die in der Bibel enthalten sind, zu sammeln. Doch Niebuhr erkrankt an der bis dahin unentdeckten Krankheit Malaria und leidet unter ständigem Fiebern – ein Zustand, in dem ihn auch Meister Musa auf der durchwachsenen Insel entdeckt. Dieser entschließt sich in dem Moment dazu, Niebuhr bei der Genesung zu helfen. Während die beiden auf Rettung warten, entwickelt sich zwischen den beiden Männern nicht nur eine Art Freundschaft, sondern sie begeben sich ebenfalls auf Entdeckungsreise der jeweils anderen Kultur. Auf Arabisch, die einzige Sprache, in der die beiden sich verständigen können, wird sich über Sterne, Sternbeobachtungsgeräte, Götter und Frauen ausgetauscht. Doch wenn zwei solch unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen, lauert das eine oder andere kulturelle Missverständnis bereits um die Ecke.

Sarkasmus und pointierte Ironie

Während das Sternbild Kassiopeia für den deutschen Mathematiker die Gestalt einer Frau darstellt, erkennt der persische Astronom darin nur deren bemalte Hand: „Wir glotzen nach oben und erfinden große Gestalten und hängen sie in den Himmel. Ich eine Frau und du eine Hand und was weiß ich, was andere sehen. Und dann gibt es Streit. Es ist zum Erbarmen!“ Mit einer guten Portion Sarkasmus und Ironie gelingt es Wunnicke, das kulturelle Nebeneinander von verschiedenen Ansichten und Welterklärungsmustern zu beschreiben. Die sprachlichen Missverständnisse, die sich zwischen Niebuhr und Musa einschleichen, entpuppen sich als die hervorragendsten Pointen in Wunnickes Roman.

Historischer Stoff, aber kein historischer Roman!

In ihrem neuen Buch gestaltet Wunnicke aus dem Mathematiker, Forscher und Kartografen Carsten Niebuhr eine komplett neue Figur. Beruht ihr Roman zwar auf realen und historischen Fakten, so wie die Figur des Carsten Niebuhr, der vom Theologen Johann David Michaelis auf Expedition nach Arabien geschickt wurde, erwartet die Leser hier keinesfalls ein typisch historischer Roman, der bloß die Forschungsreisen des deutschen Kartografen nacherzählt. Vielmehr kombiniert die Autorin geschickt historische Ereignisse mit reichlich fiktionalen Elementen, wie die Begegnung zwischen Musa al-Lahuri und Niebuhr. In Wunnickes Roman werden Phänomene wie Wissen, Unwissenheit und Vorurteile aufgegriffen und im Rahmen eines historischen Kontexts auf humorvolle Art und Weise dargelegt.

Erinnert der Plot von Christine Wunnickes Roman eventuell etwas an Daniel Kehlmanns „Die Vermessung der Welt“, in dem ebenfalls zwei unterschiedliche Forscher aufeinandertreffen, so erweist sich „Die Dame mit der bemalten Hand“ jedoch in keinster Weise als Kopie davon! Sind es in Kehlmanns Werk zwei realhistorische Naturwissenschaftler, die sich begegnen, und stehen sowohl deren Entdeckungen und Weltansichten als auch deren Alltag im Fokus, gestaltet Wunnicke in ihrem Roman das spannende Aufeinandertreffen zweier Kulturen. Die Autorin entführt ihre Leser in ihrem rezentesten Buch in eine vergangene Welt kultureller Vielfalt, in der die realhistorische Figur des Carsten Niebuhr zu neuem Leben erweckt wird.

Das Buchcover von Wunnickes jüngstem Roman
Das Buchcover von Wunnickes jüngstem Roman Foto: © Berenberg Verlag