KorruptionAuf dem Balkan haben Whistleblower einen schweren Stand

Korruption / Auf dem Balkan haben Whistleblower einen schweren Stand
Der auf organisierte Kriminalität spezialisierte Enthüllungsjournalist Jovo Martinovic wurde am 8. Oktober wegen seiner Recherche-Kontakte zur Drogenmafia in Podgorica/Montenegro zu einer Haftstrafe verurteilt Foto: AP/Savo Prelevic

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Dem Kampf gegen die Korruption haben sich offiziell alle EU-Anwärter auf dem Westbalkan pflichtschuldig verschrieben. Doch wenn unerschrockene Enthüller Missstände offenlegen, haben oft nicht die Übeltäter, sondern die sogenannten „Whistleblower“ mit Sanktionen und selbst Verhaftung zu rechnen.

Auch auf dem Balkan ist an der schlechten Nachricht immer deren Überbringer schuld. Nachdem der bosnische Finanzamtbeamte Emir Mesic bereits Ende 2018 die Staatsanwaltschaft folgenlos über die mutmaßliche Veruntreuung von 150 Millionen Euro in den Zollämtern des Vielvölkerstaats informiert hatte, ging er im Juni dieses Jahres an die Öffentlichkeit.

Seine von der Balkanagentur BIRN veröffentlichten Erkenntnisse bekam sein Arbeitgeber allerdings in den falschen Hals: Wegen „beruflichen Fehlverhaltens“ und „unwahren Behauptungen“ hat die Disziplinarkommission der staatlichen Steuerbehörde ITA den lästigen Nestbeschmutzer vergangene Woche degradiert – obwohl die staatliche Agentur zum Kampf gegen die Korruption (APIK) Mesic schon 2018 den Status als „Whistleblower“ und „geschützten Korruptionsenthüller“ verliehen hatte.

Dem von Brüssel geforderten Kampf gegen die Korruption haben sich offiziell alle sechs EU-Anwärter auf dem Westbalkan pflichtschuldig verschrieben. Doch wenn unerschrockene Enthüller tatsächlich Missstände offenlegen, werden oft nicht die Übeltäter, sondern sie selbst verfolgt.

Für internationale Schlagzeilen sorgte im vergangenen Jahr die Verhaftung des serbischen Whistleblowers Aleksandar Obradovic: Der IT-Fachmann und Beschäftigte des staatlichen Waffenproduzenten Krusik in Valjevo hatte unabhängigen Medien handfeste Beweise und Dokumente über die korruptionsanrüchigen Geschäfte privilegierter Waffenhändler aus dem Dunstkreis der Regierungspartei SNS zugespielt: Von der Staatsfirma zum Teil unter Selbstkostenpreis an die Privatfirmen abgegebenen Granaten wurden von diesen mit hohen Profiten nach Saudi-Arabien verscherbelt.

Der verhaftete Aufdecker sei ein „falscher Whistleblower“, der der heimischen Rüstungsindustrie „geschadet“ habe, wütete damals Serbiens allgewaltiger Präsident Aleksandar Vucic. Doch obwohl der seitdem mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Enthüller über drei Monate zunächst im Gefängnis und dann im Hausarrest schmorte, steht die mehrfach von der Staatsanwaltschaft angekündigte Anklage gegen „Serbiens Assange“ noch immer aus.

Gefängnis für Enthüllungsjournalisten

Auch in Kosovo besteht der bereits 2011 gesetzlich verabschiedete Schutz von Whistleblowern nur auf dem Papier. Seit der Finanzinspektor Murat Mehmeti 2016 in einem TV-Interview Hinweise auf Steuerhinterziehungen in Millionenhöhe öffentlich machte, sieht sich der preisgekrönte Enthüller laut eigener Aussage nicht nur an seinem Arbeitsplatz Disziplinarverfahren, Druck und Schikanen ausgesetzt: Zeitweise wurde sein Telefon wegen des angeblichen Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation abgehört.

Einen notorisch schlechten Ruf beim Umgang mit kritischen Enthüllern genießt auch Montenegro. Nachdem der für internationale Medien wie die BBC oder den Economist arbeitende und auf organisierte Kriminalität spezialisierte Enthüllungsjournalist Jovo Martinovic 2015 verhaftet worden war und über 15 Monate in Untersuchungshaft einsaß, hat ihn nun ein Gericht in Podgorica zu Monatsbeginn wegen seiner Recherchekontakte zur Narkomafia auch in zweiter Instanz wegen „Drogenhandel“ zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Von einem „schwarzen Tag für die Pressefreiheit“ und der „kafkaesken Strafverfolgung eines renommierten Journalisten“ spricht empört „Reporter ohne Grenzen“: „Montenegros Justiz hat eine wichtige Gelegenheit verpasst, ihre Unabhängigkeit zu beweisen.“