BergkarabachArtak und die Menschenrechte – der erblindete Ombudsman, der die  Blindheit der Welt beklagt

Bergkarabach / Artak und die Menschenrechte – der erblindete Ombudsman, der die  Blindheit der Welt beklagt
Artak Beglaryan kämpft in Bergkarabach für Menschenrechte – auch jetzt noch Foto: Armand Back

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Nach dem Kriegsende und der Kapitulation Armeniens ist die Zukunft Bergkarabachs ungewisser denn je. Doch aufgeben wollen die Menschen dort nicht. Vor allem Artak Beglaryan nicht, der erblindete Ombudsman, der der Welt Blindheit vorwirft.  

Artak Beglaryan ist erschüttert. Doch der Ombudsman für Menschenrechte der Republik Bergkarabach will nicht aufgeben. Auch nicht nach dem Armenien aufgezwungenen Waffenstillstandsabkommen mit Aserbaidschan, das nichts anderes ist als eine bittere Kapitulation nach sechs Wochen verlustreichen Krieges. Artak Beglaryan will weitermachen. Doch nichts ist mehr klar, nicht einmal, was von der selbsternannten Republik in den Bergen des Südkaukasus übrigbleibt nach all den Konzessionen, die Armeniens Premier Nikol Paschinyan in der Nacht auf Dienstag verkündet hatte – und die besonders Artak Beglaryans Heimat treffen, die Republik Arzach, wie die Karabach-Armenier ihre selbsternannte Republik nennen.

Bereits vor zwei Wochen, in einem ersten Gespräch mit dem Tageblatt in Stepanakert, war Artak Beglaryan voller Sorgen. Treffpunkt für das Interview war eine von Artilleriebeschuss schwer beschädigte Schule in der Hauptstadt Bergkarabachs. Bei jedem Schritt in den schuttübersäten Fluren knirschte das zerborstene Glas der Fensterscheiben unter den Schuhen. Hefte, Stifte, Zeichnungen der Kinder, die hier noch bis zum Kriegsbeginn Ende September zur Schule gegangen waren, säumten den Boden, Schulbänke und all die kleinen Stühle standen quer oder waren von der Wucht der Detonationen umgeworfen, vor dem Gebäude und im Innenhof zeugten gewaltige Krater von den Raketeneinschlägen.

Geboren, als alles begann – die Träume und die Gewalt

Artak Beglaryan, ein zierlicher Mann, der seine Worte wohlüberlegt wählt und nie hastig antwortet, klemmt seinen Arm bei dem kurzen Rundgang unter den seines besten Freundes, der auch sein stetiger Begleiter ist. Seit seinem sechsten Lebensjahr ist Artak Beglaryan blind. Eine Kriegsverletzung, Granatsplitter nahmen ihm 1994 am Ende des ersten Krieges um Bergkarabach das Augenlicht. Sein Vater war schon zuvor an der Front gefallen.

Artak Beglaryan wurde 1988 in Stepanakert geboren. Dem Jahr, als alles losging, der Kampf um Selbstbestimmung – und die Gewalt. 32 Jahre später ist der Ombudsman zu einem der Gesichter dieses Krieges geworden. Artak Beglaryan wurde nicht müde, sich zu wiederholen. „Seid nicht blind! – und das sage ich euch als Blinder.“ Die Welt solle endlich die Augen öffnen und „nicht blind sein gegenüber unseren Problemen, unseren Menschenrechten, den Kriegsverbrechen, den über die Türkei eingeschleppten syrischen Dschihadisten, die an der Seite Aserbaidschans kämpfen“. Doch bereits Ende Oktober schwanden die Hoffnungen Artak Beglaryans auf internationale Unterstützung. „Wer das alles nicht sieht, unsere geköpften Kriegsgefangenen, die Terroristen an der Front, die Streubomben, den Beschuss der Zivilbevölkerung – der muss doch blind sein.“

Blick ins Klassenzimmer: Durch Artilleriebeschuss schwer beschädigte Schule in Stepanakert
Blick ins Klassenzimmer: Durch Artilleriebeschuss schwer beschädigte Schule in Stepanakert Foto: Armand Back

Zwei Wochen später steht Artak Beglaryan nicht mehr auf den Scherben im Schulflur. Er steht jetzt, nach dem Kriegsende, vor den Scherben der Republik Arzach. Wie es weitergehen wird mit den ewigen Träumen der Karabach-Armenier auf eine internationale Anerkennung als eigenständige Republik, kann zurzeit niemand voraussagen. Doch die Aussichten waren wohl nie so trübe.

So viel ist zerstört, und jetzt kommt der Winter

Ein knappes Drittel Bergkarabachs geht sofort an Aserbaidschan, darunter die strategisch und kulturell wichtige Stadt Schuschi (Schuscha auf Aserbaidschanisch) mit der Ghasantschezoz-Kathedrale. Bergkarabach muss die Kontrolle über den Verbindungsweg nach Armenien abgeben. Russische Soldaten wachen jetzt über diese Gebirgsstraße, die in den vergangenen Wochen immer wieder angegriffen wurde. Genau wie Gasleitungen, Elektrizitätswerke, Funkmasten zerstört wurden – überlebenswichtige Infrastruktur in dieser abgeschiedenen Bergregion, in die bald der Winter einzieht.

Rund 150.000 Menschen lebten vor dem Krieg in Bergkarabach, mindestens 100.000 sind geflüchtet, die meisten nach Armenien. Auf Twitter wirft Artak Beglaryan jetzt die Frage auf, was mit diesen Menschen geschehen wird. Doch eine Rückkehr in unter aserbaidschanischer Kontrolle stehende Ortschaften ist kaum vorstellbar. Da helfen auch keine russischen Friedenssoldaten. Wie es mit den Menschen aus Bergkarabach und ihrer Republik weitergeht, kann zurzeit niemand beantworten. Auch Artak Beglaryan nicht. Aber aufgeben wird er nicht, er will in Stepanakert bleiben und sich weiterhin als Ombudsman für die Menschenrechte in Bergkarabach einsetzen – „der Blindheit der internationalen Gemeinschaft zum Trotz“.