Nahost-KonfliktArmut und Repression bedrohen Ägyptens politische Stabilität

Nahost-Konflikt / Armut und Repression bedrohen Ägyptens politische Stabilität
Laut Außenminister Asselborn muss rund ein Drittel der ägyptischen Bevölkerung mit weniger als zwei Dollar am Tag auskommen Foto: Editpress/Christine Lauer

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Der Nahost-Konflikt schwelt. Zwischen Israel und Palästina soll Ägypten in den nächsten Monaten vermitteln. Das Land steht somit vor einer großen außenpolitischen Aufgabe – zugleich kämpft es um seine eigene politische Stabilität, durch Armut und Repression geschwächt. Angesichts dieser schwierigen Lage bleibt abzuwarten, wie das Land seine Rolle als Mediator im Israel-Palästina-Konflikt spielen wird.

Die Spannungen zwischen Israel und der Hamas nehmen wieder zu. Das zeigte zuletzt das Unterbrechen der Waffenruhe in der Nacht vom 15. auf den 16. Juli, als Israel – in Reaktion auf das Losschicken palästinensischer Brandballons – militärische Einrichtungen der islamistischen Terrororganisation unter Beschuss nahm. Um weitere Eskalationen zu vermeiden, soll Ägypten in den kommenden Monaten zwischen beiden Konfliktparteien vermitteln. Das Land unterhalte nämlich einerseits zu Israel gute diplomatische Beziehungen und genieße andererseits das Vertrauen der Palästinenser – das sagte Außenminister Jean Asselborn (LSAP) vergangene Woche auf einer Dienstreise durch den Nahen Osten, auf die ihn auch das Tageblatt begleiten durfte. Das Land steht somit vor einer außenpolitischen Mammutaufgabe – und ringt zugleich um seine eigene gesellschaftliche Stabilität. Diese wird nämlich kontinuierlich bedroht durch Armut und politische Repression.

„Willkommen in Ägypten nach der Revolution“, sagt Mohammed und macht eine ausladende Geste. Durch die Windschutzscheibe sieht man die eine Reihe von Hochhäusern, deren Silhouetten sich gegen den Nachthimmel abheben. Wir befinden uns auf dem Weg zum Marriott Hotel, dort ist die ministerielle Delegation für die nächsten zwei Tage untergebracht. Mohammed, von Beruf aus Taxifahrer, ist gesprächig. Das Land habe sich verändert, sagt er und lacht. Inwiefern? Wieder lacht Mohammed. „Das Leben ist teuer.“

Mit seiner Aussage legt Mohammed den Finger in eine Wunde, die mittlerweile seit genau zehn Jahren nässt. Denn infolge des Arabischen Frühlings 2011 wurde das ägyptische Pfund mehrmals zum Dollar abgewertet – 2016 erlebte das Land dann auch noch eine Wirtschaftskrise, woraufhin die Währung drastisch fiel.


source: tradingeconomics.com

Die Abwertung des Pfunds hat nachhaltig zu einer Inflation geführt. Dieser Inflationsdruck ist nach wie vor präsent, auch wenn die Wachstumsverlangsamung Ägyptens in der sanitären Krise „bisher weniger gravierend als erwartet“ gewesen sei, wie u.a. ein aktueller Forschungsbericht der in Libanon ansässigen Bank Audi belegt. Ägypten gehöre demzufolge zu den wenigen Ländern mit einer positiven Wachstumsrate im Corona-Jahr 2020. Obwohl das Wachstum 5,6 Prozent (2019) auf 3,5 Prozent (2020) gesunken sei, bleibe Ägypten die leistungsstärkste Wirtschaft in der arabischen Welt. Gleichzeitig aber ist ein Großteil der arabischen Bevölkerung von Armut bedroht. „30 Prozent haben umgerechnet weniger als zwei Dollar pro Tag zur Verfügung“, teilt Asselborn während eines Pressebriefings vor Ort mit.

Auch die Menschen, die wie Mohammed offiziell nicht an der Armutsgrenze leben, kämpfen um ihre Existenz. „Ich habe einen guten Job“, versichert er – bevor er erzählt, dass seine Einkünfte nicht reichten, um über die Runden zu kommen. Nach 15 bis 20 Tagen sei das Gehalt aufgebracht, dann müsse er sich Geld von der Bank leihen. Das wiederhole sich Monat für Monat. „Ein Teufelskreis“, sagt Mohammed. Die Gehälter seien seit Beginn der Inflation nicht proportional an die hochschnellenden Preise angepasst worden. „Ich bezahle viel für Wasser, Benzin, Elektrizität und Versicherungen.“ Früher hätte man ein ganzes Frühstück für ein Pfund erhalten, heutzutage könnte man sich davon nur noch ein einziges Brötchen kaufen. „Ich bin wütend“, sagt Mohammed. „Wenn ich bei der Polizei oder dem Militär arbeiten würde, würde ich nicht einmal Steuern zahlen.“

Der eiserne Griff des Militärs

Der Verweis auf die fiskalischen Erleichterungen, die den Mitgliedern der Polizeibehörde oder der Armee zuteilwerden, macht auf einen anderen Punkt aufmerksam, der aus der Sicht von Aktivisten und Menschenrechtlern als das derzeit größte Problem Ägyptens gilt: das Militärregime von Präsident Abdel Fattah al-Sisi. Unter ihm agiert die Armee als wirtschaftliche Akteur. Die Grundlagen dafür wurden in der Nasser-Ära gelegt, wie Yezid Sayigh, früherer Professor für Nahoststudien am King’s College London, in seinem Werk „Enabling the Military Economy“ schreibt. Damals sei Militär von der Zahlung von Steuern, Gebühren und Abgaben befreit worden. Spätere Änderungen unter den Präsidentschaften von Sadat, Mubarak und Al-Sisi zementierten oder erweiterten diese Privilegien. Heutzutage gelte das Militär, das zum Beispiel für den Bau von Infrastrukturen zuständig ist, als größter wirtschaftlicher Motor des Landes. Es nehme an allen Aspekten des Lebens teil und konkurriere mit dem privaten Sektor.

Als Exekutive spiele das von Al-Sisi kontrollierte Militär laut Asselborn außerdem eine politische Rolle. „Eigentlich ist die Judikative unter seiner Kontrolle“, sagt der Außenminister während unseres Aufenthalts in Ägypten. Der Graben, der sich zwischen Zivilbevölkerung und Militär auftut, hat somit eine wirtschaftliche als auch eine politische Dimension – und gerade Zweitere droht das Land weiter zu destabilisieren. Asselborn zufolge habe Al-Sisi durch sein Militärregime den politischen Spielraum der Opposition sowie die Zivilrechte eingeschränkt, „damit der Terrorismus keine Handhabe habe“. Denn Ägyptens Präsident wolle keinesfalls, dass sich die Vorgänge des Revolutionsjahres 2011 wiederholten. Zu groß sei die „Phobie vor der Muslimbruderschaft“. Mit Mohammed Mursi kam 2012 nämlich erstmals ein Vertreter der radikal-islamistischen Organisation an die Macht – bis Al-Sisi ein Jahr später gegen ihn putschte. Seitdem ist die Muslimbruderschaft in Ägypten verboten.

Eine ungewisse Zukunft

Die Repression der Bevölkerung durch das Militärregime hat viele Gesichter (das Tageblatt berichtete), laut Aktivisten verschlimmere sich derzeit die Situation. Besonders viele Rückschritte habe es in der letzten Zeit im Hinblick auf Frauenrechte gegeben, so Menschenrechtler Mohamed Lotfy. So werde im Augenblick ein Gesetzesprojekt ausgearbeitet, das Frauen daran hindere, ohne Einwilligung ihres Ehemannes einen Beruf auszuüben. Lotfy geht davon aus, dass ein Kollaps des Regimes sich nicht mehr ewig aufschieben lasse. Noch stärker die persönlichen Rechte der Bevölkerung zu beschneiden, ginge nämlich nicht – derweil seien die Opponenten dabei, ein „Loch im System“ zu suchen, um den Umsturz Al-Sisis herbeizuführen.

Weiteren Rückenwind könnten sie in Zukunft durch die normale Bevölkerung bekommen. Denn diese sei Mohammed zufolge frustriert – und nicht nur das. „Wenn Menschen unzufrieden sind, sind sie bereit zu kämpfen“, sagt er, als wir über eine Brücke fahren, die quer über den Nil führt. „Denn was haben sie dann noch zu verlieren?“ Der Vater von zwei Kindern, der für ein Foto nicht zur Verfügung stand, blickt hoffnungsvoll in die Zukunft. „Vielleicht ist es in drei oder vier Jahren besser“, sagt er. Dass es zwischenzeitlich zu Unruhen kommen könnte, schließt er aber nicht aus.

Seine Worte verdeutlichen exemplarisch die, wie groß die innerpolitischen Spannungen sind, denen Ägypten zurzeit ausgesetzt ist. Ob sie tatsächlich in handfesten Ausschreitungen münden werden, bleibt abzuwarten. Vor allem wird sich aber zeigen müssen, wie sich Ägypten angesichts dieser Konfliktlage als Vermittler im Nahost-Konflikt in der nächsten Zeit schlagen wird.