Andys ruhiger „Jour de gloire“

Andys ruhiger „Jour de gloire“

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Andy Schlecks „14 juillet“ verlief ohne größere Probleme. An seinem ersten Tag im Maillot jaune war der Luxemburger im Peloton sehr gut aufgehoben. In Gap siegte der portugiesische Silbermedaillengewinner von Athen, Sergio Paulinho, den das Feld in der Gluthitze mit einigen anderen ziehen ließ.

Aus Gap berichten „T“-Redakteur Kim Hermes (khe) und „T“-Radsport-Experte Petz Lahure (P.L.)

„Qu’est-ce qu’il fait, Schleck?“, rief uns ein französischer Kollege zu, als Andy Schleck sich im Laufe der  Mittwoch-Etappe an den Schwanz des Pelotons zurückfallen ließ und Wasser-Bidons an seinem Wagen abholte. „Il ne respecte pas le Maillot jaune“, fügte der Kollege hinzu, wobei er mit dem Zeigefinger streng in Richtung Andy zeigte, der in den Augen dieses selbsternannten Tour-Puristen scheinbar eine Todsünde begangen hatte.

Was soll’s! Andy ist eben anders, Andy ist Andy, und Andy will Andy bleiben, ob er im Maillot jaune Rad fährt oder im feinen Nadelstreifenzwirn zur Sportlergala ins Mondorfer Casino geht. Andy ist sich nicht zu schade, als Teammitglied selbst Hand anzulegen, wenn es sein muss, aber Andy weiß auch, wann er an die Spitze des Feldes zu fahren und sich als Mannschaftsleader brav in die Saxo-Bank-Perlenkette einzureihen hat.

Leader sein lernt sich

Champion ist man, Leader sein lernt man. Andy Schleck hat als Fahrer bisher keine Erfahrung als Chef im Peloton. Mit zunehmender Zeit aber wird er das nötige Gespür schon finden, um im richtigen Moment das Richtige zu tun.

Er weiß, wie seine Mannschaft funktioniert, und weil alle im Team „copains“ sind, wie er am Mittwoch in der Pressekonferenz sagte, versteht jeder den andern blindlings. Andy ist auch der Ansicht, dass seine Mannschaft keine Schwächen hat und es wichtig ist, über gute „rouleurs“ zu verfügen, die auf flacher Strecke mit anpacken können, wenn sie gebraucht werden.

Obwohl der praktische Lernprozess im Peloton für Andy erst in der Anfangsphase steckt, hat der Luxemburger anderen großen Champions der Vergangenheit etwas voraus. Er ist von einer Natürlichkeit sondergleichen geblieben, ist stets gut gelaunt, freundlich und ansprechbar. Hinzu kommt, dass Andy seine Verpflichtungen vor und nach den Etappen mit Charme, Witz und Engelsgeduld erledigt. Bei den zahlreichen Interviews und Pressekonferenzen antwortet er präzise, mit Fachwissen und in allen möglichen Sprachen.

Am Mittwoch beschlossen Andy Schleck und das Peloton, eine Fluchtgruppe ziehen zu lassen. „Sozusagen alle Fahrer spürten die Anstrengungen der letzten Tage und die Hitze in den Gliedern“, meinte Andy: „Jeder war froh, mal ein bisschen Ruhe zu bekommen.“

So ist denn auch das niedrige Stundenmittel von 34,541 km/h zu erklären, mit der die 179-km-Distanz von Chambéry nach Gap zurückgelegt wurde. Es war also die bisher langsamste Etappe der Tour. Zeitweilig wurden am Straßenrand Temperaturen von rund 40 Grad im Schatten gemessen.

Erinnerung

Für Lance Armstrong gab es eine gute Nachricht (Sergio Paulinho feierte den ersten RadioShack-Erfolg bei der Tour), aber auch die Erinnerung an eine Schrecksekunde.

Vor sieben Jahren (2003) ging es, auch am französischen Nationalfeiertag, vom Col du Noyer in Richtung Gap. Auf dem von der Hitze aufgeweichten Asphalt stürzte der Spanier Joseba Beloki im rosafarbenen Once-Trikot und musste mit gebrochenem Oberschenkel in die Klinik eingeliefert werden.

Um Beloki auszuweichen, vollbrachte Armstrong ein spektakuläres Ausweichmanöver: Hinter dem Basken kurvte er in ein Kornfeld und bog eine Serpentine tiefer wieder auf der Straße ein. Die Etappe in Gap gewann Alexandre Vinokourov, der sich kurz vor dem schweren Beloki-Sturz auf und davon gemacht hatte, um nach rasanter Abfahrt mit kleinem Vorsprung über die Ziellinie zu fahren. Am Mittwoch traf Vinokourov (73.) im Feld mit Andy Schleck (21.) auf 14’19 ein, während Armstrong das Ziel erst in einem zweiten Peloton mit 15’47 Rückstand erreichte.
„Tempora mutantur, nos et mutamur in illis“. – „Die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns in ihnen“.

P.L.