FilmAll The King’s Women: „The Perfect Candidate“ von Haifaa al-Mansour 

Film / All The King’s Women: „The Perfect Candidate“ von Haifaa al-Mansour 
Maryam tritt mit einem Ein-Punkt-Programm zur Wahl an – der Film ist mitunter ähnlich einseitig

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Die arabische Halbinsel und die Menschenrechte – das ist ja bekanntlich so eine Sache. Die Situation in den Emiraten, ganz spezifisch in Dubai, ist für vermeintlich progressive Menschen aus der westlichen Hemisphäre nicht zu ignorieren. Stichwort: Weltausstellung 2022. Saudi-Arabien ist zwar per se kein Emirat, aber in vielerlei Hinsicht nicht unähnlich. Die Scharia als Rechtsgrundlage ist mit dem Versuch einer Öffnung gen Westen schwerlich zu verbinden. Dennoch lockert sich das Königreich. Frauen wurde das Wahlrecht zugesprochen und nach über 30 Jahren können die Saudis wieder ins Kino gehen. Tatsächlich waren Kinosäle von 1983 bis 2018 verboten.

Haifaa al-Mansour kam diesen „begrüßenswerten“ Änderungen aber schon um Jahre zuvor. „Wadjda“ war nicht nur der erste von einer saudi-arabischen Frau inszenierte Film, sondern war auch der erste Film, der komplett – wenn auch geheim – vor Ort in Saudi-Arabien gedreht wurde. Filmfestivals stürzten sich auf die Regisseurin, die gleich auf mehreren Ebenen von Wichtigkeit war. Nach einem Mary-Shelley-Biopic, ihrem katastrophalen zweiten Spielfilm – der unter anderem von der ehemaligen luxemburgischen „Juliette Films“ mitfinanziert wurde –, kehrte Al-Mansour für „The Perfect Candidate“ zurück in ihr Heimatland.

Niemand wird in diesem Film mündlich zum „perfekten Kandidaten“ auserkoren. Oder zur „perfekten Kandidatin“. Maryam ist eine höchst kompetente junge Ärztin. Sie arbeitet in einem Krankenhaus, zu dem seit jeher keine asphaltierte Straße führt. Wenn dann zu Beginn des Films zusätzlich noch ein Wasserrohr krepiert, dann ist der Schlammweg, durch den Krankenwagen und PatientInnen durchzukommen versuchen, perfekt.

Das ist aber nicht alles. Maryam wird von retrograden Patienten angefaucht, bloß die Finger von ihnen zu lassen und einen männlichen Arzt zu schicken. Sie hat die Nase voll und sehnt sich nach einer Stelle in Dubai. Die Konferenz eines bekannten Chefarztes dort scheint ihr die perfekte Gelegenheit, Networking zu machen. Doch, nächstes Hindernis: Ihr Vormund in der Person ihres Vaters hat vergessen, die Reiseerlaubnis zu unterschreiben. Der verwitwete Mann tourt gerade mit seiner Musikgruppe durchs Land.

Sie versucht noch, über den gut platzierten Cousin an eine Erlaubnis zu kommen, wird jedoch nicht in sein Büro gelassen, weil just an dem Tag die Einschreibungen für die Gemeindewahlen oberste Priorität haben. Sie schreibt sich mit diesem Vorwand ein und bekommt vom Cousin doch keine Reiseerlaubnis. Der Network-Traum ist geplatzt und sie bleibt zu Hause.

Doch irgendwann leuchtet ihr ein, dass sie sich tatsächlich als Kandidatin bei den Gemeindewahlen eingeschrieben hat. Zusammen mit ihren Schwestern startet Maryam ihre Kampagne. Wichtiges Bestreben ihrer plötzlichen politischen Karriere: die Betonstraße zum Spital, die ganz im Interesse der BürgerInnen ist.

Spiegelbild

„The Perfect Candidate“ ist gewissermaßen das Spiegelbild zu Al-Mansours Debüt „Wadjda“. Im Erstlingsfilm kämpft ein junges Mädchen mit seinen begrenzten Möglichkeiten für sein Recht, Fahrrad fahren zu dürfen. Hier ist der Kampf ein ähnlicher, wenn auch auf den ersten Blick ambitionierter. Aber warum auch nicht, Saudi-Arabien hat sich seit knapp zehn Jahren tatsächlich auch verändert. Wieso dann nicht die Forderungen ambitionierter gestalten? Nichtsdestotrotz sind die alltäglichen, in den Weg geworfenen Steine sehr frustrierend. Für das westliche Publikum jedenfalls.

Al-Mansours Protagonistinnen leben seit jeher mit den reaktionären Codes des Patriarchats und der Vetternwirtschaft und versuchen diese, wenn auch nur für einen kurzen Moment, auszuhebeln. Die Regisseurin zeigt dies z.B. mit lang anhaltenden und immer wiederkehrenden Totalen, die die Ärztin während einer Hochzeitsgesellschaft und zwischen den Geschlechtern entsprechend abgetrennten Räumen hin und her wuselnd einfangen. Auch im modernen Saudi-Arabien ist eben alles etwas mühseliger. Aber das Ziel ist nicht mehr unmöglich zu erreichen.

Diese Erkenntnis ist jedoch gleichzeitig die Krux des Films. Die Inszenierung wird mit dieser dramaturgischen Einsicht träge, didaktisch, im schlimmsten Fall sogar latent repetitiv. Jeder und jede weiß, dass das Drama dieses Films nur aus den Hürden bestehen kann, denen die Protagonistinnen in diesem Umfeld gegenübergestellt werden. Die Überraschung, ein neuer oder frischer Blick auf die saudische Gesellschaft, bleibt somit aus und der Film plätschert irgendwann vor sich hin. Von der fast schon simplen jugendlichen Repräsentation von Politik-Machen mal ganz abgesehen.

Haifaa al-Mansour sieht sich somit in der gleichen Position wie ihre Figur Maryam. Die Ärztin tritt nämlich mit einem klaren Ein-Punkt-Programm zur Wahl an. Ohne viel zu spoilern, wird sie sich während ihres Wahlkampfs die Frage stellen müssen, ob ihr politisches Programm ausreichend ist. Denn was will sie denn bezwecken, außer einen betonierten Weg bauen zu lassen? Und will oder kann sie sonst etwas bezwecken? Diese Frage wird sich Haifaa al-Mansour wohl auch gestellt haben. Oder wird sie sich spätestens jetzt stellen müssen. Denn im Gegensatz zur Politik ist das Filmemachen ein Handwerk und nicht ein exklusiv politisches Statement. Das Argument der „ersten saudischen Regisseurin“ und des „ersten in Saudi-Arabien gedrehten Films“ diente bereits dem Debütfilm. Von nun an sollten künstlerische Statements auf Haifaa al-Mansours Prioritätenliste stehen.

Vorführungen

Im Utopia: Fr., So., Mo. & Di.: 17.00, 19.30 Uhr; Sa.: 16.45, 19.15 Uhr

Bewertung: 3 von 5 Punkten