Zwischen Wahlboykott und Konfrontation

Zwischen Wahlboykott und Konfrontation

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

In Ägypten steht viel auf dem Spiel. Schon jetzt ist klar: Nach der Stichwahl um die Präsidentschaft wird ein Großteil der Menschen am Nil frustriert und wütend sein.

Die Ägypter sollen in einer Stichwahl am kommenden Wochenende entscheiden, wer die Nachfolge von Ex-Präsident Husni Mubarak antreten soll, den sie im Februar 2011 in die Wüste geschickt hatten. Der bärtige, uncharismatische Mohammed Mursi von der Muslimbruderschaft tritt gegen den aalglatten früheren Luftfahrtminister Ahmed Schafik an. Jetzt schon steht fest, dass die Mehrheit der Bevölkerung mit dem Ergebnis der Stichwahl unzufrieden sein wird. Denn beide Kandidaten hatten im ersten Wahlgang weniger als ein Viertel der Stimmen erhalten und beide stehen für zwei Strömungen der ägyptischen Gesellschaft, die unversöhnlich sind.

Mursi vertritt einen bürgerlich-konservativen Islam, der kapitalistisch orientiert ist und Feminismus für eine Krankheit hält. Ein Wahlsieg von Schafik würde dagegen die Kräfte im Apparat stärken, die sich eine Fortsetzung des Mubarak-Regimes ohne Mubarak wünschen.

„Keiner taugt was“

Viele Ägypter wollen sich der Qual der Wahl entziehen. Sie haben zum Boykott der Wahl aufgerufen. Ihr Argument: Sowohl Mursi als auch Schafik seien machtgierig, korrupt und verlogen.

Die meisten Beobachter rechnen mit dem Sieg von Mursi, der im ersten Wahlgang zwar auch nur 24,8 Prozent der Stimmen erhalten hatte. Doch er könnte nun, so wird vermutet, die Unterstützung vieler Wähler der anderen islamistischen Kandidaten erhalten, die im Mai ausgeschieden waren.

Schafik hatte mit 23,7 Prozent im Mai zwar nur knapp hinter Mursi gelegen. Er ist jedoch für viele Ägypter aus dem säkularen Lager, die im ersten Wahlgang Amre Mussa oder den linken Aktivisten Hamdien Sabbahi gewählt hatten, wegen seiner Nähe zum alten Regime schlicht nicht wählbar.

Intellektuelle packen Koffer

Wird Mursi Präsident, dann hätten die Muslimbrüder, die schon im Parlament die dominierende Kraft sind, ihren islamischen Durchmarsch durch die Institutionen erfolgreich absolviert. Viele liberale Intellektuelle und Geschäftsleute, die jetzt schon auf gepackten Koffern sitzen, würden dann konkret ihre Auswanderung planen.

Kann sich Schafik wider Erwarten doch durchsetzen, dann ist mit neuen heftigen Protesten der Islamisten und der sogenannten Revolutionsjugend zu rechnen. Beide Szenarien sind Gift für die Wirtschaft Ägyptens.

Schon jetzt gelten Investitionen am Nil unter Anlegern als extrem risikoreich. Die Rating-Agenturen haben Ägypten seit dem Sturz von Mubarak gleich mehrfach herabgestuft. Der Bankensektor ist nicht solide, weil die Geldinstitute zu viele Staatsanleihen in ihren Büchern haben. Die Generäle, die nach dem Abgang Mubaraks die Macht übernommen hatten, werden letztlich froh sein, wenn sie diesen ganzen Schlamassel Ende Juni einer zivilen Staatsführung in den Schoß kippen können – vorausgesetzt, die finanziellen Interessen der Militärs bleiben unangetastet.