Zweifel an Camerons Führungsqualität

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Die britischen Tories sorgen mit ihrer Haltung zu Europa seit Monaten für fragende Gesichter. Premier Cameron sitzt zwischen den Stühlen. Seine konservative Partei zerrt von rechts, der Koalitionspartner von links. Hat er noch einen sicheren Stand?

David Camerons Lächeln wirkte ein wenig müde, als er sich in New York an Bord eines Londoner Doppeldecker-Busses ablichten ließ. Kein Wunder: Just als der britische Premierminister gemeinsam mit Prinz Harry in der Ferne Werbung für sein Heimatland machen wollte, kam ausgerechnet von zu Hause ein erneuter Dolchstoß. Und wieder kam er aus der eigenen Partei. Cameron gerät in der Europapolitik zunehmend in die Zwickmühle. In London, wo Führungsqualitäten bei Politikern einen enorm großen Stellenwert haben, wird offen die Frage nach Camerons Eignung gestellt.

Kritiker behaupten, er führe nicht mehr seine Konservative Partei, sondern er folge ihr nur noch. Schon wird der Vergleich mit John Major bemüht. Der Thatcher-Nachfolger war in den 1990er Jahren an der europapolitischen Ausrichtung seiner Partei gescheitert, nachdem er sich zuvor in Grabenkämpfe hatte verwickeln lassen.

Grabenkampf im Unterhaus

Ein solcher Grabenkampf tobt gerade im britischen Unterhaus. In der Fraktion der konservativen Regierungspartei kocht es. Knapp 100 Tory-Abgeordnete waren angetreten, um Cameron am Mittwochabend erneut eine schallende Ohrfeige zu verpassen. Schließlich schlossen sich sogar 110 Tory-Parlamentarier dem Aufstand an – rund ein Drittel der gesamten Fraktion. Sie regen sich darüber auf, dass die Downing Street in ihrer Regierungserklärung in der vergangenen Woche kein Wort über Europa verlor – obwohl Cameron für 2017 ein EU-Referendum mit der klaren Frage: „Rein oder raus?“ versprochen hat.

Das Referendum wollen die abtrünnigen Parlamentarier nun in Gesetzesform gegossen wissen – sie trauen ihrem eigenen Parteichef nicht. Selbst die eilige Vorlage eines entsprechenden Entwurfs aus der Downing Street ging den Rebellen nicht weit genug. In Westminster wird vermutet, dass unter den Tory-Aufrührern einige Überzeugungstäter sind. Mehrheitlich dürften aber auch die Hinterbänkler wissen, wie sehr sie ihrem Regierungschef damit schaden. Es ist das vierte Mal binnen eines Jahres, dass Cameron von seinen eigenen Leuten bei einer Abstimmung vorgeführt wird.

Cameron will Wiederwahl

Camerons Plan ist einfach: Er will 2015 wiedergewählt werden. Wohl auch, um von anderen Problemen im Land etwas abzulenken, sagte er ein Europa-Referendum für 2017 zu. Umfragen sehen derzeit in der Bevölkerung eine Mehrheit für einen EU-Austritt. „Allerdings sind nur zehn Prozent der Briten von dem Thema wirklich berührt“, sagt der Chef des Umfrageinstituts YouGov, Peter Kellner. Vor dem Referendum will Cameron die Konditionen für Großbritannien neu verhandeln. Genau das trauen ihm aber die eigenen Parteifreunde nicht mehr zu. Auch in Brüssel schüttelt man zunehmend den Kopf über das Tohuwabohu in London.

Großbritannien kann zwar gemäß des Lissabon-Vertrages im nächsten Jahr die Regulierung der Politikbereiche Justiz und Inneres zurückholen. Innenministerin Theresa May hatte ein entsprechendes Opt-Out bereits angekündigt. Weitere britische Sonderwege sieht man in Brüssel und bei den EU-Partnern ausgesprochen skeptisch. „Die Verabschiedung aus anderen Politikbereichen wird sehr viel schwieriger sein. Wenn Vertragsänderungen nötig sind, dann wissen wir alle, wie schwierig das ist und wie lange es dauert“, sagt ein EU-Diplomat in Brüssel. „Bisher warten die anderen EU-Mitglieder aber immer noch darauf, dass die Briten sagen, was sie konkret wollen.“

Beispile Polizei und Justiz

Wie schwierig das im Einzelnen ist, zeigt das Beispiel Polizei und Justiz. Großbritannien kann laut Lissabon-Vertrag nur en bloc aus 130 Einzelvereinbarungen aussteigen – mehr als man eigentlich will. Also muss London für viele Kleinigkeiten einzeln und mühsam wieder ein Opt-In vereinbaren. Spötter machen sich schon darüber lustig, dass Großbritannien vermutlich den Wikileaks-Gründer Julian Assange laufen lassen müsste, weil der Europäische Haftbefehl aus Schweden dann keine Gültigkeit mehr hätte.

Besonders schelmisch werden die europapolitischen Kapriolen in Westminster von Schottland aus beäugt. Der nördlichste Teil Großbritanniens will 2014 über seine Unabhängigkeit von London entscheiden. Für Schottland sei die Abspaltung wohl inzwischen der einzige Weg, wie man in der EU bleiben könne, frotzelte der schottische Ministerpräsident Alex Salmond. Und selbst in der Hauptstadt London gibt es erste Tendenzen, sich abzuwenden: Die Kapitale möge sich vom Rest des Königreichs trennen, schlug der Kommentator des Londoner Lokalblatts „Evening Standard“ vor. Rest-Großbritannien solle in der EU bleiben, London nicht.