Zwei Einzelgänger und Waffennarren

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Das Massaker in Norwegen erinnert an den Bombenanschlag von Oklahoma City 1995. Die Attentäter Anders Breivik und Timothy McVeigh haben einiges gemeinsam.

Ein Mann baut mit Kunstdünger und Diesel eine Bombe, versteckt sie in einem Lieferwagen und jagt sie im Stadtzentrum vor einem Regierungsgebäude in die Luft. Was sich am letzten Freitag in Oslo ereignete, geschah auf fast identische Art vor 16 Jahren in Oklahoma City. Der 27-jährige Timothy McVeigh zündete am 19. April 1995 seine Bombe vor dem Murrah Building, einem Gebäude der US-Regierung. 168 Menschen kamen ums Leben, darunter 19 Kinder, die in einer Tagesstätte betreut wurden. Mehr als 800 Personen wurden verletzt.

Timothy McVeigh bei seiner Verhaftung am 21. April 1995. (Foto: AP)

Hat sich Anders Behring Breivik dadurch inspirieren lassen? In seinem Manifest erwähnt er Timothy McVeigh zweimal in Zusammenhang mit der Herstellung einer Bombe. Laut Medienberichten war Breivik zudem im Besitz einer Glock-Pistole und eines amerikanischen Ruger-Sturmgewehrs – genau wie einst Timothy McVeigh. Allerdings gibt es bislang keine Beweise, dass Oklahoma City tatsächlich das Vorbild für Breiviks Wahnsinnstat war. So forderte die Bombe von Oslo vergleichsweise wenige Opfer – die meisten Toten gab es beim Massaker auf der Insel Utøya.

Gegen „Verräter“ aus dem eigenen Volk

Dennoch gibt es einige Parallelen zwischen den Attentätern. McVeigh und Breivik waren Einzelgänger, die mit rechtsradikalem Gedankengut sympathisiert und sich daraus ein krudes Weltbild zusammengezimmert hatten. Beide waren Waffennarren, und ihre Tat richtete sich nicht gegen „Fremde“, sondern gegen „Verräter“ aus dem eigenen Volk. Auch gerieten anfangs jeweils islamische Terroristen unter Verdacht – zwei Jahre vor Oklahoma City hatte sich der erste Anschlag auf das World Trade Center in New York ereignet.
Unklar ist, ob Anders Breivik allein gehandelt hat. Er behauptet, es gebe zwei weitere Zellen. Timothy McVeigh hatte tatsächlich Mittäter oder zumindest Mitwisser. Zwei von ihnen wurden zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Daneben gibt es auch Unterschiede. Anders Breivik ergab sich widerstandslos der Polizei, während Timothy McVeigh erst zwei Tage nach der Tat fast zufällig verhaftet wurde. Und während sich der Norweger in seinem 1.500-seitigen Manifest mit seiner Tat brüstete, blieb der Amerikaner weitgehend stumm.

Racheakt für Waco

Die Bombe von Oklahoma betrachtete McVeigh als Racheakt für die Erstürmung des Anwesens der Davidianer-Sekte im texanischen Waco durch das FBI zwei Jahre zuvor, die mit einem Desaster und 76 Toten endete. McVeigh hatte sie als „Zaungast“ miterlebt, sie schürte seinen Hass auf den Staat. Daneben war sein Weltbild weitgehend jenes eines typischen Neonazis, mit einer tiefen Verachtung für Schwarze und Juden.

Höhere Ziele verfolgte er mit seiner Tat nicht, im Gegensatz zu Anders Breivik, der sich auf einem „Kreuzzug“ gegen Muslime und die vermeintlichen Verfechter einer multikulturellen Gesellschaft wähnt, die er als „Kulturmarxisten“ bezeichnet. In seinem Manifest entwarf er eine Ideologie namens „Vienna-Denkschule“, eine Anspielung auf die Belagerung Wiens durch die Türken im Jahr 1683. Seine Tat bezeichnete er als „grauenhaft, aber notwendig“, er zeigte sich überzeugt, dass die Geschichte ihm eines Tages recht geben wird.

Nun warten viele Jahre im Gefängnis auf den Norweger. Timothy McVeigh hingegen wurde am 11. Juni 2001 hingerichtet. Zum Abschied hinterliess er einen handschriftlichen Brief mit dem Gedicht „Invictus“ von William Ernest Henley. Es war so etwas wie eine letzte Perversion: Das gleiche Gedicht hatte Nelson Mandela, der südafrikanischen Ikone für Frieden und Versöhnung, dabei geholfen, seine 26-jährige Haft zu überstehen