„Zu viele Unklarheiten bei Lyzeumsreform“

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Auch wenn die Lehrerdelegation DNL begrüßt, dass Unterrichtsministerin Mady Delvaux ihr in einigen Punkten teilweise entgegengekommen ist, überwiegt eindeutig die Kritik an der Reform des Sekundarunterrichts.

Die Vorschläge der Ministerin sind viel zu vage, lautet das Fazit der „Délégation nationale des enseignants des lycées“.

Zwar erkennt die DNL an, dass im klassischen Sekundarunterricht letztendlich vier Studienausrichtungen angeboten werden. Dies sei näher am jetzigen System mit den Sektionen, das ihrer Ansicht nach seine Daseinsberechtigung hat, da bislang keine Beeinträchtigung der Studierfähigkeit der Schulabgänger festgestellt worden sei. „Dennoch stellt sich die Frage, was mit der jetzigen Mathematik-Sektion passiert. In diesem Punkt herrscht weiterhin Unklarheit“, erklärt André Berns von der DNL.

Offene Fragen

Große Sorgen bereitet den Lehrern auch das Vorhaben, die Berufsausbildung aus dem technischen Sekundarunterricht herauszunehmen. „Hierbei handelt es sich um eine tiefgreifende Strukturreform“, kritisiert DNL-Vertreter Jacques Maas. Der ehemalige technische Sekundarunterricht (EST) hatte bislang immer eine doppelte Ausrichtung: die Berufsausbildung und die Wegbereitung für weiterführende Studien an Hochschulen.

Diese doppelte Finalität gehe jetzt verloren und dadurch würde eine Reihe von Fragen und Problemen aufgeworfen. „Bleibt die Berufsausbildung weiterhin unter der Aufsicht des Bildungsministeriums oder hängt sie künftig vom Arbeitsministerium ab? Und was ist eigentlich der Zweck dieser Änderung?“, fragt Maas.

Die Zielsetzung dieser Maßnahme sei noch nicht erklärt worden, kritisieren die Lehrer, denen diese Veränderung schleierhaft bleibt. Dabei sei die Berufslehre erst kürzlich durch ein Gesetz, das in seiner Umsetzung in wesentlichen Punkten nicht funktioniere, neu geordnet worden. Über eine solche Strukturänderung sei auch bis zur letzten Stunde der allerletzten Unterredung mit Ministerin Mady Delvaux nie geredet worden, erklären die Lehrer.

Befürchtungen

Die DNL befürchtet, dass eine Ausgliederung der Berufsausbildung aus dem EST keine positiven Auswirkungen für die Schüler haben wird. „Wenn die Durchlässigkeit des Systems nicht gegeben ist, dann ist das nicht im Interesse der Schüler“, sagt Françoise Brück von der DNL. Das Ideal sei nämlich, dass die Schüler sich innerhalb der Sekundarschule nach oben hin verbessern können.

Ähnlich sieht es bei der Umbenennung des EST in „Enseignement secondaire général“ aus. Diese Maßnahme würde keine Antworten auf bestehende Probleme geben, sie riskiere aber Geld zu kosten. Eine Namensänderung der Lyzeen, welche die Bezeichnung „Lycée technique“ in ihrem Namen tragen, würde schätzungsweise 10.000 Euro pro Gebäude kosten. Für Unverständnis sorgt auch die Festlegung des Englischen auf das Niveau „B2“ im Classique. Das Niveau sei viel zu niedrig und würde von den Schülern eigentlich bereits auf 4e erreicht. Dass die Schüler im klassischen Sekundarunterricht bereits Ende der 3e mit dem Deutschen oder dem Französischen aufhören sollen, sehen die Lehrer mit ernsthaften Bedenken. Dadurch würden sich die Schüler schon relativ früh auf ihre zukünftige Studiersprache festlegen, ohne sich dessen bewusst zu sein. Wer das Französische weglässt, werde beispielsweise größere Schwierigkeiten haben, in einem frankophonen Land zu studieren. Die DNL sieht „eine grundlegende Kontradiktion zwischen diesen Maßnahmen und dem anvisierten Ziel einer Verbesserung der Studierfähigkeit“.

Generell sei der Sprachenunterricht nicht nur eine Herausforderung für die Schule. Es handele es sich ebenfalls um eine Frage der sozialen Kohäsion, also um ein gesellschaftspolitisches Problem. Demnach müsse die Politik ihre Verantwortung übernehmen und entscheiden, welche Sprachenpolitik und welche Gesellschaft sie wolle, meint die Lehrerdelegation.

Kompetenzunterricht

Doch auch der Kompetenz-orientierte Unterricht bekommt von den Lehrern eine schlechte Note. Für die DNL ist der Kompetenzunterricht kein „allein selig machendes Modell“. „Wir lehnen den Kompetenzunterricht nicht kategorisch ab, die aktuelle Ausführung schafft aber eine Reihe von Problemen. Uns missfällt, dass der Kompetenzunterricht zur Grundausrichtung des Schulsystems werden soll. Wir plädieren hingegen für eine Diversifizierung der Methoden“, präzisiert Jasmina Pucurica. „Durch die Kompetenz-orientierte Bewertung wird viel Energie für Administratives verschwendet, wodurch Zeit für die Grundarbeit fehlt“, fügt Frank Kirsch hinzu.

Welche konkreten Schwierigkeiten der Kompetenzunterricht schafft, zeige sich im Sprachunterricht, erklären die Lehrer. Beim Gebrauch einer Sprache ruft man immer mehr als nur eine Kompetenz ab. Die Sprache zu zerstückeln und nur Teile einer Kompetenz zu prüfen, entspreche nicht der Realität. Das globale Verständnis gehe dadurch verloren. Hinzu kommt eine grundlegendere Kritik: Der Kompetenzunterricht sei vor allem auf die Produktion ausgerichtet. Dem wollen die Lehrer eine humanistische Mission der Schule entgegenstellen. Der Schüler sei nicht nur zukünftiger Arbeitnehmer. Die DNL wolle die Schüler zwar auch auf die Arbeitswelt vorbereiten, die Schule müsse den Schülern aber in allererster Linie helfen, sich zu eigenständig denkenden Bürgern zu entwickeln.

Keine kontradiktorische Debatte

Auch wenn Unterrichtsministerin Delvaux nach einer Protestkundgebung von 6.000 Lehrern im März 2012 den Dialog gesucht hat, bleiben die Lehrer unzufrieden mit dem Verlauf dieser Diskussionen. Es sei abgemacht worden, eine kontradiktorische Debatte zu führen, bei der jeder seine Vorschläge auf den Tisch lege, damit diese gegeneinander abgewogen werden können. Die DNL habe ihre Ideen dargelegt, die Ministerin habe sie aber erst ganz zum Schluss über ihre Vorschläge informiert, ohne bereit zu sein, noch über diese zu diskutieren, kritisiert die Delegation.

Die Lehrer bemängeln, es fehle an Präzisierungen. Vor allem stelle sich die Frage, inwiefern die einzelnen Maßnahmen der Lyzeumsreform aufeinander abgestimmt seien. Bislang habe man das Gefühl eines „bricolage“, es fehle an einem globalen Konzept, so die DNL. Auch erklären die Lehrer, nicht nachvollziehen zu können, warum einige Entscheidungen getroffen wurden und andere nicht. Generell sehen sie eine Diskrepanz zwischen den bestehenden Problemen in den Schulen und den geplanten Lösungsvorschlägen des Ministeriums.