Zehntausende demonstrieren in Kiew

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Bei eisigen Temperaturen haben sich in Kiew Tausende Anhänger der ukrainischen Opposition um Boxweltmeister Vitali versammelt. Die Demonstranten fordern den Rücktritt der Regierung.

Bei eisigen Temperaturen haben sich am Sonntag in Kiew Tausende Anhänger der ukrainischen Opposition um Boxweltmeister Vitali Klitschko zu erneuten Protesten versammelt. Die Demonstranten schwenkten Nationalfahnen der früheren Sowjetrepublik und forderten in Sprechchören den Rücktritt der Regierung von Präsident Viktor Janukowitsch. Das proeuropäische Lager erwartet Hunderttausende Menschen aus dem ganzen Land zu einer Großkundgebung unter dem Motto „Marsch der Million“ auf dem Unabhängigkeitsplatz (Maidan) der Hauptstadt.

Das Innenministerium warnte vor „Provokationen“ gegen die Sicherheitskräfte. Ausschreitungen würden streng bestraft. Die Popsängerin Ruslana rief die Demonstranten in Europas zweitgrößtem Flächenstaat zum Durchhalten auf. „Der Maidan ist heute nicht nur ein Platz der Unabhängigkeit, sondern auch ein Platz der Hoffnung“, sagte die Siegerin des Eurovision Song Contests von 2004 („Wild Dances“).

„Timoschenko freilassen“

Klitschko hatte die Regierungsgegner am Vorabend noch einmal zu einer regen Teilnahme aufgerufen. „Mehr als eine Million Menschen müssen Präsident Viktor Janukowitsch klarmachen, dass er unsere Bedingungen erfüllen muss“, sagte der 42-Jährige. Dazu gehöre auch die Freilassung der inhaftierten Politikerin Julia Timoschenko. „Wer nicht in einem Polizeistaat leben will, sondern in einem modernen Land, sollte nicht gleichgültig bleiben“, betonte Klitschko.

Trotz großer Kälte hatten viele Regierungsgegner die Nacht über in Zelten auf dem Maidan ausgeharrt. Janukowitsch hatte ein Abkommen über eine engere Zusammenarbeit mit der EU gestoppt und zuletzt mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über verbilligte Gaslieferungen verhandelt.

„Naive EU“

Angesichts der Proteste in der Ukraine warf der frühere polnische Präsident Aleksander Kwasniewski der EU Naivität im Umgang mit Kiew vor. Bereits seit dem Sommer sei klar gewesen, dass Russland das Assoziierungsabkommen zwischen Brüssel und Kiew torpedieren werde, sagte Kwasniewski dem „Spiegel“ laut einem Vorabbericht. Der Westen habe die Entschlossenheit des russischen Präsidenten Wladimir Putin unterschätzt – er habe aber auch das unterschätzt, was sich derzeit in Kiew abspiele.

Die Führung um den ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch habe keine Strategie, sagte Kwasniewski. Sie wolle nur die kommenden Monate überleben. Den Unmut der prowestlichen Ukrainer, die seit mehr als einer Woche in Kiew demonstrierten, habe sie nicht vorhergesehen. Sie glaube, dass der „nicht spontan ist, sondern vom Ausland organisiert“, sagte Kwasniewski dem Magazin. Er hatte in den vergangenen Monaten zusammen mit dem früheren Präsidenten des Europäischen Parlaments, Pat Cox, die Gespräche der EU mit der Ukraine geführt.

Kwasniewski kritisierte zudem den mangelnden Willen des Westens, der Ukraine aus ihrer dramatischen finanziellen Lage herauszuhelfen. Die harten Kredit-Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF) hätten Kiew in Richtung Moskau getrieben. „Die EU hätte über kurzfristige Hilfen nachdenken und sanftere Lösungen vom IWF fordern müssen. Das passiert leider erst jetzt“, bemängelte der Ex-Staatschef.