/ Zehntausende auf der Straße

Die größten Kundgebungen wurden aus Madrid, Barcelona und Valencia gemeldet. Die Demonstrationen verliefen friedlich, wie die Protestbewegung „Echte Demokratie Jetzt!“ am Abend in Madrid mitteilte.
Mit den Demonstrationen wenige Stunden vor den Kommunalwahlen in Spanien setzt sich die Protestbewegung über die zentrale Wahlkommission hinweg, die wegen des Urnengangs jegliche Kundgebungen am Wochenende untersagt hatte. Allerdings hatte die Regierung angedeutet, sie werde die Kundgebungen dulden, solange diese friedlich bleiben. Die Polizei wurde angewiesen, jede Eskalation zu vermeiden.
Der Demonstrationsbann war um Mitternacht in Kraft getreten. Aus Solidarität mit dem „spanischen Frühling“ gab es auch Protestaktionen im Ausland.
„Wir lassen uns nicht vertreiben“, skandierten Demonstranten in der Nacht zum Samstag in Madrid, Barcelona, Valencia oder Sevilla. Insgesamt hatte die Protestbewegung der „jungen Empörten“ zu Kundgebungen in rund 150 Städten aufgerufen. Viele Teilnehmer schlossen sich daraufhin den mehr als 60 Protestcamps auf besetzen Plätzen im ganzen Land an. Dort hielten sie Versammlungen ab und debattierten über politische und soziale Reformen.
Auf unbestimmte Zeit
Die Protestbewegung denkt angesichts des Erfolgs inzwischen darüber nach, die Demonstrationen auf unbestimmte Zeit fortzusetzen. Ursprünglich sollten sie nur bis zum Wahltag dauern. „Es ist fantastisch, wir schreiben Geschichte. Darüber werden noch unsere Kinder und Enkelkinder lesen“, sagte eine Sprecherin der Bewegung am Samstag auf dem Platz der Puerta del Sol im Herzen Madrids. „Die Welt schaut auf uns“, meinte ein anderer Aktivist angesichts des steigenden Interesses internationaler Medien.
Solidarisches Ausland
Kundgebungen zur Unterstützung der „spanischen Revolution“ fanden nach Berichten des Fernsehens auch in Brüssel, Amsterdam, London, Prag, Budapest, Rabat, Bogotá oder Buenos Aires statt.
Der stellvertretende Direktor der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Günther Maihold, sieht in den Protesten mehr als nur eine Reaktion auf die Wirtschaftskrise des Landes. Sie seien eine „Abwehrreaktion gegen das Establishment“, sagte er im Deutschlandradio Kultur. Auch Maihold rechnet damit, dass die Proteste nach der Wahl weitergehen werden. „Wenn man meint, man könne danach zur Tagesordnung übergehen und das alte politische Spiel weiterspielen, ist man sicherlich auf dem Holzweg.“
Hessel: „Auch für etwas sein“
Der französische Autor Stéphane Hessel, dessen Essay „Indignez-vous“, einer der Leitfäden der Proteste in Spanien ist, begrüßte die Kundgebungen, merkte aber auch kritisch an: „Die Demonstranten dürfen nicht nur gegen etwas sein, sie müssen auch für etwas sein.“ Ihnen müsse klar werden, welche Veränderungen sie anstrebten, sagte er dem spanischen Radiosender RAC1.
Die Demonstranten machten der Wahlbehörde am siebten Tag ihrer Proteste aber auch Zugeständnisse. So wurde beschlossen, vor der Abstimmung auf politische Parolen zu verzichten und auch keine Partei namentlich anzugreifen. Stattdessen riefen sie einen „Tag der kollektiven Besinnung“ aus. Bislang hatten Teile der Bewegung dazu aufgerufen, weder die Sozialisten Zapateros noch die konservative Volkspartei (PP) zu wählen.
Zapatero: Verständnis
Zapatero äußerte Verständnis für die Proteste. „Die Forderungen und Demonstrationen machen uns keine Angst, sondern verpflichten uns, nach Lösungen zu suchen“, sagte er. Seine Sozialisten (PSOE) müssen bei der Wahl am Sonntag mit einer herben Niederlage rechnen.
Auslöser der Protestaktionen war die Krise in Spanien. Jeder fünfte Erwerbsfähige ist ohne Job, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei fast 45 Prozent. Wegen der hohen Verschuldung setzte die Regierung einen strengen Sparplan durch: Beamtengehälter wurden gekürzt, Renten eingefroren, Kündigungen erleichtert.
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