Zar Wladimir kehrt auf den Thron zurück

Zar Wladimir kehrt auf den Thron zurück
(Reuters)

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Wladimir Putin wird sich 2012 erneut zum russischen Präsidenten wählen lassen. Es geht um Macht und Milliarden. Russland droht die totale Stagnation.

Amerikanische Diplomaten haben folgenden Witz nach Washington übermittelt: Russlands Präsident Dmitri Medwedew setzt sich auf den Fahrersitz eines neuen Autos und stellt fest, dass das Lenkrad fehlt. Er dreht sich um zu Ministerpräsident Putin, der sich auf der Rückbank befindet, und fragt: „Wladimir Wladimirowitsch, wo ist das Steuer?“ Darauf zieht Putin eine Fernbedienung aus der Tasche und sagt: „Ich bin der Fahrer.“

Solche Witze gibt es unzählige über Russlands vermeintliches Führungs-Tandem, das ein Experte gegenüber dem „Guardian“ als „Fahrrad, bei dem der Kindersitz vorne befestigt ist“ beschrieben hat. Seit Samstag weiss man, wie viel Wahrheit in diesem Spott steckt: Am Parteitag der Regierungspartei Einiges Russland in Moskau erklärte Medwedew seinen Verzicht auf eine erneute Präsidentschaftskandidatur. Stattdessen wird Wladimir Putin im März 2012 erneut für das Amt kandidieren, das er bereits von 2000 bis 2008 bekleidet hat.

Russland braucht einen Zaren

Sein Sieg gilt als sicher, und viele Russen können sehr gut damit leben. Irina aus St. Petersburg, sagt: „Russland braucht einen Zaren als Herrscher.“ Wladimir Putin ist die perfekte Verkörperung des modernen Zaren.

Ausserdem stammt der ehemalige KGB-Mann aus St. Petersburg, wie die Frau mit Stolz betonte. Auf die Bemerkung, Dmitri Medwedew komme ebenfalls aus der Zarenstadt, zögerte Irina kurz und sagte dann: „Ach ja, das stimmt wohl.“ Medwedew – wen interessiert der denn? Der vermeintliche Hoffnungsträger des Westens und der liberalen Russen war nie mehr als ein Grüssaugust. Er sprach von Reformen, von mehr Rechtsstaatlichkeit, liess ab und zu sogar leise Kritik an der Stagnation verlauten – doch geschehen ist kaum etwas.

Stabilität und Stagnation

Die wirkliche Macht liegt nicht im Kreml, sondern im Weissen Haus, dem Amtsitz des russischen Ministerpräsidenten. Von dort aus zieht Zar Wladimir weiterhin die Fäden. Wenn es irgendwo kriselt, ist er und nicht Präsident Medwedew als erster vor Ort. Mit seinen teilweise bizarren Macho-Auftritten gibt der begeisterte Kampfsportler dem Volk zu verstehen, wer der starke Mann ist. Viele Russen lassen sich dies gefallen, sie haben es Putin nicht vergessen, dass er nach dem Chaos der Jelzin-Jahre für Stabilität sorgte.

Der Preis dafür ist ein autoritäres System. Russland ist heute faktisch ein Einparteien-Staat. Liberale Kräfte, die eine demokratische Alternative anbieten, werden an der kurzen Leine gehalten, ebenso die Medien. Auch wirtschaftlich ist die Bilanz durchzogen. Zwar ist Moskau eine boomende Stadt – davon zeugen unter anderem die Wolkenkratzer, die an der Peripherie hochgezogen werden, oder die grassierende Wohnungsnot. Doch der Boom basiert auf Russlands Reichtum an Rohstoffen. Eine konkurrenzfähige Industrie gibt es kaum.

Viele wollen auswandern

So lange die Preise für Öl und Gas hoch sind, kann Zar Wladimir sich die Gunst des Volkes erkaufen. Das genügt nicht allen, längst nicht jeder Russe ist so begeistert von Putins Herrschaft wie die Petersburgerin Irina. Ein Fünftel denkt laut Umfragen an Auswanderung, unter den Studenten ist es sogar jeder Zweite. Tausende setzen diese Absicht jährlich in die Tat um. Sie sind frustriert über die fehlenden wirtschaftlichen Perspektiven, über Korruption und Vetternwirtschaft, die typischen Begleiterscheinungen jeder Einparteien-Herrschaft.

Für die ohnehin schrumpfende russische Bevölkerung ist dies ein gravierender Aderlass, und er dürfte sich weiter verstärken. Der Politikwissenschaftler Sergej Markedonow brachte die Gefühlslage vieler liberaler Russen auf seiner Facebook-Seite auf den Punkt: Putins Rückkehr ins Präsidentenamt bedeute „die totale Stagnation, den Sieg einer korrupten Oligarchie, das Versagen der Modernisierung“. Kommentatoren vergleichen Putin bereits mit dem früheren Sowjetherrscher Leonid Breschnew, dessen Amtszeit von 1964 bis 1982 als Synonym für Versteinerung und Stillstand gilt.

Geheimes Vermögen

Dabei gebe es plausible Argumente, wonach der 59-jährige Putin eigentlich amtsmüde sei, so der Moskauer Korrespondent des „Guardian“. Doch nur mit einer Rückkehr in den Kreml könne er seine geheimen Vermögenswerte und jene seiner Entourage schützen. Angeblich besitzt Wladimir Putin Anteile an Rohstofffirmen in Milliardenhöhe. Solches weckt auch Begehrlichkeiten. Die grösste Gefahr dürfte dem Zaren aus den eigenen Reihen drohen. Denn die Geschichte des russischen Zarentums ist auch eine von Mord und Totschlag.