Wölfe unter Lämmern

Wölfe unter Lämmern
(AFP)

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Der angebliche Attentäter von Tunis kam mit Flüchtlingen nach Italien. Doch der Mann wurde wohl Opfer einer Verwechslung. Was bleibt ist die Angst vor Terroristen in Flüchtlingsbooten.

Es ist Wasser auf die Mühlen der ausländerfeindlichen Parteien: Ein Terrorverdächtiger wird in der Nähe von Mailand gefasst, der für den Anschlag auf das Bardo-Museum in Tunesien mit 24 Toten mitverantwortlich sein soll. Brisant: Er soll im Februar als Bootsflüchtling in Sizilien angekommen und dann für die Attacke wieder nach Tunesien gereist sein.

Die Angst der Nato
Im Flüchtlingsstrom von Nordafrika nach Europa verstecken sich auch nach Einschätzung der Nato kriminelle und terroristische Elemente. Der Nato-Befehlshaber in Europa, US-General Philip Breedlove, sagte in Brüssel, er und andere Nato-Funktionäre seien darüber besorgt, wer alles an Bord der seeuntüchtigen, meist aus Libyen kommenden Boote sei.

„Einige dieser Leute sind legitime Flüchtlinge aus unregierten Regionen“, erklärte er. „Aber wir glauben, dass andere Passagiere zum organisierten Verbrechen gehören – und ja, wir glauben, dass auch extremistische Elemente darunter sind.“
AP

Die Rechtspopulisten in Italien schüren die Angst davor, dass Terroristen als Bootsflüchtlinge „gerettet“ werden und dann Anschläge in Europa ausführen könnten. Doch wie wahrscheinlich ist das Szenario? Die italienische Regierung hatte immer betont, dass es bisher keine konkreten Erkenntnisse gebe, dass Terroristen oder Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) von Libyen aus als Bootsflüchtlinge getarnt einreisen würden.

Terrorrisiko

Bei der Ankunft der Flüchtlinge werde ein eingehendes Screening durchgeführt. Doch wie genau kann das sein, wenn fast täglich Hunderte wenn nicht Tausende Flüchtlinge, deren Identität oft nicht feststeht, ankommen? Viele bleiben gar nicht in Italien sondern machen sich illegal auf den Weg in andere EU-Länder wie Luxemburg.

Seit Beginn des Jahres sind nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration mehr als 38.000 Flüchtlinge über das Mittelmeer an Italiens Küsten gelangt. Von einem „großen Chaos“ bei den Kontrollen sprach der Staatsanwalt im sizilianischen Agrigent, Renato Di Natale, laut Zeitung „La Repubblica“. „Ein Terrorrisiko in Italien ist nie ausgeschlossen“, sagte Innenminister Angelino Alfano vor dem Parlament. Die Alarmbereitschaft der Regierung sei sehr hoch, auch was Flüchtlingsboote und die Infiltrierung von Terroristen angehe. „Aber bisher fehlt die Bestätigung.“

Geheimdienstarbeit

Die Sorge besteht vor allem, weil die Dschihadisten in Libyen – von wo aus derzeit die meisten Migranten ihre Reise nach Europa antreten – das dortige Machtvakuum genutzt haben und sich seit Monaten immer weiter ausbreiten. Von offizieller Seite gibt es kaum Gegenwehr: Denn vier Jahre nach dem Sturz von Libyens Diktator Muammar al-Gaddafi gibt es zwei Regierungen und Parlamente. Beide werden von verschiedenen Milizen unterstützt, die sich gegenseitig bekämpfen.

In der EU stand das Terrorrisiko durch die Seenotrettung bislang nicht auf der Tagesordnung eines Ministerrates. Aber das Risiko eines Anschlags durch einen „Geretteten“ lässt sich durch gute Geheimdienstarbeit höchstens reduzieren, heißt es. Deswegen niemanden mehr zu retten, sei keine Alternative. „Es gibt eine große Angst davor, dass sich ein IS-Terrorist in die Luft sprengt und kurz darauf klar wird, dass er über die Seenotrettungsaktion im Mittelmeer in die EU gelangt ist“, sagte ein europäischer Minister. „Ich brauche nicht zu erklären, wie unsere Diskussion auf einmal aussehen würde, wenn der erste Flüchtling kein Flüchtling, sondern ein Terrorist ist. Niemand weiß, wie wir mit diesem Szenario umgehen wollen. Die Angst ist groß.“

Checkpoints

Genährt wurde die Sorge im Januar, als ein libyscher IS-Sympathisant einen Aufsatz im Internet unter dem Titel „Libyen: die strategische Pforte für den Islamischen Staat“ veröffentlichte. Er betonte darin, dass über die lange Küste des nordafrikanischen Landes südliche „Kreuzfahrerstaaten“ leicht mit einem einfachen Boot erreichbar seien. Der Autor will von Flüchtlingsgruppen erfahren haben, dass es kein Problem sei, durch die maritimen Checkpoints zu kommen.

Im Februar meldete sich der IS aus Libyen mit einem Video zu Wort. Als „eine in Blut geschriebene Nachricht an die Nation des Kreuzes“ zeigte dieses, wie sich schwarzgekleidete Dschihadisten mit Geiseln an einem Strand aufstellen, „südlich von Rom“, wie es darin heißt. Bei den Gefangenen handelte es sich um 21 christliche Kopten, die von den Extremisten enthauptet wurden. Propaganda oder Wahrheit, das ist unklar. Aber spätestens mit dieser Botschaft war klar: Der IS – bislang im Irak und Syrien – hat längst in Libyen Fuß gefasst.

Schmuggel

Vor kurzem sorgte zudem ein BBC-Interview für Aufsehen, in dem ein Berater der international anerkannten libyschen Regierung in Tobruk erklärte, dass IS-Kämpfer per Boot nach Europa geschmuggelt würden. „Es ist glaubwürdig und möglich, dass Terroristen auch mit Booten kommen“, sagte der Professor für Internationale Politik von der Universität im schottischen Dundee, Christian Kaunert, der Deutschen Presse-Agentur. Es gebe aber bisher keine Beweise, das wirkliche Risiko werde übertrieben.

Problem sei aber, dass die Kontrollen bei der Ankunft nur dann effektiv seien, wenn jemand schon „auf dem Radar“ der Behörden sei. Nötig sei eine gute internationale Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten, was mit Krisenländern wie Libyen schwierig sei.

Kaunert sieht in der Diskussion um Terroristen als Bootsflüchtlinge „eine große Gefahr“ für die Debatte über Migration im Allgemeinen. „Es fehlt schon jetzt viel Empathie. Viele Menschen beschweren sich, dass so viele Flüchtlinge kommen ohne zu hinterfragen, wieso das so ist.“

Lesen Sie auch:

Rund-um-die-Uhr-Netzwerk gegen Terror